Manch gängiges Modell bewertet die Märkte derzeit als überkauft oder sogar überhitzt und beschreibt eine überfällige Korrektur. Ein Grund: Die gute Berichtssaison mit vielen sehr starken Gewinnüberraschungen wird bereits als eingepreist angesehen, als eine auf die Pandemiekrise folgende Normalisierung. Eine Normalisierung also, die aber nur den Status quo ante wiederherstellt und dann endet. Eine Eintagsfliege, eine Restauration. Doch das tut der Dynamik und dem Aufbruchswillen unrecht. Die zukünftigen Gewinne werden womöglich noch unterschätzt. Die Konjunktur bäumt sich hier nicht nach einem Absturz auf, um dann wieder einzubrechen. Wir sehen hier weltweit ein nachhaltigeres Wachstum, einen neuen Konjunkturzyklus, der durch die Pandemiekrise gestartet wurde.

Denn wie auf gesellschaftliche Themen hat die Pandemie auch bei Unternehmen als Katalysator gewirkt. Viele haben festgestellt, dass sie in die falsche Richtung unterwegs waren oder zumindest noch viel Ballast mitschleppten. Unrentable Geschäftsbereiche etwa, die in der Vorpandemiephase noch getragen wurden, weil der Aufwand für den harten Schnitt zu groß erschien. Oder sich festgebissen hatten auf einem Weg, der nicht mehr lange in die Zukunft führen konnte. Oder, ganz simpel: dass die Digitalisierung verschlafen oder verschleppt wurde, aus Investitionsscheu oder weil Beharrungskräfte zu groß waren. Wie viele Unternehmen haben die Verlagerung auch nur kleinerer Prozessteile ins Homeoffice noch vor einem Jahr für unmöglich gehalten? Hier hat eine unglaublich steile Lernkurve die Führungsebenen erreicht und für radikales Umdenken gesorgt.

Es ist genau diese Radikalität, die eine Wirtschaft braucht, um neu durchzustarten. Nicht getragen von einzelnen Firmen, die vorangehen. Sondern in einer Breite, die auch einen neuen Technologiezyklus auslöst, den der Einsatz neuer Methoden in der Breite bringt. Die Pandemie hat hier einiges in Bewegung gebracht, hier wird jetzt ebenso schnell wie nachhaltig korrigiert. Es bedarf nun zum Teil hoher Ausrüstungsinvestitionen, um das eigene Unternehmen wieder fit zu machen, neu aufzustellen und dann durchzustarten. Das aber bedeutet etwa für Maschinen- und Anlagenbauer eine lang anhaltende Konjunktur. Das Beispiel Autoindustrie zeigt deutlich, was zu erwarten ist. Es ist kein Zufall, dass VW in der Corona-Krise den größten Schwenk seiner Geschichte ankündigt, verbunden mit Milliardeninvestitionen. Auch die anderen deutschen Autobauer gehen neue Wege, sourcen Teile der Fertigung benötigter Komponenten ein und investieren etwa in Batterieforschung und -bau oder sogar in die Chip-Produktion.

Hier entstehen ganze Industrien neu - mit allen Kaskadeneffekten bei Zulieferern, Anbietern der Anlagen, Maschinen und so weiter. Das ist eine sehr nachhaltige Konjunktur, die sich da aufbaut, und sie wird zu weiter steigenden Gewinnen führen. Insofern ist davon auszugehen, dass die Unternehmen noch einmal profitabler werden, die jetzt schon für hoch erachteten Kurse weiter steigen könnten. Wenn zu viele Marktteilnehmer Angst vor einem Absturz haben, mag es zu einer Delle kommen. Das wäre eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Die Annahme dahinter, es handele sich bei der derzeitigen Erholung um eine pandemiegetriebene Eintagsfliege, ist aber falsch.

Auf mittlere und lange Sicht wird die neue Gewinndynamik auch die Märkte mitreißen. Insofern ist es aus Risikosicht durchaus angebracht, die Meinung der anderen bei der Anlage zu berücksichtigen und sein Portfolio nicht in Hurramanier nur offensiv, techlastig und konjunkturoptimistisch aufzustellen. Aber genau diese Themen sollten das Depot tragen. Nicht mit der Befürchtung eines tiefen Absturzes sollte angelegt werden, sondern in Erwartung eines neu angefachten Konjunkturzyklus mit steigenden Gewinnen weltweit.
 


Carsten Gerlinger

Gerlinger ist seit sechs Jahren Vice President bei Moventum AM in Luxemburg. Der zertifizierte Finanzanalyst hat mehr als 30 Jahre Erfahrung im Wertpapiergeschäft. Moventum Asset Management S. A. ist eine hundertprozentige Tochter der Moventum S. C. A. In der Management Company werden die Moventum-eigenen Dachfonds sowie die individuellen Mandate im Rahmen der Vermögensverwaltungsportfolios gemanagt.
 


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