Während die Spekulation um Gamestop und Silber schon wieder abflaut, sorgt in Deutschland das Verhalten von sogenannten Neobrokern wie Trade Republic weiter für Ärger. Die Berliner Broker App hatte am vergangenen Donnerstag wegen des Order-Ansturms den Handel von Gamestop-Aktien für mehrere Stunden ausgesetzt. In einem regelrechten Shitstorm hatten Kunden daraufhin Trade Republic Bevormundung und Manipulation vorgeworfen. Trade-Republic-Chef Chrstian Hecker begründete den Aussetzer gegenüber Börse Online mit technischen Problemen und verteidigte ihn als Notfallmaßnahme (siehe Interview). Jürgen Kurz von der Aktionärsvereinigung DSW bezeichnete das Verhalten von Trade Republic im Interview mit Börse Online als "weder akzeptabel noch nachvollziehbar".

Börse Online: Trade Republic hat die Handelsaussetzung von Gamestop-Aktien am vergangenen Donnerstag mit technischen Schwierigkeiten begründet. Halten Sie das für plausibel?
Jürgen Kurz: Wenn Trade Republic als unabhängige Handelsplattform am Markt auftritt, dann sind sie dazu verpflichtet, gerade in einer solchen Situation den Handel mit Gamestop-Aktien aufrechtzuerhalten - vor allem, wenn dieser Handel zur selben Zeit über andere Dienstleister ohne Probleme möglich ist. Das Verhalten von Trade Republic ist für mich weder akzeptabel noch nachvollziehbar. Der einzige Grund für eine Aussetzung des Handels ist eigentlich höhere Gewalt und die kann ich hier nicht erkennen.

In den USA werden bereits Klagen gegen den Broker Robinhood vorbereitet. Prüfen Sie eine Klage gegen Trade Republic?
Zunächst wird die Finanzaufsicht Bafin prüfen müssen, ob Trade Republic und auch andere Neobroker wie etwa Smartbroker oder Degiro, um nur zwei Beispiele zu nennen, die Anforderungen erfüllt haben und der Handel mit einzelnen Wertpapieren nicht zu Unrecht erschwert oder sogar gänzlich unterbunden wurde.. Sobald die Sachlage klarer ist, wird die DSW entscheiden, ob es Sinn macht, rechtliche Schritte einzuleiten.

Ist der Gamestop-Hype ein vorübergehendes Phänomen, oder geraten hier tatsächlich die Machtverhältnisse am Finanzmarkt ins Wanken? Manche befürchten bereits eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem.
Eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem sehe ich ehrlich gesagt nicht, und die Machtverhältnisse werden sich wohl auch nicht grundlegend verschieben. Aber die Vorgänge um Gamestop haben klar gezeigt: Auch Hedgefonds sind verwundbar, und für Shortseller ist die Luft schon etwas dünner geworden. Über Social-Media-Plattformen wie Reddit können sich viele Anleger zusammenschließen, und über Neobroker wie Robinhood können sie ihre Handelsaufträge schnell und zu sehr geringen Kosten ausüben.

Das exorbitante Hochschießen der VW-Aktie auf über 1000 Euro im Jahr 2008 ist das letzte markante Beispiel im DAX für einen sogenannten short squeeze, der die Zwangslage eines Shorstellers ausnutzt, bei steigenden Kursen nachkaufen zu müssen. Könnte sich im aktuellen Umfeld in Deutschland ein ähnliches Szenario wiederholen?
Unter den DAX-Konzernen eher nicht, weil da die Handelsumsätze zu groß sind. Im SDAX halte ich einen solchen Short squeeze aber durchaus für möglich.

Welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt sein?
Sie brauchen ein Unternehmen mit relativ geringen Handelsumsätzen, das signifikante Shortseller-Positionen aufweist. Wenn sie dann noch eine große Community hinter sich haben, die bereit ist, in diesen marktengen Wert zu investieren, um den Kurs zu treiben, ist die Falle gestellt. Steigt der Kurs, sind Shortseller, die ihre Verluste begrenzen möchten oder ihre Positionen glattstellen müssen, ab einer bestimmten Kurshöhe gezwungen, dieses absurde Spiel mitzuspielen und selber als Käufer in den Markt zu gehen. Das treibt den Kurs dann noch weiter. Ist dieser Mechanismus erst einmal in Gang, ist das - zumindest vorrübergehend - fast eine Art perpetuum mobile.

Ist dieses abgesprochene Verhalten der Kleinanleger nicht auch Marktmanipulation?
Das ist sicher eine der Kernfragen. Trotzdem ist es zumindest zweifelhaft. Die öffentliche Ankündigung, dass man - aus welchem Grund auch immer - vorhat, Aktien eines bestimmten Unternehmens zu kaufen, ist keine Verbreitung falscher oder irreführender Informationen, wie es der Tatbestand der sogenannten informationsgestützten Marktmanipulation verlangen würde. Davon abgesehen, sehe ich eher die Gefahr, dass durch diese Vorgänge in der Öffentlichkeit schon wieder der Eindruck entsteht, die Börse sei ein Spielcasino.

Dass aggressive Hedgefonds nun selber zittern müssen, sehen manche auch als Ausdruck einer neuen Demokratiebewegung am Kapitalmarkt.
Also die große Demokratiebewegung sehe ich da nicht. Den neuen Akteuren geht es auch nur ums Geld. Und Shortseller wie die großen Hedgefonds sind ein notwendiges Korrektiv am Kapitalmarkt, um gravierende Überbewertungen einzelner Aktien und Unternehmen zu verhindern. Es gibt aber auch aggressive Shortseller, die mit Gerüchten und Falschinformationen versuchen, Kurse zu manipulieren. Diesen Akteuren dürfte spätestens jetzt klar geworden sein, dass sei auch selbst ein Opfer ihrer eigenen Strategie werden können.

Das sagt der Trade Republic-Chef Christian Hecker zum umstrittenen Handelsaussetzer der Berliner Trading App: "Wir befürchteten Riesenverluste bei unseren Kunden"


Der 30jährige Chef und Gründer der Berliner Trading-App verteidigt die umstrittene Handelsunterbrechung von Aktien des US-Spielehändlers Gamestop am vergangenen Donnerstag als Notfall-Eingriff. Der Aussetzer sorgte für großen Ärger unter den Trade-Republic-Nutzern, die sich bevormundet fühlten und dem Neobroker Manipulation vorwerfen.

Börse Online: Warum haben Sie den Handel von Gamestop-Aktien am vergangenen Donnerstag stundenlang unterbrochen?
Christian Hecker: Auf dem Aktienmarkt hat der Hype um so genannte Meme Stocks insbesondere am Donnerstag, den 28. Januar, eine noch nie dagewesene Situation ausgelöst. Es gab einen exponentiellen Anstieg des Handels mit einzelnen Aktien. Davon waren nicht nur unsere Systeme, sondern auch die vieler anderer Broker in den USA, in Europa und in Deutschland betroffen. Wir haben uns daher am Nachmittag dazu entschlossen, vorübergehend keine weiteren Kauf-Orders für sechs Aktien, wie unter anderem Gamestop und AMC, anzunehmen, um die Belastung für unser System drastisch zu reduzieren. Damit sollte für den Großteil der Kunden ein sicherer Betrieb gewährleistet werden. Es bestand die Sorge, dass es bei einem möglichen rapiden Einbruch der Kurse bei diesen Titeln zu hohen Verlusten für die Kunden kommen könnte, wenn die Systeme verzögert reagieren. Verkäufe der entsprechenden Aktien waren weiter möglich, damit Kunden bei fallenden Kursen aussteigen konnten.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Wir haben nach Auftreten der Einschränkungen am Donnerstagnachmittag massiv an der Skalierung der Systeme gearbeitet und die Kapazitäten nochmals erheblich erweitert. Schon am Freitagmorgen um 7.30 Uhr, also vor Handelsstart, konnten unsere Kunden wieder sämtliche Titel, inklusive Gamestop etc., kaufen und verkaufen.
Eine weitere Konsequenz aus der Situation ist, dass in Kürze alle Kunden, die mit Titeln handeln wollen, die außergewöhnliche Risiken bergen, Hinweise direkt in der App erhalten, die sie darauf hinweisen.

Kleinanleger attackieren Hedgefonds: Ist das aus Ihrer Sicht ein kurzfristiges Phänomen, oder bahnen sich da tatsächlich neue Machtverhältnisse im Finanzmarkt an?
Das lässt sich schwer beurteilen. Wir sehen aber in jedem Fall den Trend, dass immer mehr Menschen, die sich bisher nicht mit den Finanzmärkten beschäftigt haben, ihre Geldanlage selbst in die Hand nehmen. Und genau dafür sind wir angetreten und haben Trade Republic gebaut. Unsere Vision ist, dass alle Menschen in Europa einen einfachen und provisionsfreien Zugang zum Kapitalmarkt bekommen. Wir beobachten dabei allerdings auch, dass die viele Anleger risikoarme Angebote wie beispielsweise ETF-Sparpläne für den Vermögensaufbau wählen.

Sehen Sie das Phänomen als Gefahr für das Finanzsystem? Oder eher als eine Art Demokratisierung?
Aktien zu hypen und ihren Wert damit in eine Höhe zu treiben, die mit der realwirtschaftlichen Situation des Unternehmens nichts mehr zu tun hat, ist sicherlich nicht förderlich. Wir verstehen unter der Demokratisierung des Marktes eher, dass jeder sein Geld selbst in die Hand nehmen kann, um an den Kapitalmärkten zu handeln, zu investieren und zu sparen. Wir setzen dabei auf den gut informierten Anleger, der Nutzen und Risiken seiner Entscheidungen sorgfältig abwägt und dann frei entscheidet.

Wie hat sich das Geschäft bei Trade Republic im Corona-Jahr 2020 entwickelt, und welche Trends zeichnen sich für 2021 ab?
Unsere Kundenzahl ist von Beginn an schnell und stark gewachsen. Im ersten Jahr kamen mehr als 150.000 Kunden zu uns. Das Wachstum hat sich dann im Laufe des Jahres 2020 nochmal verstärkt und in den letzten Monaten verzeichneten wir weiterhin Rekordzuwächse. Unsere Kundenbasis ist sehr breit - und im Durchschnitt Mitte 30. Dies würde man vermutlich auf den ersten Blick nicht erwarten. Unsere Entwicklung seit dem Marktstart zeigt, dass wir mit unserer Vision von der mobilen Geldanlage für jedermann den Nerv der Zeit getroffen haben. Dieser Trend wird sich weiterfortsetzen.

Ist ein Börsengang von Trade Republic vorstellbar oder geplant?
Derzeit planen wir nicht an die Börse zu gehen.