Mehr als 300 Millionen Menschen weltweit lassen sich von Inneneinrichtungen, Do it yourself, Deko-Ideen, Mode, Styling- und Beauty-Tipps, Rezepten, Hobbys, Ideen für Geburtstagspartys oder Urlaubszielen auf virtuellen Pinnwänden inspirieren. Überwiegend sind es Frauen, die bei Pinterest nach diesen Dingen suchen. Nutzer können inzwischen auf einen Pool von mehr als 200 Milliarden hinterlegten Bildern zugreifen, die jeweils mit Daten verknüpft sind. Mittels automatischer Bilderkennung und maschinellem Lernen werden die Inhalte aus Datenbanken abgerufen. "In Zeiten von Hasskommentaren, Trollen und Fake News ist Pinterest die Oase der Gärtner-tipps, Hochzeitsplaner und Keksrezepte", schrieb das Magazin "Der Spiegel" über die heile Welt des US-Unternehmens.

Nutzern bietet es eine virtuelle Pinnwand, über die sie nützliche Ideen und Bilder für verschiedenste Lifestyle-Themen suchen und teilen können. Der Name ist eine Kombination aus den englischen Wörtern pin ("anheften" oder "Stecknadel") und interest ("Interesse"). Gegründet und aufgebaut wurde Pinterest von Ben Silbermann. Im Silicon Valley, wo Understatement selten und aggressive Selbstvermarktung die Norm ist, wirkt der scheue und introvertierte Silbermann fast wie ein Alien. Sein Credo: "Ich denke, Pinterest ist in einigen Dingen ein bisschen anders als andere Unternehmen. Wir möchten nicht, dass die Leute den ganzen Tag auf Pinterest herumhängen und Bilder durchstöbern." Sein Ziel ist es, "Nutzer zu inspirieren, damit sie in der realen Welt etwas ausprobieren". Geboren wurde Silbermann 1982 in Texas, er wuchs in Des Moines (Iowa) auf. Schon als Kind hatte er eine Sammelleidenschaft. Er interessierte sich nicht nur für Briefmarken, sondern trocknete auch Insekten, die er auf Kartons klebte und beschriftete. Das, was Menschen sammeln, sage viel über ihre Persönlichkeit aus, behauptete er später. Sammeln war für ihn immer mehr als ein Hobby, und es wurde schließlich zur Inspiration für Pinterest.

Der junge Ben war auch ein Technikfreak. Bereits als Teenager experimentierte er zu Hause mit den neuen Technologien und galt angesichts seiner technischen Begabung schnell als Wunderkind. Eigentlich war für ihn klar, dass er - wie seine beiden Schwestern - Medizin studieren würde. Aber er gab schon nach kurzer Zeit das Medizinstudium auf und schrieb sich an der Eliteuniversität Yale ein, wo er Politische Wissenschaften studierte und 2003 seinen Bachelor-Abschluss machte.

Inspiriert durch den Film "Die Silicon Valley Story", der sich um das Leben und die Karriere der Internetgiganten Steve Jobs und Bill Gates drehte, beschloss Silbermann, sein Glück in Kalifornien, im Mekka der Start-up-Gründer, zu versuchen. Er fand einen Job in der Werbe- und Verkaufsabteilung des Suchmaschinen-Marktführers Google. Eigentlich wollte er in der Technikabteilung arbeiten, aber dafür hatte er nicht den richtigen Universitätsabschluss. Google setzte dort vor allem auf Software-Ingenieure.

Die Atmosphäre im "Valley" gefiel ihm. Es sei ein Ort, wo die Menschen noch große Träume hätten. Auch er hatte einen großen Traum: ein eigenes Unternehmen zu gründen. Zwar arbeitete er gern für Google, und er steckte voller technischer Ideen. Dort zu arbeiten, sei für ihn der coolste Ort überhaupt, begeisterte er sich.

Aber Google gab ihm, dem studierten Politologen, keine Chance. Und irgendwann musste er einsehen, dass er in diesem großartigen Unternehmen wohl weiterhin nur Website-Anzeigen entwerfen würde. Er beklagte sich ständig darüber bei seiner Freundin Divya Bhaskaran, die Biomechanik studiert hatte und später seine Frau wurde. "Hör auf zu jammern und wage endlich den Schritt in die Selbstständigkeit", riet sie ihm. 2010 tat er dies in San Francisco - mitten in der Finanzkrise. Zusammen mit Paul Sciarra, einem Freund und Studienkollegen aus Yale, entwickelte er eine Shopping-App, die er "Tote" (englisch für Einkaufstasche) nannte. Aber neun Monate nach dem Start generierte die App nur etwa 10 000 Nutzer. Das Problem war, dass Tote von den Menschen gar nicht zum Einkaufen benutzt wurde, sondern lediglich, um bestimmte Produkte im Internet zu finden.

Das Scheitern brachte ihn auf die Idee


Wäre Silbermann mit Tote nicht gescheitert, dann hätte er Pinterest wohl nie gegründet. Die App wurde schließlich heruntergefahren. Aber die Art und Weise, wie die Leute sie verwendet hatten, brachte Silbermann auf die Idee für Pinterest: eine Plattform, die im Grunde genommen dazu dient, Dinge für später aufzubewahren. Pinterest als ein Mix aus sozialem Netzwerk und Bildersammlung, eine Online- Pinnwand zum Teilen von Bildern, die jeder Nutzer nach seinen eigenen Interessen gestalten kann.

Silbermann verzichtete von Beginn an auf ein aggressives Wachstum - und entgegen der Empfehlung einiger Manager auch laut "New York Times" auf eine millionenschwere Werbeoffensive mit Prominenten oder Influencern. Es gebe eine natürliche Wachstumsrate, befand Silbermann. Die ersten Nutzer waren denn auch keine Internet-affinen jungen Menschen aus hippen Großstädten, sondern Frauen aus dem Mittleren Westen der USA.

Im Silicon Valley, dieser großen Bühne für Eroberer und Freibeuter, war Ben Silbermann eine Ausnahme. Er, der Familienmensch mit einem bescheidenen Lebenswandel, wohnte in einer Zweizimmerwohnung und morgens, bevor er zur Arbeit ging, brachte er seinen Sohn in die Kindertagesstätte. Und obwohl er inzwischen selbst einer der Tech-Tycoons im Valley ist - sein Vermögen schätzt das Magazin "Forbes" auf 2,8 Milliarden Dollar - und ein luxuriöses Einfamilienhaus in San Francisco besitzt, bemüht er sich, seine Familie aus dem Rampenlicht zu halten und öffentliche Auftritte oder Interviews zu vermeiden.

Die Unternehmenskultur bei Pinterest ist ihm wichtig, er achtet darauf, dass nicht der lauteste Mitarbeiter den meisten Einfluss hat. "In Meetings fragt er bewusst diejenigen, die sich gerade nicht äußern, was sie von einer Idee halten. Stellt er neue Mitarbeiter ein, so sucht er nicht in erster Linie nach Techies, sondern bevorzugt Leute, die neugierig sind", schrieb das "Handelsblatt".

Nach einer Phase des langsamen Wachstums stieg der Umsatz von Pinterest 2018 um 60 Prozent auf 756 Millionen Dollar. Gleichzeitig konnte das Unternehmen seinen Verlust von 130 Millionen auf 63 Millionen Dollar reduzieren. Die Gelegenheit für ein IPO schien günstig. Im April 2019 startete Pinterest erfolgreich an der Wall Street. Das Unternehmen war damit die erste digitale Medienplattform seit dem Facebook-Konkurrenten Snap, die sich an die Börse wagte. Ben Silbermann und sein Mitbegründer Evan Sharp läuteten zu Handelsbeginn die obligatorische Glocke an der New York Stock Exchange. Die Aktien lagen zum Auftakt bei einem Stückpreis von 19 Dollar, das Papier legte aber schnell um 25 Prozent zu und stand zwischenzeitlich bei knapp 24 Dollar. Der Kursanstieg ließ den Börsenwert zeitweise auf mehr als zwölf Milliarden Dollar steigen. Die Aktie verzeichnete nach dem Börsengang deutliche Kursschwankungen und konnte anfänglich noch keinen klaren Aufwärtstrend ausbilden. Aber Pinterest erfreute sich steigender Beliebtheit und wurde zu einer der aktuell am stärksten wachsenden Internetplattformen. An der Börse stieg der Kurs der Aktie im Februar des laufenden Jahres auf fast 90 Dollar. Es scheint, als sei die Erfolgsgeschichte noch nicht zu Ende.