China - Die Happy Hour ist vorbei
Lange Jahre galt China als Jungbrunnen für die Weltwirtschaft. Das Land der Mitte hat unsere deutsche Exportindustrie gut durch die Zeit der Euro- bzw. Russlandkrise gebracht. Doch zeigen sich mittlerweile Risse in dieser makellos schönen Wirtschaftsfassade. An diese nüchterne Einschätzung müssen sich die Anleger erst einmal gewöhnen.
Der chinesische Immobilienmarkt hat seinen Zenit wohl überschritten und der Aktienmarkt erinnert mich an unseren Neuen Markt. Und wer in China über Immobilien und Aktien negative Vermögenseffekte erleidet, wird seine Konsum- und Investitionsfreude sicherlich nicht unbekümmert fortsetzen. Bereits jetzt steht beim chinesischen Wachstum - wenn man es nach westlichen Maßstäben messen würde - schon längst nicht mehr die Sieben, sondern eher die Vier vor dem Komma. China ist in der schnöden volkswirtschaftlichen Realität der Industrieländer angekommen. Und dieser Effekt streut: Gemeinsam mit China sitzen die asiatischen Handelspartner in einem Boot und haben auch schon nasse Füße.
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Fed - Wie das Fähnchen im Wind
Ebenso ist der verbale Wechselstrom der US-Notenbank schwer erträglich. Lange Zeit hatte Frau Janet Yellen bei mir einen ganz dicken Stein im Brett, weil sie sich mit ihrer behutsamen Geldpolitik um die Konjunktur in Amerika und in der Welt verdient gemacht hat. Ich habe sie oft als Mutti von Amerika bezeichnet. Mittlerweile lässt sie jedoch mit ihrer planlosen "Ich-erhöhe-die-Zinsen-ich-erhöhe-sie-nicht-Politik" Muttergefühle vermissen. Sie irritiert ihre Lieben. Sie zeigt Schwächen, wo dringend ihre Stärken gefragt sind. Die US-Notenbank ist nicht irgendein Karnevalsverein, sondern die weltweit bedeutendste Finanzinstitution. Wenn schon die Fed in Zeiten wie diesen schwankt wie ein Schiff auf hoher See, darf man sich nicht wundern, wenn die Finanzmärkte seekrank werden und nach den Tüten greifen.
Die US-Notenbank ist nicht irgendein Karnevalsverein.
Liebe Janet, lass die Hände weg von der US-Leitzinswende. Es gibt zunächst keinen nationalen Grund dafür: Preissteigerungen sind kein Thema. Im Gegenteil, die langfristigen US-Inflationserwartungen sind wieder deutlich gefallen. Und die vielen Jobs der Marke "Schiffsschaukelbremser" sind eben keine Facharbeiterpositionen. Die quantitative US-Arbeitsmarktstatistik muss umgehend um eine qualitative Komponente ergänzt werden.
Nicht zuletzt ist der Umfang der Wertpapierkredite an der New Yorker Börse weit größer als zur Hochzeit der Dotcom- bzw. Immobilienblase. Was passiert, wenn Leitzinsen steigen, ist doch klar: Teurer werdende Kredite werden mit erzwungenen Verkäufen von Aktien zurückgeführt. Sinkende Aktienkurse haben aber die US-Konsumstimmung noch nie gesteigert.
Ohnehin, auf die Spendierfreude von Peter, Paul and Mary würde die erste US-Zinserhöhung seit fast einem Jahrzehnt ähnlich wirken wie das Verdünnen einer gehaltvollen Sommerbowle mit viel Sprudelwasser. Leitzinserhöhungen würden außerdem zu einem teureren US-Dollar und damit schwächeren US-Exporten führen.
Auf Seite 3: Frau Yellens Zinswecker schreckt leider auch Asien auf
Frau Yellens Zinswecker schreckt leider auch Asien auf
Für eine Leitzinswende gibt es erst Recht keinen internationalen Grund. Denn eine aufwertende US-Währung würde über Kapitalflucht die Emerging Markets schädigen: Höhere US-Anlagezinsen und die Aussicht auf Dollar-Währungsgewinne sind eine willkommene Alternative angesichts der neuen Anlagesachlichkeit in Asien. Ein dann noch weiter aufwertender Dollar würde Schwellenländern die Bedienung ihrer mehrheitlich auf US-Dollar-Basis aufgenommenen Kredite zusätzlich erschweren.
Nicht zuletzt führt ein starker US-Dollar zu schwachen Rohstoffpreisen, damit zu sinkenden Staatseinnahmen der Rohstoffländer und schließlich einer schwächeren Kaufkraft zulasten der Weltwirtschaft. Erschwerend kommt der Öl-Sommerschlussverkauf Saudi-Arabiens hinzu.
Eskalierte diese Währungssituation, sollten sich die Schwellenländer diesem Währungsschicksal ergeben und in ihrer Not diesen Abwertungsprozess schließlich zur Förderung der eigenen Exportfähigkeit durch Währungs-Dumping sogar noch verstärken, kommt es unweigerlich zu einem Währungsabwertungskrieg zwischen den asiatischen Handelsnationen.
Janet Yellen muss den Zinswecker ausstellen.
Übrigens, ist sind die Abwertungen dann gegenüber dem US-Dollar groß genug, ist dies geradezu eine Einladung für die asiatischen und lateinamerikanischen Länder, US-Staatspapiere zu verkaufen. Amerika bekäme so über die Hintertür volkswirtschaftlich steigende Kreditzinsen für z.B. Hypothekendarlehen.
Insgesamt wären einem weltweiten Deflationsszenario Tür und Tor geöffnet. Janet Yellen muss den Zinswecker ausstellen, mindestens bis die China-Böller endgültig aufgehört haben, zu knallen.
Auf Seite 4: Selbst China verfällt der geldpolitischen Sünde
Selbst China verfällt der geldpolitischen Sünde
Die Fed darf sich nicht bewegen. Dem gegenüber muss die Notenbank in China mobil machen. Sie mag sich zwar noch gegen eine schmutzige, zügellose, lasterhafte Notenbankpolitik wie die der Fed, der EZB oder der Bank of Japan sträuben. Aber der Finanzmarkt zwingt sie dazu. Die Leitzinsen und die Anforderungen für die Mindestreservehaltung der chinesischen Banken wurden erneut gesenkt. Zugaben sind mehr als wahrscheinlich. Und da die Finanzmärkte in China angeschlagen sind und das Risiko schwerer realwirtschaftlicher und sozialpolitischer Schäden droht, hat die chinesische Regierung bereits chinesische Standardaktien gekauft. Sollte es erforderlich sein, wird hier auch die People’s Bank of China ihr Portemonnaie weit öffnen und notleidende Unternehmenskredite und massenhaft Aktien aufkaufen lassen. In der finanzwirtschaftlichen Not frisst man auch in China planwirtschaftliche Fliegen, um nicht das zweite Japan zu werden. Darauf einen Maotai.
Der Wunsch nach einer Wiederkehr geldpolitischer Normalität ist genauso illusorisch wie "Man müsste noch mal 20 sein"
Die internationale Bruder- bzw. Schwesternschaft des billigen und üppigen Geldes hat gar keine andere Wahl, als das verunsicherte Kopfkino der Finanzanleger bzw. realwirtschaftlicher Investoren wieder in den Griff zu bekommen. Ansonsten könnte aus einer finanzwirtschaftlichen Mücke ein die Weltwirtschaft zertrampelnder Elefant werden.
Zur Erinnerung: Die Pleite der Lehman-Bank 2008 war allein betrachtet zwar nicht schlimm. Schlimm waren erst die anschließenden Kollateralschäden: Die Portemonnaies wurde zugenagelt, es wurde nicht konsumiert und investiert, weder in die Finanz- noch in die Realwirtschaft. Die Notenbanken hüben wie drüben müssten mit der Muffe gepufft sein, wenn sie diese latente Gefahr nicht vorbeugend und offensiv bekämpften. Sie erinnern sich daran, wie mühsam es war, nach dem Platzen der Immobilienblase gegen die weltweit negative Stimmung von Anlegern, Konsumenten und Investoren anzukämpfen.
So etwas wie 2008 und 2009 halten wir nicht mehr aus.
So etwas wie 2008 und 2009 halten wir nicht mehr aus. Also wird die internationale Geldpolitik ihre langjährige Allmacht in der Finanzwelt nicht durch plötzliche Impotenz ersetzen. Ansonsten können wir im schlimmsten Fall aus den Börsensälen dieser Welt Getreidesilos machen. Die geldpolitische Illusion muss aufrecht gehalten werden. Das mag wie ein Stoßgebet klingen. Aber kennen Sie eine Alternative? Und wenn dennoch einige Zeitgenossen tatsächlich unentwegt behaupten, die Wiedergeburt einer traditionellen Notenbankpolitik stünde an, kann ich nur sagen: Auch durch tausendfache Wiederholung wird eine falsche Behauptung nicht wahr.
Auf Seite 5: Und was sollen die Anleger nun tun?
Und was sollen die Anleger nun tun?
Mir ist es lieber, die Aktienmärkte bereinigen sich jetzt als später im Herbst. Vorerst wird die Schwankungsbreite bei Aktien hoch bleiben.
Grundsätzlich ist die fundamentale Lage in der Eurozone - das zeigen die letzten ifo-Zahlen und die Einkaufsmanagerindices auf nationaler EU-Ebene - stabiler als man mit Blick auf die verunsicherten Aktienmärkte annehmen könnte. Interessanterweise wird von den globalen Investoren Deutschland und die Eurozone zurzeit als vergleichsweise stabil betrachtet. Aus den negativen Schlagzeilen mit Griechenland sind wir - einstweilen - etwas heraus. Außerdem hat Europa aufgrund der vergangenen Euro-Krise konjunkturelles Nachholpotenzial. Aus Exportsicht ist der Euro im Vorjahresvergleich günstig bewertet, und zumindest uns hilft der schwache Ölpreis auch. Und über eine nachlassende Unterstützung der EZB muss sich niemand Sorgen machen. Erst kürzlich sprach die EZB von der Gefahr, dass sie ihr Inflationsziel verfehlen könnte. Die Gegenmaßnahme ist klar, oder?
Die Chancen, dass Anlagegelder den Weg von Amerika und Asien nach Europa finden, sind gut. Auch hiesige Investoren bringen das Anlagegeld wieder nach Hause.
Bleiben Sie Aktien treu!
Anleger sollten ihre regelmäßigen Aktienansparpläne unbedingt weiterführen oder damit beginnen. Immerhin bekommen sie bei schwächeren Kursen für den gleichen Euro-Anteil mehr Aktienanteile. Im Übrigen kann man die Aktienbestände mit Teilschutzzertifikaten, die aufgrund der deutlich gestiegenen Kursschwankungen günstige Konditionen bieten, gut absichern.
Grundsätzlich glaube ich, dass wir uns in einer volatilen Bodenbildung befinden. Ich rechne nicht mit einem langen Abwärtstrend wie z.B. nach der Dotcom-Krise. Die Geldpolitik wird einen nachhaltigen Bärenmarkt verhindern. Die Liquiditätshausse ist gezwungenermaßen nicht vorbei. Bleiben Sie Aktien treu! Am Jahresende stehen wir deutlich oberhalb von 11.000 DAX-Punkten. Dagegen bleiben die Zinsmärkte eins: Unattraktiv.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.