Welche Partei wird bei der anstehenden Bundestagswahl die Nase vorn haben und wieso?
Nach den jüngsten Umfragen läuft es am 26. September auf einen Zweikampf zwischen Union und SPD hinaus. Die SPD hat in den vergangenen Wochen kontinuierlich Boden gut gemacht und liegt mittlerweile in den Umfragen über 20 Prozent. Die CDU/CSU hat dagegen ihren ehemals großen Vorsprung eingebüßt, sodass sie nun in etwa gleichauf mit der SPD liegt. Insofern haben sowohl Armin Laschet als auch Olaf Scholz gute Chancen, nächster Bundeskanzler zu werden. In der Beliebtheit liegt Olaf Scholz deutlich vor seinem Konkurrenten aus der CDU, der noch hinter der Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, rangiert. Zudem könnte Olaf Scholz den Vorteil haben, dass bei der SPD die eigenen Wähler geschlossener hinter ihrem Kandidaten stehen, als dies bei Armin Laschet und den Unionswählern der Fall ist. Da aber ein großer Teil der Wähler noch unentschlossen sein dürfte, ist das Rennen um das Kanzleramt derzeit noch offen.

Welche Koalitionen halten Sie für wahrscheinlich?
Nach den jüngsten Umfragen wäre eine Zwei-Parteien-Koalition nicht möglich. Damit scheidet eine erneute Große Koalition - die SPD hatte ein erneutes Bündnis ohnehin schon abgelehnt - genauso aus wie eine Schwarz-grüne Koalition. Zu den wahrscheinlichsten Bündnissen zählen die Ampel sowie eine Jamaika-Koalition. Damit käme der FDP eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung zu, ob grün-gelb lieber mit Armin Laschet oder Olaf Scholz zusammenarbeiten möchte. Sollte es bei den aktuellen Umfragewerten bleiben, halten wir eine Jamaika-Koalition (Union, Grüne und FDP) für das wahrscheinlichste Szenario. Der Grund: Die Wahlprogramme von Union und FDP haben deutlich größere Überschneidungen als die von SPD und FDP. Zudem hätte eine Jamaika-Koalition zumindest derzeit eine größere Mehrheit im Bundestag als die Ampel.

Welche Auswirkungen hätte die Jamaika-Koalition auf die deutsche Wirtschaft?
Die Jamaika-Koalition dürfte eine gute Lösung sein. Damit verbunden wäre eine weiterhin stabilitätsorientierte Fiskalpolitik. Ziel wäre also weiter ein ausgeglichener Haushalt und die Beibehaltung der Schuldenbremse. Schlüsselthemen wie Digitalisierung, Infrastruktur und Umweltschutz haben nahezu alle Parteien im Programm. Allerdings könnte die Beteiligung der FDP dazu führen, dass insbesondere beim Umweltschutz eher marktbasierte Instrumente zum Einsatz kommen als nur Verbote. In der Steuerpolitik liegen Union und FDP auf der einen und die Grünen auf der anderen Seite weit auseinander, sodass es hier zu Kompromissen kommen müsste. Die FDP hat bereits angekündigt, dass es höhere Steuern mit ihr nicht geben wird. Größere Veränderungen in der Besteuerung von Unternehmen und Privatpersonen scheinen daher wenig wahrscheinlich.

Was bedeutet die anstehende Bundestagswahl für Anleger?
Für die Aktienmärkte in Deutschland rechnen wir in Bezug auf die Bundestagswahl mit wenigen Impulsen. Deutschland insgesamt und viele seiner Unternehmen sind sehr exportorientiert aufgestellt. Für den deutschen Aktienmarkt sind aus unserer Sicht daher vielmehr die Geldpolitik sowie die internationale Konjunkturentwicklung entscheidend. Auswirkungen durch die Bundestagswahl könnte es jedoch in bestimmten Branchen und bei einzelnen Unternehmen geben. So könnten Unternehmen aus dem Industriesektor aufgrund zunehmender Investitionen in den Bereichen Elektromobilität, Bahninfrastruktur und Windkraft profitieren. Zudem wird die Stromnachfrage weiter zunehmen, sodass auch Versorger zu Gewinnern zählen könnten. Einige Versorgungsunternehmen könnten allerdings auch negativ von einem möglicherweise schnelleren Kohle-Ausstieg betroffen sein. Deshalb muss in diesem Bereich genau differenziert werden.

In welchen Bereichen rechnen Sie mit negativen Effekten?
Insbesondere bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen erwarten wir in den Bereichen Luftfahrt, Flughäfen, Chemie und Wohnungsbauunternehmen negative Effekte. Die jüngsten Ideen zum Verbot von Inlandsflügen werfen hier ihre Schatten voraus. Ein besonderes Augenmerk sollte bei einer Regierungsbildung Rot-Grün-Rot auf den Rentenmarkt gelegt werden. Ein solches Bündnis könnte nämlich eine Kurskorrektur in der Europapolitik mit höheren Transferzahlungen zur Folge haben. Bundesanleihen dürften in einem solchen Szenario unter Druck geraten. Anleihen aus der europäischen Peripherie sollten dagegen davon profitieren. Ein Jamaika-Bündnis könnte hingegen den gegenteiligen Effekt auslösen. In diesem Fall wären Bundesanleihen aufgrund der Aussicht auf stabile Staatsfinanzen stärker gefragt.

Was wäre für Anleger der ungünstigste Wahlausgang und warum?
Wir rechnen damit, dass eine Rot-Grün-Rote Regierung von den Kapitalmarktteilnehmern am negativsten beurteilt würde. Es würde wahrscheinlich zu Kursabschlägen an den deutschen Aktienmärkten kommen. Sollte dieses Szenario in den kommenden Wochen wahrscheinlicher werden, würden Anleger, die stark in deutschen Aktien investiert sind, diese Werte wohl gegen internationale Aktien tauschen. Der politische Einfluss sollte zwar auf bestimmte Branchen, wie zum Beispiel die Wohnungsbauunternehmen, die Luftfahrtindustrie, Unternehmen, die besonders viel CO² ausstoßen und die Chemieindustrie begrenzt bleiben. Allerdings könnte im Falle einer Rot-Grün-Roten Regierungsbildung das Sentiment für deutsche Aktien insgesamt, insbesondere unter ausländischen Investoren, für eine längere Zeit belastet sein.

Was erhoffen Sie sich von der kommenden Regierungsperiode?
Es braucht eine Strategie, wie sich Deutschland im Zeitalter der Digitalisierung, des Klimawandels, der geopolitischen Spannungen und der demografischen Entwicklung positioniert, um nachhaltiges Wachstum zu erzeugen. Gleichzeitig muss das Land wettbewerbsfähig und innovativ bleiben. Dabei sollte Nachhaltigkeit in ökologischer und sozialer Hinsicht als Chance für Deutschland und seine Unternehmen begriffen werden. Es sollte hervorgehoben werden, wie wichtig der Kapitalmarkt, die private Vermögensbildung sowie die Altersvorsorge sind. Nicht zuletzt wäre ein stärkerer Einfluss auf EU-Ebene wünschenswert. Damit ließe sich die Souveränität der EU stärken und Europa könnte außenpolitisch auf Augenhöhe mit den USA und China agieren. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn marktwirtschaftliche Steuerungselemente wieder an Bedeutung gewinnen würden. Das würde helfen, anstehende Herausforderungen wie Klimawandel und Migration ökonomisch zu stemmen.