Auf der Hauptversammlung des Bayer-Konzerns am Mittwoch hat Vorstandschef Marijn Dekkers die Aktionäre auf die Abtrennung der Kunststoffsparte eingeschworen: "Bayer wird künftig als reines Biotechunternehmen exzellente Wachstumschancen haben", begründete Dekkers die Abspaltung, die wirtschaftlich und rechtlich bereits bis 1. September perfekt sein soll. Spätestens Mitte 2016 soll der Börsengang dann stattfinden - in welcher Form, konkretisiert sich in der zweiten Jahreshälfte. Dies könnte über ein sogenanntes Spin-off geschehen, bei dem Altaktionäre Anteile an der neuen Gesellschaft erhalten, oder über eine Neuemission (IPO). Experten rechnen mit Einnahmen von drei Milliarden Euro.

Die Ausgliederung von nicht-strategischen Geschäftsbereichen, insbesondere über sogenannte Spin-offs, sorgt derzeit geradezu für ein Welle von Börsengängen. Gerade breiter aufgestellte Konzerne müssen mit einem sogenannten Konglomeratsabschlag auf den Börsenkurs leben. In solchen Strukturen schlummert häufig Wertsteigerungspotenzial. Bestes Beispiel ist die Siemens-Tochter Osram, die seit ihrer Trennung vom Mutterkonzern Siemens im Sommer 2013 und dem Börsengang ihre Bewertung nahezu verdoppeln konnte.

"Gerade Bereiche, die aus strategischen Gründen abgespalten werden, bieten oft großes Potenzial", erläutert Union-Investment-Fondsmanager Michael Muders. "Oft bewertet der Markt das Ganze niedriger als die Summe seiner Teile. Mit einer Abspaltung geht an der Börse eine Neubewertung des Spin-offs einher, weil es deutlich stärker als zuvor im Fokus steht. Daraus ergeben sich für Investoren Chancen, in unterbewertete Unternehmen einzusteigen."

Schon in den nächsten Tagen könnte sich ein derartiges Szenario beim Spezialchemiekonzern Wacker konkretisieren. Noch vor der Sommerpause soll Unternehmensangaben zufolge die Halbleitertochter Siltronic an die Frankfurter Börse gebracht werden. Die Erstnotiz ist für den 11. Juni geplant.

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Neue Spielräume

Die Tochter könnte so den Schuldenabbau forcieren. Zunächst soll ein kleinerer Teil der Anteile - rund 30 Prozent - dem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Wacker will sich dann nach und nach aus dem Halbleitergeschäft zurückziehen und mit den Erlösen aus dem Börsengang das kapital-intensive Kerngeschäft stärken. Union-Investment-Experte Muders sieht das positiv: "Siltronic blieb lange hinter den Erwartungen zurück. Die Abspaltung ist auch für die Wacker-Aktionäre vorteilhaft. Auch Osram hat richtig gehandelt, weil sich der Konzern jetzt voll auf das lukrative Automobilgeschäft konzentrieren kann", so Muders, der bei den zahlreichen Spin-offs Chancen sieht, die derzeit in Deutschland anstehen.

Abspaltungspläne verfolgt etwa der Energieriese Eon, der sein konventionelles Kraftwerksgeschäft ausgliedern möchte. Die Vorbereitungen dazu dauern allerdings, sodass die Umsetzung wohl erst im zweiten Halbjahr 2016 kommt. Die Deutsche Bank favorisiert für ihre Privatkundentochter Postbank ebenfalls einen Börsengang. Die Medizintechnik von Siemens, die Edelstahlsparte Inoxum von ThyssenKrupp und Teile des Sportartikelkonzerns Adidas zählen ebenfalls zu den potenziellen Kandidaten. Der Autovermieter Sixt hatte bereits Anfang Mai seine Leasingsparte Sixt Leasing an die Börse gebracht. Laut Vorstandschef Erich Sixt wollen beide Gesellschaften den Erlös nutzen, um ihr Wachstum zu finanzieren. Bei Sixt Leasing geht es dabei vor allem um den Onlineverkauf von Neuwagen an Privatkunden und den Schritt ins Ausland, in der Autovermietung um die Expansion in die USA. Selbst bereits abgetrennte Konzernteile wie die einstige Siemens-Tochter Osram prüfen eigene Spin-off-Optionen. So soll das Lampengeschäft des Lichtkonzerns innerhalb der nächsten zwölf Monate rechtlich verselbstständigt werden. Der Einstieg eines Partners sei ebenso möglich wie ein Börsengang.

Bayer-Chef Dekkers zeigt sich derweil optimistisch, was die weitere Entwicklung des abgespaltenen Kunststoffgeschäfts angeht. Das Unternehmen werde das viertgrößte Chemieunternehmen in Europa sein. "Wir sind überzeugt, dass Material Science als selbstständiges Unternehmen hervorragende Aussichten auf nachhaltigen Erfolg hat", sagte Dekkers am Mittwoch vor den Aktionären. Parallel zur Abtrennung werde der Mutterkonzern Bayer seine Ausrichtung auf das Gesundheitsgeschäft und die Agrarchemie vorantreiben.