Alfred Krupp stammte aus einer Kaufmannsdynastie. Sein Vater Friedrich Krupp hatte 1811 in Essen eine Gussstahlfabrik gegründet: Er wollte einen widerstandsfähigen Spezialstahl produzieren, wie ihn bisher nur die Fabriken im englischen Sheffield herzustellen vermochten. 1818 kaufte er deshalb ein Grundstück bei Essen und errichtete dort einen Schmelzbau mit acht Öfen und außerdem ein großes Fabrik- gebäude.

1826 starb Friedrich Krupp. Er wurde nur 39 Jahre alt und überließ seinen Erben eine Firma, die sieben Angestellte beschäftigte und mit 10 000 Talern verschuldet war. Sein ältester Sohn Alfried (er nannte sich später Alfred), der die Geschäfte weiterführen sollte, war gerade 14 Jahre alt. Der Jungunternehmer wuchs erstaunlich schnell in seine Rolle hinein. Er war ehrgeizig, verbissen und versuchte ständig, das Verfahren zur Gussstahlherstellung zu verbessern. Er warb im In- und Ausland um Kunden und trieb das Kapital zum Kauf einer Dampfmaschine auf. Der Durchbruch kam mit dem Eisenbahnbau. Krupp ließ seine Arbeiter Federn, Wagenachsen und einen bruchsicheren Radreifen ohne Schweißnaht schmieden.

Um 1850 bestellten Bahngesellschaften die ersten Achsen bei ihm. Die Köln-Mindener Eisenbahn orderte etwa 2400 Tragfedern, 400 Stoßfedern und 325 Achsen. Selbst die Züge der amerikanischen Eisenbahngesellschaften fuhren mit Radreifen von Krupp. In den nächsten zehn Jahren versiebenfachte er seine Belegschaft; das Unternehmen fuhr Millionengewinne ein.

Längst hatte Krupp einen neuen Absatzmarkt erschlossen: das Rüstungsgeschäft. Bereits 1851 hatte er auf der Weltausstellung in London ein stählernes Sechspfündergeschütz präsentiert. Eine revolutionäre Erfindung, denn Kanonen fertigte man bis dahin aus Bronze oder Gusseisen. Bei Schießversuchen erwiesen sich die stählernen Geschütze als überlegen. 1859 kam der erste Großauftrag: Preußen bestellte 300 Kanonenrohrblöcke für die stolze Summe von 200 000 Talern. Krupp lieferte Kanonen an alle europäischen Großmächte - mit Ausnahme des "Erbfeindes" Frankreich. Das Krupp’sche Imperium wurde zur Waffenschmiede der Nation.

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 wurde auch durch die Überlegenheit der Krupp’schen Stahlkanonen entschieden: Die Hinterlader-Feldkanonen hatten im Vergleich zu den französischen Vorderlader-Bronzekanonen mit bis zu zehn Schuss pro Minute eine höhere Kadenz, eine bessere Treffergenauigkeit und eine größere Reichweite. Die verheerende Wirkung dieser Geschütze zeigte sich insbesondere während der Entscheidungsschlacht von Sedan. Krupp galt als "Kanonenkönig" und "Stahlbaron".

Der Unternehmer wurde nun zum Tycoon eines neuen wirtschaftlichen Zeitalters. Die gigantischen Stahlfabriken, die er hochzog, verwandelten die ländliche Idylle des Ruhrgebiets allmählich in eine graue Industrieregion. "Schon von Weitem kann Krupp sein Reich sehen, eingehüllt in eine Wolke aus Rauch und Dampf. Mehr als 40 Wassertürme und Kamine ragen aus dem Dunst empor, einige von ihnen höher als die Kirchtürme von Essen: jener Stadt, die wie ein Anhängsel der Fabrik wirkt", schrieb der "Spiegel".

Der Unternehmer benötigte immer mehr Arbeiter - sie kamen aus dem Rheinland und aus Westfalen, später aus Ostpreußen und Polen. Rund 12 000 Menschen arbeiteten 1873 in seinen Fabriken. Sie schufteten elf Stunden am Tag, sahen kein Tageslicht, riskierten Gesundheit und Leben an glühenden Hochöfen und tonnenschweren Stahlblöcken. Längst gab es nicht mehr genügend Wohnungen für sie. Um die Wohnungsnot zu mildern, ließ Krupp bereits 1856 auf dem Werksgelände ein eigenes Wohnheim bauen. Und 1863 - die Zahl von Krupps Arbeitern hatte sich inzwischen versechsfacht - ließ er eine komplette Siedlung mit neun Häuserblocks hochziehen.

Eine eigene Welt

Mit dieser Wohnkolonie begann eine neue Ära in der Firmenhistorie: Für Krupp wurde das Unternehmen zu einer Art Lebens- und Schicksalsgemeinschaft. Der Patriarch sicherte seine Arbeiter mit einer betrieblichen Krankenkasse und einer Rentenversicherung ab. Er baute Schulen, ein Krankenhaus, Bier- und Bücherhallen, und in der betriebseigenen "Konsum-Anstalt" konnten die Arbeiter billig einkaufen. Im Gegenzug verlangte er von seinen "Kruppianern" Treue, Fleiß und bedingungslosen Gehorsam. Ein Mitspracherecht im Unternehmen hielt er für eine dumme, überflüssige Mode. In der Fabrik wollte er "Herr sein und bleiben". Wer eine sozialdemokratische Zeitung las, wurde sofort gefeuert, ebenso Arbeiter, die an Demonstrationen teilnahmen.

Mit 41 Jahren lernte Krupp die 20 Jahre jüngere Bertha Eichhoff kennen. Er stellte überrascht fest: "Wo ich glaubte, ein Stück Gussstahl sitzen zu haben, ist ein Herz." Einen Monat nach der ersten Begegnung heirateten sei. Anfangs wohnte die Familie auf dem Fabrikgelände. Bertha und der Sohn Friedrich Alfred, 1854 geboren, ein kränkliches Kind, das an Asthma litt, verbrachten viel Zeit in Berlin und Italien. Bertha liebte Musik und Geselligkeit - das Leben im trostlosen Essen fand sie unerträglich. 1882 verließ sie ihren Mann. Auf einem Hügel südlich der Stadt Essen ließ Alfred Krupp zu Beginn der 70er-Jahre eine Villa bauen - ein Prachtbau mit 269 Zimmern und 8100 Quadratmeter Wohnfläche. 5,7 Millionen Mark kostete die "Villa Hügel". Das entspricht heute rund 35 Millionen Euro. Hier empfing Krupp seine wichtigsten Kunden. Etwa den brasilianischen Kaiser, den Schah von Persien, den ägyptischen Vizekönig, einen chinesischen Marquis sowie Fürsten und Monarchen aus Deutschland, Spanien und Schweden.

1873 erfasste eine Rezession den Kontinent. Die Preise für Stahlerzeugnisse fielen, Krupps Gewinne schrumpften schlagartig fast auf null. Das Unternehmen geriet in eine Finanzkrise. Jahrelang waren keine Rücklagen gebildet worden, denn der Patron investierte immer in neue Maschinen, Zechen oder Eisenerzgruben und nahm dafür 22 Millionen Mark Schulden auf. Nun fehlte plötzlich das Geld für den laufenden Betrieb und die Tilgung der Kredite. Gerettet wurde das Unternehmen im März 1874 durch ein Konsortium mehrerer Banken, das Krupp eine Anleihe von 30 Millionen Mark gewährte. Dank Aufträgen aus dem Ausland stiegen die Gewinne bald nach der Krise wieder.

Im Juli 1887 starb der Patriarch an Erschöpfung und Herzschwäche. Das Unternehmen blieb in Familienhand. Der 33-jährige Friedrich Alfred führte es erfolgreich weiter. Er trieb die Expansion des Unternehmens voran, kaufte andere Stahlunternehmen oder Eisengruben und entwickelte neue Produkte. Aus dem Schatten seines Vaters konnte er dennoch nie ganz heraustreten.