Die zurückliegende Woche brachte neue Rekorde im DAX, doch die Deutschen trauen dem Frieden nicht. Wie weit kann die Rally gehen? Wir sprachen mit Carsten Mumm, dem Kapitalmarktstrategen und Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel.


Börse Online: Herr Mumm, wie hoch klettert der DAX bis zum Jahresende?
Carsten Mumm: Wir denken, 14 000 Punkte sind durchaus vorstellbar.

Ist das angesichts des jüngsten Kursanstiegs nicht ein bisschen arg konservativ?
Wir gehen zwar von einem moderat positiven Basisszenario aus, aber es gibt doch einige strukturelle Themen, die der Markt bislang ignoriert hat. Die Industrieproduktion sinkt, wir befinden uns bereits in einer Industrierezession. Allein der Wandel in der Automobilindustrie hat Deutschland 75 Basispunkte beim BIP-Wachstum gekostet. Hinzu kommt, dass der Brexit Deutschlands Exportwirtschaft ins Mark treffen kann. Daher der Hinweis, der in keinem Ausblick fehlen darf: Es wird volatiler werden.

Das hört sich nun alles andere als positiv an, auch nicht mit dem Zusatz "moderat".
In unserem Szenario gehen wir davon aus, dass es nach der Übergangsphase nicht doch noch zu einem harten Brexit in der Jahresmitte kommt, dass die westlichen Industrienationen nicht in eine Rezession abrutschen, dass es keine allzu starken Störfeuer durch Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China oder Europa gibt. Das sind die positiven Aspekte. Was man aber nicht vergessen sollte, ist, dass sich die wirtschaftliche Situation im zweiten Halbjahr 2019 komplett anders entwickelt hat als die Börse. Vor diesem Hintergrund kam der DAX-Anstieg um 25 Prozent im vergangenen Jahr schon überraschend.

Und das macht den Markt Ihrer Meinung nach anfällig für Korrekturen?
Die Kurse sind gestiegen, obwohl die Gewinn­erwartungen laufend reduziert wurden - und das unter minimalen Schwankungen. Hintergrund dürfte die 180-Grad-Kehrtwende der US-Notenbank gewesen sein, aus geldpolitischer Sicht das beherrschende Thema des vergangenen Jahres. Die Märkte werden also weiter bei geringsten Anzeichen von Schwäche mit Geld geflutet. Das hat vielfach zu aufgeblähten Assetpreisen und Zombie­unternehmen geführt. So etwas muss sich irgendwann normalisieren - und dann wird auch die ungewöhnlich niedrige Volatilität wieder auf ein normales Maß steigen.

Starke Kursschwankungen sind einer der Hauptgründe, warum die Deutschen nur sehr zögerlich in Aktien investieren, falls überhaupt. Welche Alternativen haben vorsichtige Anleger?
Da Sicherheit trotz des neuen Allzeithochs im DAX bei der Mehrheit der Bevölkerung gefragt bleiben wird, sind die Aussichten für Bundesanleihen, Gold und Schweizer Franken weiterhin nicht schlecht. Wir hatten Gold einen Anstieg über 1500 US-Dollar vorausgesagt, der schneller eingetreten ist als erwartet. Das frühere Argument gegen das Edelmetall, dass es keinen Zins zahlt, gilt ja schon lange nicht mehr. Heute muss man sagen: Gold zahlt wenigstens keinen Negativzins.

Welchen Einfluss wird die Präsidentschaftswahl in den USA haben?
Wir erwarten noch eine Zinssenkung der Fed in diesem Jahr, die aber wegen des Wahlkampfs wohl nicht in den ersten drei Quartalen kommen wird, sondern im letzten Jahresviertel, also nach der Entscheidung. Das Wachstum in den USA wird sich weiter abschwächen, aber eine Rezession droht unserer Einschätzung nach nicht. Da Präsident Donald Trump alles tun wird, um Wirtschaft und Bevölkerung bei Laune zu halten, wird er sicher nicht mit großen Ankündigungen geizen, was auch positive Auswirkungen auf die Stimmung am Aktienmarkt haben sollte.

Und die andere Seite? Wall-Street-Börsianer treibt die Sorge um, dass die Demokraten Bernie Sanders oder Elizabeth Warren ins Rennen schicken könnten. Beide sind eher am linken Rand anzusiedeln. Was, wenn Amerika sozialistisch regiert wird?
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sanders oder Warren den Hauch einer Chance gegen Trump hätten. Dazu sind die USA viel zu kapitalistisch geprägt.

Zurück nach Europa. Wann gibt es wieder Zinsen aufs Ersparte?
Auch wenn die Kritik an der Nullzinspolitik und der damit verbundenen Enteignung der Sparer wächst: Solange die Inflation nicht spürbar steigt, wird Europa noch sehr viele Jahre in einem Null- oder zumindest Niedrigzinsumfeld feststecken, wahrscheinlich über das Ende des Jahrzehnts hinaus. Sollte die Konjunktur abkippen oder die geopolitische Situation eskalieren - Stichwort Iran -, ist es sogar wahrscheinlich, dass die EZB ihr Wertpapierkaufprogramm ausweitet. Möglicherweise wird sie nach dem Vorbild der Schweizer Nationalbank sogar Aktien kaufen, um die Märkte zu stabilisieren. Der einzige Schritt in die andere Richtung, den wir uns vorstellen können, ist, dass die jüngste Absenkung des Einlagezinses von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent bald zurückgenommen wird.

So schnell? Warum das?
Weil es nichts gebracht hat. Da der Schritt noch tiefer in den negativen Bereich keinen Effekt hatte, kann er auch rückgängig gemacht werden, ohne Schaden anzurichten. Wahrscheinlich wäre das ein positives Signal, weil es die Banken entlastet.

Aber der Leitzins bleibt unten. Sind wir auf dem Weg zu japanischen Verhältnissen?
Was gegen ein 30-Jahre-Japan-Szenario spricht, ist der Wachstumsschub, den die Digitalisierung auslösen wird. In der langfristigen Betrachtung ist das die logische Fortsetzung der Industrialisierung, die im 18. Jahrhundert mit der ersten Dampfmaschine begann. Die Effizienz- und Produktivitätsgewinne werden enorm sein.

Ist Deutschland bei diesem Thema nicht gnadenlos hintendran?
Im B2C-Bereich vielleicht. Um die Industrie muss man sich aber weniger Sorgen machen. Wir haben das Know-how im Maschinenbau, und auch die Forschungsarbeit hinsichtlich künstlicher Intelligenz ist vielversprechend. Kurz und gut: Wir sind in der Lage, exzellente Maschinen in Fabrikhallen zu stellen, sie müssen nur noch vernetzt werden. Das ist ein relativ kleiner Schritt.

Mit großen Folgen für den Arbeitsmarkt.
Sicher wird das zulasten gering qualifizierter Tätigkeiten gehen. Robotersteuer und Grundeinkommen werden beherrschende politische Diskussionsthemen der Zukunft sein, überhaupt die Frage, wie Arbeit neu definiert werden kann. Auch das Berufsbild des Bankers wird sich wandeln, insbesondere in der Vermögensberatung. Ein optimiertes Portfolio kann ein Robo-Advisor schon heute zusammenstellen. Was er nicht ersetzen kann, ist der persönliche Kontakt. Möglicherweise wird diese Art der Vernetzung eine immer größere Rolle spielen.

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