Aber du bekommst doch Geld." Kerstin Werner, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, kann gar nicht mehr zählen, wie oft sie diesen Satz inzwischen gehört hat - und wie oft sie daraufhin erklären musste, dass ihr die Hilfsprogramme des Staates bislang nur wenig geholfen haben. Werner organisiert Veranstaltungen - selbstständig, soloselbstständig, um genau zu sein. Damit gehört sie zu den rund 2,3 Millionen Erwerbstätigen, über die derzeit viel diskutiert wird, die nach Meinung vieler Experten in der aktuellen Krise durch fast alle Raster fallen. Trotz der "November-/Dezemberhilfe" und neu geplanter "Neustarthilfe" sieht Werner ihre Zukunft düster.

Der Grund: Alle bisherigen Maßnahmen des Bundes, also die Soforthilfen und auch die Überbrückungshilfen I bis III, waren oder sind so konzipiert, dass sie die Betriebskosten decken - und auch die nur zum (wenn auch großen) Teil und wenn sie regelmäßig anfallen. Entschädigungen für den eigenen Einkommensverlust gibt es, anders als bei Festangestellten, nicht.

Werner hat aber wie die meisten Soloselbstständigen oder Kleinstunternehmen keine hohen laufenden Kosten. Ihr fehlt schlicht das Geld für Miete und sonstige Lebenshaltungskosten. Durch die aktuelle November- und Dezemberhilfe (siehe Kasten) hofft sie nun zwar, Teile ihres Umsatzausfalls erstattet zu bekommen - aber nur für den Zeitraum des aktuellen Lockdowns light. Und damit hätte sie noch Glück: Soloselbstständige, die von den aktuellen Maßnahmen nicht direkt oder mit 80 Prozent ihres Umsatzes indirekt betroffen sind, gehen weiter leer aus.

Was Betroffene als besonders ungerecht erleben, sind zwei Aspekte. Der erste: Während der Staat Festangestellte für ihren Einkommensverlust mit Kurzarbeitergeld bis zu 87 Prozent ihres Gehalts entschädigt, werden Selbstständige auf einen ver- einfachten Zugang zur Grundsicherung verwiesen. Nicht nur "unglaublich demü- tigend", wie Kerstin Werner findet, sondern auch "fern jeder Lebensrealität", formuliert ein Sprecher der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. "Gerade wer sich bewusst dazu entschieden hat, selbstständig und eigenverantwortlich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, kriegt das mit seinem Selbstwertgefühl gar nicht hin."

Banken wimmeln Kreditanträge ab

Hinzu kommt, dass viele Betroffene auch trotz immer wieder propagierten vereinfachten Zugangs gar nichts bekommen, zum Beispiel weil ihr Partner zu viel verdient. Oder weil sie sich eine realistische Alterssicherung angespart haben, die, wie Finanzprofi und Anlageexperte Hermann-Josef Tenhagen immer wieder vorrechnet, deutlich über dem Schonvermögen von 60 000 Euro liegen muss. Viele Betroffene, so die Erfahrung der Münchner Steuerberaterin Claudia Teufl, "haben den Antrag daher gar nicht erst gestellt". Ihnen bleibt dann nur, Altersrücklagen zu plündern oder Schulden zu machen. Wobei Letzteres gar nicht so einfach ist, denn bei der Kreditvergabe haben es Soloselbstständige und Kleinstunternehmen schwer, wie sich schon gleich zu Beginn der Pandemie zeigte.

Der im März zunächst aufgelegte KfW-Unternehmerkredit war zwar grundsätzlich auch für diese Zielgruppe gedacht - viele bekamen ihn aber trotzdem nicht. Entweder weil den durchreichenden Banken der Arbeitsaufwand bei eher niedrigem Finanzbedarf zu hoch war, oder aber sie das Restrisiko von zehn Prozent nicht tragen wollten. Hier wurde zwar inzwischen nachgebessert: Seit 9. November kann der im April nachgeschobene KfW-Schnellkredit auch von Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und Soloselbstständigen in Anspruch genommen werden. Und einige Länder legten mit ihren öffentlichen Kreditinstituten Programme mit 100-prozentiger Absicherung und ausdrücklicher Anerkennung eines Unternehmerlohns auf. Das bedeutet für Betroffene aber, dass es auf ihren Wohnort ankommt, wie schnell und zu welchen Konditionen sie Geld bekommen.

Aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland gilt diese Ungleichheit nämlich auch für die Soforthilfen und Überbrückungsgelder. Um Soloselbstständige und Kleinstunternehmen nicht im Regen stehen zu lassen, haben einige Bundesländer schon bei der Soforthilfe eigenes Geld beigesteuert oder spezielle Programme aufgelegt. So zahlte beispielsweise Bayern Künstlern drei Monate lang bis zu 1000 Euro als Einkommensausgleich. In anderen Ländern wie Berlin, Hamburg, Thüringen oder Baden-Württemberg gab es ebenfalls Ausgleichszahlungen. Und in Nordrhein-Westfalen (NRW) konnten alle, die vorschnell Geld beantragt hatten, zumindest nachträglich 2000 Euro für den Lebensunterhalt ansetzen - wenn sie keine Grundsicherung bekamen.

Die Unterschiede zwischen den Bundesländern setzten sich bei den Überbrückungshilfen fort. So bezuschusst NRW einen fiktiven Unternehmerlohn von bis zu 1000 Euro pro Monat, in Baden-Württemberg und Thüringen sind es sogar 1180 Euro. Wer dagegen wie Kerstin Werner das Pech hat, in einem anderen Bundesland zu wohnen, geht leer aus.

"Man sieht uns nicht als Unternehmer"

Von Anfang an gab es Kritik am Umgang mit Soloselbstständigen: Zahlreiche Verbände forderten mehr Unterstützung für Freiberufler und Selbstständige. Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sprach in diesem Zusammenhang sogar von einer falschen Weichenstellung. Soloselbstständige, so sein Standpunkt, gehören nicht in die Grundsicherung, sondern haben ebenfalls Anspruch auf realistischen Lohnausgleich.

Konkrete Konsequenzen für die Bundespolitik hatte aller Protest aber bislang nicht. Auch die angekündigte Neustarthilfe von bis zu 5000 Euro entspannt die Lage nach Meinung von Experten und Betroffenen nicht. Statt sich an anderen europäischen Ländern wie Großbri- tannien, den Niederlanden oder Belgien zu orientieren und einfach einen Unternehmerlohn in die Überbrückungshilfen zu integrieren, entschied man sich für eine eigene Maßnahme, die der Lebensrealität von Soloselbstständigen nicht gerecht wird.

"Ganz ehrlich, wir verstehen das nicht mehr", sagt, reichlich frustriert, Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD). Von einem "schlechten Witz" spricht Catharina Bruns, Vorsitzende der 2019 gegründeten Kontist Stiftung, die Gründungskultur und Unternehmergeist fördern will. Ein Anliegen, das sie durch das derzeitige Handeln des Staates "zumindest nicht unterstützt" sieht. Dass es nicht gelingt, in der derzeitigen Krise auch für Soloselbstständige ein faires Ausgleichsinstrument zu schaffen, zeigt ihrer Meinung nach einmal mehr, dass man in Berlin kein Verständnis für modernes Arbeitsleben und Unternehmertum hat. "Man sieht uns nicht als Unternehmer, sondern als Menschen in Not - die man, anstatt sie zu entschädigen, in die Grundsicherung schickt."

Vor allem die geringe Höhe der zugesagten Hilfen ist es, die Entsetzen auslöst. Maximal exakt 714,29 Euro monatlich - rechnet der VGSD vor - sind das, wenn man den Bewilligungszeitraum von sieben Monaten zugrunde legt; auf 312,50 Euro schrumpft die Hilfe für diejenigen, die schon seit März kein Einkommen mehr haben. Zum Vergleich: Kurzarbeitergeld kann bis zu 4000 Euro im Monat betragen.

Ein weiteres Problem: Auch bei der Neustarthilfe handelt es sich nicht um einen Unternehmerlohn, sondern nur um pauschalierte Betriebskosten. Gedacht für diejenigen, die keine abtrennbaren Betriebskosten haben, also beispielsweise in der eigenen Wohnung arbeiten. Die Pauschale gibt es nicht zusätzlich, sondern stattdessen, was im Klartext bedeutet: Wer ein Büro oder andere Betriebsausgaben nachweisen kann, muss sich entscheiden. Zusätzlich bekommt er nichts - und kann seine private Miete immer noch nicht zahlen. Im schlimmsten Fall könnten sich die Bundesländer, die derzeit Unternehmerlohn zahlen, sogar entschließen, diesen zugunsten des neuen Pakets einzustellen.

Steuerberater im Dauerstress

Immerhin: Einen positiven Aspekt würdigt der VGSD. Wie bei der November- und Dezemberhilfe, die bei einem Betrag von bis zu 5000 Euro ohne Steuerberater beantragt werden kann, geht man davon aus, dass dies auch bei der Neustarthilfe so sein wird. Denn auch das für das Beantragen der Überbrückungshilfen I bis III notwendige Einschalten eines Steuerberaters stellte viele Selbstständige vor Probleme, die bislang ihre Steuererklärungen selbst machten. Nicht wenigen Kanzleien fehlte die Zeit, sich für ihre Stammklienten durch seitenlange Förderbedingungen der aktuell geltenden Maßnahmen zu kämpfen. Wer einen neuen Berater brauchte, fand oftmals gar keinen.

Dass es allerdings tatsächlich uneingeschränkt sinnvoll ist, selbst Anträge zu stellen, sieht man nicht überall so, denn spätestens mit Ende der Fördermaßnahmen erwarten die Finanzämter eine Endabrechnung. Und was das letztlich für einen Aufwand bedeutet und welche Unwägbarkeiten dann warten, so noch einmal Steuerberaterin Teufl, "weiß heute eigentlich noch niemand so genau".

 


Kreditprogramme für Soloselbstständige und sehr kleine Unternehmen

Seit dem 9. November 2020 kann der KfW-Schnellkredit, der mit einer vollständigen Ausfallgarantie des Bundes abgesichert ist, auch von Soloselbstständigen und Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten beantragt werden. Die Laufzeit beträgt zehn Jahre, die Zinsen belaufen sich auf drei Prozent per annum, zwei Jahre sind tilgungsfrei. Es gibt keine Risikoprüfung. Beantragt werden können maximal 25 Prozent des Jahresumsatzes 2019, wobei es obendrein einen Deckel gibt, der bei maximal 300 000 Euro liegt.

Außerdem können auch Soloselbstständige und Kleinstunternehmer weiterhin die KfW-Corona-Hilfen für Unternehmen beantragen, die mindestens fünf Jahre am Markt sind (Unternehmer-Kredit) oder die weniger als fünf Jahre am Markt sind (Gründer-Kredit). Hier sind die Zinsen mit ein bis 2,12 Prozent niedriger. Der Bund sichert hier aber höchstens 90 Prozent ab, was die Zugangschancen erschwert. Zusätzlich haben einige öffentliche Banken der Länder spezielle Programme aufgelegt: So gibt es beispielsweise in Hessen einen Mikrokredit (bis 35 000 Euro bei 0,75 Prozent Jahreszins und zwei tilgungsfreien Jahren). Eine Übersicht über die Produkte der öffentlichen Förderbanken gibt es hier: https://www.voeb.de/fachthemen/covid-19-pandemie-alle-informationen-im-ueberblick