Auch wenn seit dem Amtsantritt von Joe Biden die Tonalität leiser wurde, ändert das nichts daran, dass sich die beiden wirtschaftlichen Großmächte inhaltlich kein Stück nähergekommen sind. Vielmehr sind die von Donald Trump implementierten Restriktionen weiterhin in Kraft. Auch endete ein Treffen zwischen der stellvertretenden US-Außenministerin Wendy Sherman und dem chinesischen Außenminister Wang Yi Mitte Juli ohne nennenswerte Fortschritte. Während China von "Stillstand" sprach, betitelte es Joe Biden als Gefahr eines "echten Krieges". Ein Gipfeltreffen der beiden Präsidenten Xi Jinping und Biden ist nach wie vor nicht in Aussicht.

Die Liste der gegenseitigen Vorwürfe ist lang und beinhaltet neben Handelspraktiken, Marktzugangsbeschränkungen und Wett- bewerbsbedingungen auch politisch brisante Themen wie Menschenrechte, die Frage des Ursprungs der Corona-Pandemie, den Umgang mit Iran und Nordkorea, die Verwicklung Chinas in Cyberangriffe, die Kooperation beim Klimaschutz oder den Status Taiwans. Hinzu kommen einige direkt kapitalmarktrelevante Aspekte, etwa das Handelsverbot für ausgewählte chinesische Aktien in den USA, das rigorose Vorgehen der chinesischen Regulierung gegenüber Nachhilfeunternehmen mit negativen Auswirkungen auf den gesamten Techsektor oder der Vorwurf Chinas, durch die ultraexpansive Geldpolitik in den USA würden global stabilitätsgefährdende Asset-Preisblasen angeheizt.

Offensichtlich ist der Handelskonflikt nur eines von verschiedenen Hilfsmitteln im Wettlauf um die wirtschaftliche, technologische und wohl auch irgendwann einmal militärische Vormachtstellung in der Welt. Er wird die internationalen Beziehungen voraussichtlich jahrzehntelang prägen. Ähnlich wie zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion geht es auch diesmal um einen Wettbewerb der Systeme. Allerdings ist das heutige Regime und Wirtschaftssystem Chinas nicht mehr mit dem des Ostblocks im 20. Jahrhundert vergleichbar. Vor allem technologisch setzt China viele Maßstäbe und profitiert von einer geschickten Kombination aus rigoroser Staatsmacht und kapitalistischen Ansätzen. Freiheiten werden allerdings nur so lange gewährt, wie sie dem Machterhalt der Regierenden in Peking nicht gefährlich werden. In Washington hingegen setzt Joe Biden auf genau dieses Argument, den Systemwettbewerb, um die internationalen Reihen gegenüber China zu einer gemeinsamen Position zu bewegen. Es ist davon auszugehen, dass die US-Regierung von der neuen deutschen Regierung nach der Bundestagswahl diesbezüglich eine klare Positionierung erwartet.

Für Wirtschaft und Kapitalmärkte bergen diese Entwicklungen besondere Herausforderungen. Für Deutschland sind die USA und China die wichtigsten Handelspartner und Exportabnehmer außerhalb der EU. Im Jahr 2017 wurden knapp 20 Prozent der chinesischen Exporte in die USA geliefert. Chinesische Vorleistungen sind für viele US-Unternehmen auch heute noch fester Bestandteil der Produktionskette. Umgekehrt belief sich der Anteil der US-Exporte in Richtung China auf etwa 8,5 Prozent. Hinzu kommen gegenseitige Direktinvestitionen und Unternehmensbeteiligungen. 2020 sind zwar die weltweiten Auslandsinvestitionen eingebrochen. China verzeichnete jedoch eine Zunahme, vor allem in den Sektoren Pharma und Technologie.

Auch wenn beide Seiten versuchen, gegenseitige Abhängigkeiten zu reduzieren, wäre ein kompletter Abbruch bestehender Beziehungen derzeit undenkbar und würde mit massiven wirtschaftlichen Schäden einhergehen. Andererseits ist ein "Weiter so" ebenfalls unrealistisch. Angesichts der Fülle an zu regelnden Themen dürfte dieser Prozess aber Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dauern und zwischenzeitlich immer wieder mit Rückschlägen verbunden sein.

 


Carsten Mumm

Mumm studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann Volkswirtschaftslehre. Seit 2017 ist er Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel. Zuvor leitete er die Abteilung Kapitalmarktanalyse und war somit verantwortlich für die Erstellung der Konjunktur- und Kapitalmarktprognosen sowie für alle Fragen rund um das Thema Asset Allocation. Donner & Reuschel ist auf das Private Banking spezialisiert.