Offen ist, ob der mit der EU ausgehandelte Vertragsentwurf eine Mehrheit im Parlament findet. Nach einem Bericht der BBC machen Mays Gegner in der eigenen Partei mobil. Sie haben demnach bislang jedoch nicht genügend Stimmen zusammen, um eine Misstrauensvotum zu erzwingen.

May verteidigte sich angesichts der Rücktrittswelle vor Journalisten. Sie verurteile ihre Kollegen nicht, die anders denken würden. Aber sie habe ein Ziel. "Ich glaube mit jeder Faser meines Körpers, dass der von mir vorgegebene Kurs der richtige ist für unser Land und alle Einwohner." Sie habe von Anfang klargemacht, dass sie das Ergebnis des Brexit-Referendums umsetzen wolle. Auf Basis des Austrittsabkommens könne das Königreich die volle Kontrolle über seine Grenzen zurückgewinnen, die Personenfreizügigkeit dauerhaft abschaffen, die EU-Agrarpolitik und die Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs verlassen.

Da Nachverhandlungen für die EU laut Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht in Frage kommen dürften, könnte es bei einem Scheitern Mays im Parlament zu einem harten Brexit kommen: "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es einen Austritt Großbritanniens ohne Abkommen geben könnte", warnte Frankreichs Ministerpräsident Edouard Philippe in Dünkirchen. Dies werde sein Land vor "sehr große Probleme" stellen, insbesondere was den Handel über den Ärmelkanal angehe. Kanzlerin Merkel betonte, dass nun ein Dokument auf dem Tisch liege, dem Großbritannien und die EU der 27 zugestimmt hätten. Ungeachtet der unklaren Aussichten in London wollen die EU-Staats- und Regierungschefs auf einem Sondergipfel am 25. November über den Brexit-Vertragsentwurf entscheiden.

Die Sorge darüber, dass es zu einem chaotischen EU-Ausstieg Großbritanniens kommen könnte, löst zusehends Nervosität auch unter Anlegern aus. Das britische Pfund geriet nach dem Rücktritt der Minister erneut unter Druck: Mit einem Minus von knapp zwei Prozent steuerte die Währung auf den größten Tagesverlust seit zwei Jahren zu.

MAY UNTER DRUCK



Die in den eigenen Reihen ohnehin umstrittene britische Regierungschefin steht nun verstärkt unter Druck, zumal ihre Konservativen im Parlament keine eigene Mehrheit haben. Abgeordnete der nordirischen Partei DUP, die die Tory-Regierung toleriert, kündigten an, gegen den Vertrag zu stimmen. Nach einer stundenlangen Zitterpartie hatte das Kabinett am Mittwochabend grünes Licht für den EU-Ausstiegsvertrag gegeben, der Großbritanniens Ausscheiden aus der EU Ende März 2019 regeln soll.

May kündigte an, sich gegen ein Misstrauensvotum zu wehren. Sie gehe weiterhin davon aus, dass sie das Land zum Zeitpunkt des Brexit führen werde, sagte ihr Sprecher. Ein Misstrauensvotum wird dann fällig, wenn mehr als 15 Prozent der konservativen Abgeordneten per Brief eine derartige Abstimmung fordern. Mays konservativer Widersacher Jacob Rees-Mogg forderte ihren Rücktritt. Der nächste Regierungschef müsse jemand sein, der an einen Brexit glaube, sagte er.

Größter Streitpunkt in den Brexit-Verhandlungen ist die Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland, die nach einem Ausstieg des Vereinigten Königreichs eine EU-Außengrenze wäre. Dort soll es nach dem Willen von Brüssel auf keinen Fall wieder Kontrollen geben. In dem Fall wird ein Wiederaufflammen der Gewalt befürchtet, wie in den Jahrzehnten vor dem Irland-Friedensabkommen von 1998. Gelöst werden könnte das Problem durch einen neuen Handelsvertrag zwischen der EU und dem Königreich. Der kann aber erst nach dem Brexit verhandelt werden. Falls das nicht klappt, hat die EU eine Art Versicherungs-Police durchgesetzt, den sogenannten Backstop. Der würde das Königreich in einer Zollunion mit der EU halten, wobei Nordirland eine Sonderrolle hätte. Die Provinz müsste sich stärker als der Rest des Landes an das EU-Zollsystem und die Produktstandards halten. Die Aussicht sorgt in London und Belfast für viel Unruhe.

Der zurückgetretene Brexit-Minister Raab erklärte, dass der von May vorangetriebene EU-Ausstiegsvertrag und insbesondere die Vorschläge zu Nordirland eine "sehr reale Bedrohung für die Integrität des Vereinigten Königreichs" seien. Zudem könne er die Bedingungen des Abkommens nicht mit den Versprechen in Einklang bringen, die dem Land bei dem Referendum im Juni 2016 gemacht worden seien. Raab hatte den Top-Job erst im Juli von seinem Vorgänger David Davis übernommen. Der warf ebenfalls aus Protest gegen Mays Brexit-Strategie hin.

rtr