Die Essgewohnheiten werden immer differenzierter: Vegetarier, Veganer, Flexitarier und alles, was dazwischenliegt, ergänzen zunehmend die klassischen Allesesser. Zusätzlich richtet sich der Fokus der Verbraucher vermehrt auf Ökologie und Tierwohl. Immer wichtiger wird somit ethisch korrekter Fleischersatz, sogenanntes "Clean Meat". Die komplexer gewordenen Ernährungstrends zu bedienen stellt indes kein leichtes Unterfangen dar. Um keine Umsatzeinbußen hinnehmen zu müssen, versucht die Lebensmittel­industrie mit veganen Produkten, bei denen vermeintlich kein Tier zu Schaden kommt, dagegenzuhalten. Weil sich in der Branche viel tut und die Aktien gut laufen, wirft BÖRSE ONLINE erneut einen Blick auf die Entwicklung.

So bietet der Schweizer Nahrungsmittelriese Nestlé über seine Tochter Garden Gourmet den "Incredible Burger" bereits im Einzelhandel an. Auch die Fastfood­kette McDonald’s bemüht sich um die neue Klientel und führt seit Kurzem den "Big Vegan TS" im Sortiment. Christian Adams, Marketingverantwortlicher bei Garden Gourmet, ist sich sicher, dass sich vegane Produkte wie der Incredible Burger zu einem Milliardenumsatzmarkt entwickeln werden.

Willkommener Wachstumsbringer


Das ist aber auch schlicht notwendig: Die Umsätze von Nestlé beispielsweise legten in den vergangenen Jahren nur mühsam zu. Das macht den neuen Trend zu fleischloser Kost zum willkommenen Wachstumsbringer. So oder so gehört die Aktie in jedes gut sortierte Value-Depot. Nestlé ist zwar mit einem KGV von knapp 23 kein Schnäppchen, dies relativiert sich aber durch die einmalige Marktstellung, die für überdurchschnittliche Margen sorgt. Die Gewinne - allein 2018 generierten die Schweizer knapp elf Milliarden Franken an freiem Cashflow - werden seit jeher in üppige Dividendenzahlungen und Aktienrückkaufprogramme gesteckt. Geduldige Aktionäre sollten hier auf lange Sicht auf ihre Kosten kommen.

Geduld - oder vielmehr ein starkes Nervenkostüm - ist bei Beyond Meat, der Veggie-Burger-Firma schlechthin, gefragt. Am ersten Handelstag, dem 2. Mai, lag der Schlusskurs noch bei 65,74 Dollar, schnellte dann, getrieben durch die die Fantasie ­beflügelnde Wachstumsstory, bis Ende Juli auf knapp 240 Dollar hoch. Danach ging es abwärts, die Aktie konsolidiert seit einiger Zeit bei etwa 145 Dollar. Wer teuer gekauft hat, für den summiert sich das Minus seit dem Allzeithoch auf 40 Prozent, und das innerhalb nur weniger Wochen. Anleger, die bereits zum IPO-Preis von 25 Dollar Aktien ergattern konnten, sitzen aber immer noch auf einem stattlichen Gewinn. Über mangelnde Bewegung in der Aktie kann sich also niemand beschweren.

Schwer im Magen liegt allerdings die nach wie vor exorbitant hohe Bewertung. So wird das Unternehmen aktuell mit dem 52-Fachen des Umsatzes bewertet - das dreistellige KGV hat angesichts des Neulings­charakters hingegen kaum Aussagekraft. Dass der Aktie dennoch eine hohe Bewertung zugestanden wird, liegt vor allem daran, dass Beyond Meat aktuell das einzige Unternehmen ist, das ausschließlich vegane Fleischersatzprodukte erzeugt. Wer in den Markt investieren will, kommt an den Kaliforniern somit kaum vorbei. Zudem hat die kürzlich erfolgte Veräußerung ­eigener Aktien dem Unternehmen 38,5 Millionen Dollar in die Kasse gespült. Inklusive des Cashbestands von 277 Millionen Dollar zum Ende des zweiten Quartals ergibt sich damit ein ordentliches Cashpolster, das Beyond Meat ausreichend Spielraum für seine Expansionsambitionen bietet.

Der Wachstumsmotor läuft jedenfalls auf Hochtouren. Allein im zweiten Quartal legte der Umsatz um 287 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zu. Noch wichtiger scheint, dass die Bruttomarge im gleichen Zeitraum von 15 auf 33,8 Prozent wuchs: ein Indiz dafür, dass das Geschäft skalierbar ist, also steigender Umsatz auch zu höheren Einnahmen führt. Und da der Markt erst in den Kinderschuhen steckt, ist damit zu rechnen, dass die Umsätze auch weiterhin stark steigen.

Tyson Foods - der Fleischgigant


Allerdings gibt es Konkurrenz. Auch ­Tyson Foods, der größte Fleischproduzent in den USA, versucht im Markt für fleischlose Kost Fuß zu fassen. So beginnt das Unternehmen demnächst mit dem Verkauf seiner "Raised & Rooted Nuggets", die ohne Hühnerfleisch auskommen und dafür aus veganen Zutaten bestehen.

Gleichzeitig bezeichnet sich das Unternehmen nun nicht mehr als Fleischproduzent, sondern sieht sich vielmehr als "Proteinlieferant", wohl auch aus Imagegründen. Unternehmenschef Noel White stellte dennoch klar, dass man sich auch in Zukunft großteils der Herstellung tierischer Produkte widmen werde, und das nicht zu knapp. Schon jetzt verarbeitet der Konzern wöchentlich 42 Millionen Hühner, 171 000 Rinder und 348 000 Schweine. Die Anleger stört das nicht: Die Aktie hat unlängst mit der Überwindung des Allzeit­hochs ein neues technisches Kaufsignal erzeugt.

Auch fundamental passt das Bild. Die Gewinne steigen seit Jahren kontinuierlich, ebenso die Ausschüttungen. Aktuell beträgt die Dividendenrendite 1,7 Prozent. Zudem macht sich auch das strenge Kostenmanagement des Konzerns bezahlt. So legten die Umsätze auf Zehnjahressicht um durchschnittlich gut vier Prozent per annum zu, das operative Einkommen im selben Zeitraum jedoch überproportional um durchschnittlich 25 Prozent pro Jahr. Zusätzlichen Rückenwind erhält Tyson durch das kürzlich abgegebene Versprechen der EU, künftig mehr US-Rindfleisch zu importieren. Für Stirnrunzeln sorgte Tyson Foods lediglich mit dem viel zu frühen Verkauf eigener Beyond-Meat-An- teile, die schon kurz vor dem IPO veräußert wurden.

Ein Fehler, den Konkurrent Kellogg vielleicht nicht gemacht hätte. Der Cornflakes-Riese ist über seine Tochter Morningstar Farms ebenfalls im Markt für vegetarische und vegane Produkte aktiv, und das ausgesprochen erfolgreich. Der Umsatz von Morningstar Farms wird von Brancheninsidern auf 450 Millionen Dollar geschätzt. Im Vergleich zu Kelloggs Gesamtumsatz von 13,5 Milliarden Dollar klingt das nicht gerade nach dem großen Wurf. Analyst Brett Arends, der regelmäßig für die US-Finanzplattform "MarketWatch" schreibt, schätzt allerdings, dass es Morningstar Farms bei einem Börsengang auf eine Bewertung zwischen fünf und zehn Milliarden US-Dollar bringen könnte. Zum Vergleich: Der Mutterkonzern Kellogg kommt aktuell auf eine Bewertung von 19,4 Milliarden.

Noch interessanter wird es, wenn man bedenkt, dass Kellogg momentan mit einem für 2020 geschätzten KGV von 15,9 günstig bewertet wird - gerade im Vergleich zum KGV-Zehnjahresschnitt, der mit 23,1 deutlich höher liegt. Allerdings leidet der Frühstücksflockenkonzern seit Jahren unter stagnierenden Umsätzen. Um die Anleger trotzdem bei Laune zu halten, legt Kellogg deshalb recht großen Wert auf steigende Dividenden. Die Dividendenrendite auf aktueller Kursbasis fällt mit 3,6 Prozent üppig aus.

Vielleicht zeigt sich das Unternehmen hier dann doch etwas zu spendabel. Die Verschuldung ist hoch, unter dem Zinsdienst für den Schuldenberg leidet infolgedessen auch die Profitabilität. Da würde es nicht verwundern, wenn der Vorstand bereits über den Börsengang seiner Veggie-­Tochter sinniert.

Wird die Zukunft vegan?


Die meisten Analysten sind sich einig: Der Markt für Fleischersatzprodukte wird in den kommenden Jahren weiterhin exorbitant wachsen. Das Bankhaus JP Morgan geht von einem weltweiten Umsatz von 100 Milliarden Dollar in 15 Jahren aus, Konkurrent Barclays prognostiziert das weltweite Volumen schon in zehn Jahren auf 140 Milliarden Dollar. Ob aus Überzeugung oder nur zur Beruhigung des Gewissens - die gesellschaftliche Tendenz zu "sauberen" Lebensmitteln scheint vorgezeichnet. Die Kampfansage an die 1,4 Billionen Dollar schwere Fleischindustrie steht somit und könnte manchem Konzernchef noch schlaflose Nächte bereiten.

Auf einen Blick: Food Branche