Der neue Chef der Finanzaufsicht Bafin hat einen strengeren Auftritt der Behörde angekündigt und will nun offenbar die Zügel anziehen. Mark Branson hat die deutschen Geldhäuser in einer "Aufsichtsmitteilung" dazu aufgefordert, ein im April ergangenes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu ungültigen Gebührenerhöhungen umzusetzen und sofort alle nötigen Schritte einzuleiten.

Rechtlich verbindlich ist diese "Erwartungshaltung" der Bafin zwar nicht. Doch sollte ein Institut das Urteil nicht beachten, drohten "aufsichtliche Maßnahmen". "Das Urteil des BGH hat Auswirkungen auf fast jede Bankkundenbeziehung", erläuterte Bafin-Chef Branson. "Umso wichtiger ist schnelle, unbürokratische und transparente Umsetzung."

Das BGH-Urteil vom 27. April dieses Jahres war zunächst als großer Erfolg der Verbraucherschützer gefeiert worden. Das oberste Zivil- und Strafgericht hatte entschieden, dass Banken bei einer Änderung der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) - und damit auch von Gebühren - die Zustimmung der Kunden ausdrücklich einholen müssen. Von einer stillschweigenden Zustimmung der Kunden nach Ablauf einer Frist dürfe nicht mehr ausgegangen werden, so die Richter.

In der Aufsichtsmitteilung ermahnt nun die Bafin die Institute, die Kunden "klar und verständlich" über Folgen des Urteils zu informieren. "Rechtsgrundlose Entgelte" dürften nicht mehr erhoben werden, zu Unrecht erhobene Gebühren müssten zurückerstattet und Rückstellungen dafür gebildet werden. Verbraucherschützer begrüßten die klare Ansage der Finanzaufsicht an die Banken. Die dürften bei berechtigten Rückforderungen nicht mauern, heißt es.

Milliarden im Feuer

Für die Institute geht es um viel Geld. Die beanstandeten Gebühren liegen Schätzungen zufolge bei bis zu fünf Milliarden Euro. Die Geldhäuser haben für mögliche Rückforderungen der Kunden zum Teil bereits hohe Rückstellungen gebildet. Auch laufendes Geschäft ist betroffen: Durch das BGH-Urteil sind allein der Deutschen Bank nach eigenen Angaben im dritten Quartal 100 Millionen Euro in Form von "nicht vereinnahmten Erträgen" entgangen. Die Banken hätten völlig unterschiedlich auf das Urteil reagiert, sagt David Bode vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Manche Reaktionen seien nicht zu beanstanden, bei anderen gebe es rechtliche Zweifel.

Darum strebt der vzbv nun erneut Musterfeststellungsklagen an, und zwar gegen die Berliner Sparkasse und die Sparkasse Köln-Bonn. Denn es hat sich ein neuer Streitpunkt zwischen Kunden und Banken herauskristallisiert. So sollen einzelne Institute die Forderungen von Kunden mit der Begründung zurückgewiesen haben, dass sie die letzten Preiserhöhungen vor mehr als drei Jahren vorgenommen hätten und eine Erstattung damit ausscheide. Sie beziehen sich dabei auf ein früheres Urteil des BGH im Rechtsstreit zwischen Energieversorgern und Kunden. Demnach sind Preise dann gültig, wenn Kunden sie seit mehr als drei Jahren nicht beanstanden, auch wenn sie auf unwirksame Weise zustande gekommen waren.

Diese Argumentation ist nach Auffassung der Verbraucherschützer verfehlt. Sie vertreten die Ansicht, dass von den Geldhäusern sämtliche Entgelte erstattet werden müssen, die ohne Zustimmung der Verbraucher erhöht oder neu eingeführt wurden - unabhängig vom Zeitpunkt der Erhöhung. So könnte am Ende wieder einmal der BGH darüber urteilen, ob das Vorgehen der Institute rechtens ist.

Bemerkenswert ist, dass sich die Bafin in dieser entscheidenden Streitfrage, also ob unzulässige Preiserhöhungen vor 2018 Rückforderungsansprüche begründen, nicht festgelegt hat, sondern neutral ist. Der vzbv bittet Kunden der Berliner Sparkasse und der Sparkasse Köln-Bonn, unter musterfeststellungsklagen.de/bankgebuehren ihr Interesse an einer der Klagen zu bekunden.

Interview mit Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick


Nachgehakt bei: Gerhard Schick - "Kuschelaufsicht muss ein Ende haben"
Der Ex-Grünen-Finanzsprecher und Finanzwende-Vorstand über die Lehren aus Wirecard-Desaster und Geldwäsche-Skandalen und wie die Reform der Finanzaufsicht Bafin gelingen kann. Von Wolfgang Ehrensberger

Euro am Sonntag: Sie haben 2018 die "Bürgerbewegung Finanzwende" gegründet, um Missstände in der Finanzwirtschaft offenzulegen. Der neue Bafin-Chef Mark Branson will härter durchgreifen. Wie bewerten Sie seine ersten öffentlichen Auftritte und Ansagen?
Gerhard Schick: Mark Branson gibt sich bei seinen ersten Auftritten durchaus als Reformer, der für einen Neustart bei der Bafin sorgen will. Aber nun kommt es natürlich darauf an, was er ganz konkret umsetzt. Auch Felix Hufeld, als ehemaliger Bafin-Präsident, hat mitunter markige Worte gefunden. Das hat aber nicht verhindert, dass selbst in einer Analyse der Deutschen Bank vor Kurzem stand: "Es gibt wohl - leider - kaum eine Finanzaufsicht in den Industrieländern weltweit, unter deren Augen in den letzten 15 Jahren derart viele Finanzskandale stattgefunden haben(…)."

Gehen die von Branson eingeleiteten Reformschritte aus Ihrer Sicht in die richtige Richtung, um die Finanzaufsicht schlagkräftiger zu machen?
Die Reformschritte der alten Bundesregierung bei der Bafin waren überfällig, sind aber nicht ausreichend. Lassen Sie mich dies anhand von drei Beispielen festmachen. Erstens: Der ganze Bereich Anleger- und Verbraucherschutz ist trotz gewisser Verbesserungen weiterhin nur ein kleiner Bereich in der Wertpapieraufsicht. So wird das Thema auch in Zukunft immer wieder auf der Strecke bleiben. Zweitens: Auch bei der Rechtsaufsicht durch das Finanzministerium bleiben Unklarheiten. Ich hätte mir an der Stelle auch mehr Unabhängigkeit für die Bafin gewünscht. Drittens: Die öffentliche Kontrolle fehlt. Andere Aufsichtsbehörden verstehen sich deutlich mehr als Dienstleister für Bürgerinnen und Bürger, während die Bafin im Wesentlichen zu Banken- und Versicherungsvorständen kommuniziert.

Insbesondere will Branson bei Finanzkonzernen härter durchgreifen, auch bei dünner Informationslage, höheren Risiken und unklarer Gesetzeslage. Ist das ein richtiger Ansatz?
Natürlich darf die Bafin nicht so handeln, als würde sie über dem Gesetz stehen. Klar ist aber: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Insofern ist das im Kern schon der richtige Ansatz, der nun auch umgesetzt werden muss. Wir brauchen eine Finanzaufsicht, die nicht mehr ständig nach Ausreden für ihr Nichtstun suchen muss, sondern die im Zweifel einschreitet. Die Kuschelaufsicht mit den Finanzinstituten muss enden.

Mit dem Umbau erhält auch der Bafin-Präsident mehr Macht. Hilft das, die Ziele besser zu erreichen? Birgt es auch Risiken?
Teilweise konnte der Präsident selbst innerhalb seiner Behörde bisher nicht durchgreifen. Wir brauchen nun eine Bafin Spitze, die den ersehnten Kulturwandel auch von der Spitze lebt. Und das bedeutet im Zweifel auch, einschreiten zu können. Insofern ist es richtig, dass der Bafin-Präsident nun mehr Kompetenzen hat. Und angesichts der weiterhin bestehenden Abhängigkeit vom Finanzministerium, sehe ich hier keine Gefahr einer zu großen Machtballung. Da müssen ja anscheinend noch immer alle Interviews der Bafin durch das BMF im Wortlaut abgesegnet werden.

Brauchen die deutschen Banken tatsächlich noch härtere Kapitalvorgaben, wie es Branson fordert?
Ich freue mich, dass er da als ehemaliger Banker so klar ist. Denn wir brauchen auf jeden Fall stabilere Institute. Die Kapitaldecke ist oftmals noch viel zu dünn, das sehen auch viele Wissenschaftler so. Nach der Finanzkrise wurden die Quoten zwar erhöht, aber wir sind weit davon entfernt, dass im Notfall nicht wieder der Steuerzahler das Portemonnaie öffnen muss. Dabei sollten uns die über 70 Milliarden Euro an Kosten für die Bankenrettungen eigentlich genug Lehrgeld sein.

Einzelne Institue wie die Smartphone-Bank N26 fallen durch anhaltende Geldwäsche-Verstrickungen auf. Wie könnte dem Einhalt geboten werden?
Bei N26 hat die Bafin die Geldwäsche-Thematik offenbar jetzt im Blick. Leider hat es sehr lange gedauert, bis die Bafin hier Schwung bekommen hat. Das Einsetzen eines Sonderbeauftragten, der die Umsetzung der Geldwäschevorschriften beobachtet, ist ein wichtiger Schritt. Zukünftig muss sichergestellt werden, dass die Bafin die Geldwäschebekämpfung von Anfang an bei neuen Finanzinstituten stärker in den Fokus rückt. Bei N26 wird jetzt entscheidend sein, dass die Umsetzung der Geldwäsche-Normen nicht auf die lange Bank geschoben werden kann, sondern die Bafin N26 zwingt, zeitnah aktiv zu werden, auch wenn es richtig viel Geld kostet. Denn die Bank ist noch in einer Phase der Expansion. Wenn jetzt die Geldwäschebekämpfung verschlafen wird, gibt es langfristig noch viel größere Probleme.

Welche Aufgaben sollte sich die Aufsicht Ihrer Meinung nach besonders vornehmen?
Zentral ist als Querschnittsaufgabe die Kriminalitätsbekämpfung. Das war sicher die größte Schwäche der Bafin, dass sie vom Anlagebetrug über CumEx und CumCum bis hin zu Wirecard und Geldwäsche immer völlig desorientiert und überfordert war, ja teilweise die Verbrecher geschützt hat, weil sie die Aufklärer ausbremste. Sobald es um potentiell kriminelle Aktivitäten geht, muss die BaFin künftig zügiger Beweise sichern und das Abziehen von Geldern blockieren, statt behördliche Behäbigkeit zu zeigen oder naiv auf Aussagen der potentiellen Betrüger zu vertrauen, auch wenn sie im feinen Zwirn daherkommen.