von Heinz-Gerd Sonnenschein, Aktienmarktstratege bei der Deutschen Postbank

Von Anfang Juli 2014 bis zum 12. Juni 2015 kannten chinesische Aktien fast nur eine Richtung: Aufwärts. Der Shanghai A legte in diesem Zeitraum 152 Prozent bis auf 5.410,86 Punkte zu. Auf die rasante Rally folgte für viele Investoren in chinesischen Aktien die Ernüchterung. Die Kurse brachen deutlich ein und bis zum 8. Juli hatte der Shanghai A ein knappes Drittel an Wert eingebüßt.

Eingeleitet wurde die Rally mit der teilweisen Freigabe kreditfinanzierter Aktienkäufe durch die Regulatoren. Im Verlauf von 2014 verzehnfachte sich das Wertpapierkreditvolumen und bis Juni 2015 verdoppelte es sich nochmals auf 365 Milliarden US-Dollar. Insgesamt waren rund 90 Millionen Privatanleger an der Börse investiert. Sie bestritten rund 80 Prozent des täglichen Handelsvolumens und hielten etwa zwei Drittel des Free Float der chinesischen Aktien und zeichneten auch für die Aufblähung des Wertpapierkreditvolumen maßgeblich verantwortlich. Dies war so nicht gewollt und Restriktionen wurden von Seiten der Börsenaufsicht wieder eingeführt. Folge: die Kurse brachen ein.

Die erste Reaktion von offizieller Seite auf die einbrechenden Kurse kam von der PBoC. Diese senkte am 27. Juni den Leitzins und reduzierte die Reserveanforderungen an die Banken. Die Kurse gaben weiter nach. Nun griff die Börsenaufsicht ein. Am 3. Juli wurde das "short selling" für einen Monat verboten.

Am 4. Juli wurden die CEOs der 21 wichtigsten chinesischen Finanzinstitute zur Börsenaufsicht eingeladen. Sie verpflichteten sich, einen Fonds mit 17,5 Milliarden Euro zum Ankauf von Aktien zu bestücken, eigene Aktien zurückzukaufen und keine Aktien zu verkaufen, bis der Shanghai Composite wieder ein Kursniveau von 4.500 Punkten (5.8.: 3.662 Zähler) erreicht hat. Die CSRC stoppte vorübergehend 28 anstehende IPOs und verschärfte die Genehmigungsverfahren für Kapitalerhöhungen. Parallel wurde veröffentlicht, dass die PBoC die CSF mit Liquidität versorgt, die zur Marktstabilisierung eingesetzt werden soll. Der Liquiditätsrahmen wurde nicht festgelegt, sondern es soll so viel Liquidität zur Verfügung gestellt werden, wie benötigt wird.

Am 8. Juli wurden Aktionäre, die mit mehr als fünf Prozent an einer chinesischen Aktiengesellschaft beteiligt sind, verpflichtet, in den kommenden sechs Monaten keine Anteile zu veräußern. Außerdem wurden zur Beruhigung des Marktgeschehens Aktien vom Handel ausgesetzt. Am 8. Juli betraf dies beispielsweise 1.287 Aktien. Dies entspricht 45,6 Prozent der in Shanghai und Shenzhen gelisteten Unternehmen. Dies zeigt eindrucksvoll, dass die Zentralregierung weiterhin die Fäden fest in der Hand hält.

Auf Seite 2: Peking muss sich öffnen





Trotz aller Ankündigungen ist der Weg hin zu einer freien Marktwirtschaft noch weit. Aber Peking muss sich öffnen. Der Renminbi soll Teil des Korbs der Währungen für die Sonderziehungsrechte werden, so lautet der Wunsch der Zentralregierung. Dies könnte bereits Ende 2016 der Fall sein, wenn China weitere Fortschritte bei der Liberalisierung der Finanzmärkte erzielt. Von der Erfüllung dieser Voraussetzung des IWF ist China aktuell noch ein gutes Stück entfernt. Dies zeigt die aktuelle Lage überdeutlich.

Mittel- und vor allem langfristig sind wir dennoch optimistisch für chinesische Aktien gestimmt. Nach unserer Einschätzung überwiegen eindeutig die Vor- gegenüber den Nachteilen und Peking wird die Liberalisierung der Finanzmärkte voranbringen. Welches Potenzial dieses Land hat, wird nach unserer Ansicht beispielsweise daran erkennbar, dass China das dritte Land der Erde ist, das erfolgreich einen Menschen in den Weltraum geschossen hat, der dann auch gesund wieder zurückgekehrt ist.

Allen Unkenrufen zum Trotz sehen wir die chinesische Wirtschaft auf einem guten Weg. Die Turbulenzen an den chinesischen Börsen dürften nach unserer Einschätzung keinen erheblichen negativen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung haben. Vielmehr sollten die bereits im Mai ergriffenen fiskalpolitischen Maßnahmen und auch die angekündigten milliardenschweren Investitionsprogramme in Infrastrukturprojekte im Verlauf des 2. Halbjahres die Konjunktur anschieben. China ist auf einem guten Weg, mittelfristig den Sprung zu einem Industrieland zu vollziehen und die USA gemessen am Bruttoinlandsprodukt als die Nummer Eins der Welt abzulösen.

Reuters