Bisher war es für Anleger oft schwer, grenzüberschreitend in Europa ihre Rechte wahrzunehmen. Das soll sich ändern: "Die Hürden, als deutscher Privatanleger bei einer Hauptversammlung (HV) im Ausland teilzunehmen, sind künftig viel geringer als bisher", sagt Dirk Andreas Zetzsche, Professor für Finanzrecht an der Universität Luxemburg. "Europa wächst im Hauptversammlungswesen enger zusammen." Ab 3. September tritt eine neue Stufe der überarbeiteten EU-Aktionärsrechterichtlinie in Kraft. BÖRSE ONLINE präsentiert die wichtigsten Neuerungen für Privat­anleger und lässt die Corona-HV-Saison 2020 Revue passieren.


Worin lag bisher das Problem - und was ändert sich ab 3. September?
Das Hauptproblem war bis dato die rechtzeitige grenzüberschreitende Information. "Innerhalb von 48 Stunden müssen nach den neuen EU-Vorschriften Informationen, Mitteilungen sowie Hauptversammlungseinladungen durch ganz Europa bis zum Endkunden geleitet werden", erläutert ­Zetzsche. Das ist eine große Herausforderung für alle beteiligten Finanzdienstleister. Standardisierte Formate und Prozesse sollen das ermöglichen.

Gilt die neue, schnelle Infopflicht nur für Hauptversammlungen?
Nein, auch für Dividendenmitteilungen oder Kapitalmaßnahmen. Für HVs erhalten Anleger zudem einen Link auf eine Website, wo alle HV-relevanten Informationen zugänglich gemacht werden. Aber nicht nur das: Selbst der Rückkanal vom Anleger hin zum Unternehmen muss funktionieren, damit bei einer HV grenzüberschreitend abgestimmt werden kann.
"Anleger können künftig innerhalb eines Monats nach der HV eine Stimmrechtsausübungsbestätigung verlangen", erklärt Claudia Royé, Leiterin Kapitalmarktrecht beim Deutschen Aktieninstitut (DAI). Darin wird bestätigt, wie man zu den einzelnen Tagesordnungspunkten abgestimmt hat.

Was ändert sich 2021 in Sachen Vorstandsvergütung?
Die Anleger erhalten mehr Mitsprache. Alle vier Jahre beschließt die HV über das Vergütungssystem der Organe der Gesellschaft, das der Aufsichtsrat erarbeitet hat ("Say on Pay") - außerdem jährlich über den detaillierten Vergütungsbericht, den die AGs veröffentlichen müssen. Um die Kompetenz des Aufsichtsrats nicht zu schwächen, hat das Votum aber nur beratenden Charakter.
"Das Vergütungssystem muss die nachhaltige und langfristige Unternehmensentwicklung fördern, also nicht nur den wirtschaftlichen Bestand des Unternehmens sichern helfen, sondern auch Umweltschutzaspekte et ce­te­ra berücksichtigen", sagt Jella Benner-­ Heinacher, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Ab 2021 kann auf einer HV die Deckelung der Gesamtvergütung des Vorstands beschlossen werden. Können ­Privatanleger das beantragen?
Um die Maximalvergütung des Vorstands zu kürzen, brauchen ­Anleger einen größeren Geldbeutel oder müssen sich zusammentun: Dafür ist ein Quorum in Höhe von einem Grundkapitalanteil von 500 000 Euro oder fünf Prozent des Grundkapitals erforderlich; leichter dürfte dies institu­tionellen Anlegern gelingen. "Tatsächlich interveniert dieses Recht in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats hinein. Es dürfte selten ausgeübt werden, aber als Drohkulisse schon zu mehr Sorgfalt anhalten, Gehaltsexzesse zu vermeiden", meint Zetzsche.

Wie ist die von der Corona-Pandemie überschattete Hauptversammlungssaison 2020 abgelaufen?
"Hauptversammlungen sind essen­ziell wichtig für den Austausch zwischen Gesellschaften und Aktionären, daher hat die Corona-Pandemie die Institution HV natürlich vor enorme Herausforderungen gestellt", sagt Franz-Josef Leven, stellvertretender Geschäftsführer des DAI. Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-­19-Pandemie machte Online-Aktio­närs­treffen möglich. "Dafür, dass viele Unternehmen eine solche Online-HV technisch aus dem Boden stampfen mussten, ist es sehr gut gelaufen", meint Leven. Das räumen auch die Anlegerschützer von der DSW ein, sehen darin aber eine "echte Notlösung", so Benner-Heinacher. Der Preis sei hoch gewesen, denn wichtige Aktionärsrechte wurden beschnitten: "Wir konnten nichts nochmalig hinterfragen, keine Gegenanträge und Anträge auf Sonderprüfung stellen."

Lässt sich abschätzen, ob 2021 ­wieder Präsenz-HVs stattfinden?
"Es wäre sträflich, sich nicht auf eine weitere HV-Saison à la Corona vorzubereiten", sagt Leven. Experten erwarten, dass es auch 2021 wohl nur mit Online-HVs weitergehen wird - solange, bis ein Corona-Impfstoff eta­bliert ist.