Die von ihm vehement abgelehnte abermalige Verschiebung des Austrittsdatums muss er nun wohl oder übel hinnehmen. EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte, er werde den verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten eine Verlängerung der Frist empfehlen, um einen ungeordneten Austritt Großbritanniens zu verhindern. Im Gespräch ist eine Verschiebung bis zum 31. Januar 2020. Die Bundesregierung erklärte am Mittwoch, eine Verlängerung mittragen zu wollen. Frankreich reagierte dagegen zurückhaltend.

Die Abgeordneten im Unterhaus lehnten am Dienstagabend Johnsons Zeitplan für die Debatte über die Gesetze zur Umsetzung des Brexit ab. Der Premier zeigte sich nach seiner Niederlage enttäuscht. Damit bleibe die Brexit-Unsicherheit erhalten. "Die EU muss nun entscheiden, wie sie auf die Bitte des Parlaments um eine Fristverlängerung antwortet." Er werde mit den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten sprechen. "Bis sie eine Entscheidung getroffen haben, werden wir diese Gesetzgebung aussetzen." Er sei weiter gegen eine Verlängerung der Frist. Großbritannien werde die Vorbereitungen auf einen Austritt ohne Abkommen verstärken. Einen Austritt ohne Abkommen hat das Unterhaus aber per Gesetz untersagt. Eine Person aus Johnsons Büro sagte, eine Neuwahl sei der einige Weg, aus der Brexit-Krise herauszukommen.

"Ich kann für die Bundesregierung sagen: An Deutschland wird eine Verlängerung nicht scheitern", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Zu der Frage, wie lange eine solche Verlängerung ausfallen könnte, wollte er sich nicht äußern. Der irische Regierungschef Leo Varadkar erklärte, sollte es einen Konsens geben, sei das schriftliche Verfahren ausreichend. Sollte dies nicht der Fall sein, müsse ein weiterer EU-Gipfel einberufen werden, womöglich schon am kommenden Montag, vielleicht sogar schon am Freitag. Ein Johnson-Sprecher sagte, der Premier sei zuversichtlich, noch bis Ende Oktober die nötige Unterstützung im Unterhaus zu bekommen.

Das Parlament hat sich bereits mit dem Withdrawal Agreement Bill (WAB) befasst, das die Umsetzung des Brexit-Abkommens in britisches Recht regeln soll. Zwar stimmten die Abgeordneten zunächst in zweiter Lesung grundsätzlich für die entsprechenden Entwürfe. Allerdings verlor die Regierung mit 322 zu 308 das zweite Votum zum Zeitplan für das Gesetzgebungsverfahren. Viele Abgeordnete kritisierten, die angesetzten drei Tage für die Debatte über die mehr als 100 Seiten des WAB seien zu kurz. Gesetze in dieser Größenordnungen werden üblicherweise über Wochen besprochen. Der Unterhaus-Vorsitzende Jacob Rees-Mogg kündigte an, man werde an diesem Mittwoch und am Donnerstag die Debatte über das weitere politische Programm der Regierung fortsetzen.

"ZU WELCHEM ZWECK?"


Eine Sprecherin der EU-Kommission erklärte in einer ersten Reaktion auf Twitter, man nehme das Abstimmungsergebnis zur Kenntnis und erwarte, von der britischen Regierung über die nächsten Schritte informiert zu werden. Ratspräsident Tusk berate mit den Staats- und Regierungschefs über die am Wochenende übermittelte britische Bitte um eine Verlängerung der Austrittsfrist bis zum 31. Januar 2020. Aus hochrangigen EU-Kreisen verlautete am Dienstagabend, es werde "mit Sicherheit" keine sofortige Reaktion aus Brüssel geben. "Wir bleiben ruhig", sagte ein Diplomat. Tusk will die EU-27 eigenen Angaben zufolge in einem "schriftlichen Verfahren" um Zustimmung für eine Verlängerung bitten. Einen zuvor angedachten Sondergipfel soll es demnach nicht geben.

Bundesaußenminister Heiko Maas sagte dem Sender n-tv am Mittwoch, ein abermaliger Aufschub müsse begründet sein. Falls es sich um eine Verzögerung von zwei oder drei Wochen handele, damit die Abgeordneten in London die Brexit-Gesetzgebung abschließen könnten, dann sollte es kein Problem seien. Die französische Ministerin für Europa-Fragen, Amelie de Montchalin, zeigte sich ihrem Sprecher zufolge skeptisch zum britischen Antrag. "Wir wurden um eine Verlängerung gebeten", habe sie vor dem Senat im Paris noch am Dienstagabend erklärt. "Zu welchem Zweck? Was ist die Rechtfertigung dafür?" Mehr Zeit werde das Problem nicht lösen, benötigt werde eine politische Entscheidung. Die gegenwärtige Situation könne nicht endlos beibehalten werden.

rtr