In Erwartung schwerer Kämpfe in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew forderten unterdessen ukrainische Behörden am Dienstag die Zivilbevölkerung der Stadt Boryspil nahe des gleichnamigen internationalen Flughafens auf, die Stadt zu verlassen. Russischen Truppen ist es seit ihrem Einmarsch in das Nachbarland am 24. Februar nicht gelungen, eine größere ukrainische Stadt einzunehmen. Auch der Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew stockt, dagegen konnten russische Truppen im Süden offenbar Geländegewinne erzielen.

Die ukrainische Regierung gehe davon aus, dass die Kämpfe mit Russland innerhalb von zwei bis drei Wochen enden könnten, sagte der Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Olexij Arestowytsch, in einem Fernsehinterview. Das Hauptziel der russischen Truppen sei, die Hauptstadt Kiew unter ihre Kontrolle zu bringen. Aber dies zu versuchen sei "Selbstmord", fügte er hinzu.

Russland greift militärische Ziele, aber auch Wohngebiete in den Städten zunehmend aus der Luft oder mit Raketen und Artillerie an. Russland verstärkt offenbar auch die Angriffe auf die Stadt Charkiw.

Die südostukrainische Hafenstadt Mariupol mit einst 400.000 Einwohnern liegt mittlerweile weitgehend in Trümmern. Die dortige humanitäre Lage gilt als katastrophal. Die ukrainische Regierung konzentriert sich bei der Rettung von Zivilisten auf die eingeschlossene Stadt, sagte Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk, ohne allerdings neue Vereinbarungen für die Einrichtung von Fluchtkorridoren zu erwähnen.

Angaben aus dem Kriegsgebiet können unabhängig nicht überprüft werden. Westliche Sicherheitsexperten warnen seit Tagen, dass Putin aus Frustration über fehlende militärische Erfolge andere Waffen einsetzen könnte. Am Wochenende hatte Russland erstmals Hyperschallraketen gegen die Ukraine eingesetzt.

DROHT EINSATZ VON CHEMISCHEN ODER BIOLOGISCHEN WAFFEN?


US-Präsident Biden sagte auf einer Wirtschaftskonferenz am Montag, dass Putin den USA fälschlicherweise unterstelle, biologische und chemische Waffen in Europa zu haben. Russland habe auch suggeriert, dass die Ukraine derartige Waffen besitze. "Das ist ein klares Zeichen dafür, dass er den Einsatz beider Waffen in Erwägung zieht", sagte Biden. Belege legten weder die amerikanische noch die russische Seite vor. Das Thema soll nach Angaben von EU-Diplomaten auch in der Telefonkonferenz Bidens mit den Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens zur Sprache gekommen sein.

Biden forderte amerikanische Unternehmen zudem auf, sich vor russischen Cyberangriffen in Acht zu nehmen.

Die Ukraine und westliche Länder sprechen von einem russischen Angriffskrieg. Russland bezeichnet sein Vorgehen in der Ukraine dagegen als Spezialoperation zur Zerstörung militärischer Stützpunkte und zur Demilitarisierung und "Entnazifizierung" der Ukraine.

In dem Krieg sollen nach Angaben der Ukraine und aus westlichen Sicherheitskreisen bereits mehrere zehntausende Menschen gestorben sein. Eine unabhängige Überprüfung der Opferzahlen und der Lage ist derzeit nicht möglich. Die UN sprechen mittlerweile von 3,5 Millionen Geflüchteten aus der Ukraine.

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi sagte am Dienstag, dass er einen EU-Beitritt der Ukraine unterstütze. Selenskyj hatte sich zuvor mit einer Videobotschaft an das italienische Parlament gewandt.

BIDEN KRITISIERT INDIEN


US-Präsident Biden betonte, dass der Konflikt um die Ukraine mittlerweile eine weltweite Dimension habe. "Als Antwort auf seine Aggression haben wir in der gesamten Nato und im Pazifikraum eine einheitliche Front gebildet", sagte er.

Biden kritisierte die Haltung Indiens, das sich nicht den westlichen Sanktionen angeschlossen habe sondern versuche, seine Beziehungen zu Russland und dem Westen auszubalancieren. Indien bezieht nicht nur Waffen aus Russland, sondern kauft nach dem amerikanischen Ölboykott gegen Russland nun auch russisches Öl.

Dagegen hob der US-Präsident einen engen Schulterschluss Japans und Australiens mit dem Westen hervor. Russland hatte am Montag die Friedensgespräche mit Japan über die zwischen beiden Ländern umstrittenen Kurilen-Inseln beendet.

Der US-Präsident reist diese Woche nach Europa. In Brüssel finden am Donnerstag sowohl ein Nato-, ein G7- als auch ein EU-Gipfel statt. Dabei soll es auch um weitere Sanktionen gegen Russland gehen.

Die Bundesregierung hatte am Montag bekräftigt, dass man derzeit auf Energieimporte aus Russland noch nicht verzichten könne, auch wenn man die Abhängigkeit so schnell wie möglich reduzieren wolle. Die EU berät darüber, ob sie künftig Gas gemeinsam einkaufen will. Der russische Konzern Gazprom kündigte am Dienstag an, weiter Gas nach Europa zu liefern.

rtr