von Dirk Elsner

Früher war alles ganz einfach. Wer einen Kredit aufnehmen wollte, egal ob als Privatperson oder als Unternehmen, der ging zur Bank. Wer Geld anzulegen hatte, der zahlte es auf ein Bankkonto ein. Geldgeber und Geldnehmer hatten dabei nichts miteinander zu tun, sondern die Bank hielt, wie eine Spinne im Netz, alle vertraglichen Fäden in ihrer Hand. Wenn sehr große Unternehmen einen Kredit benötigten, dann taten sich Banken schon mal zusammen für einen Konsortialkredit oder das Unternehmen begab eine Anleihe.

Anleihen sind dabei im Grundsatz recht einfach konstruiert. Investoren geben dem Schuldner Geld und erhalten dafür eine Urkunde. In diesem Wertpapier wird die Schuld verbrieft und sind Zinsen, Laufzeit und Rückzahlungsmodalitäten geregelt. Mit dem Boom der Financial Technology (FinTech) geht es nun noch einen Schritt weiter. Zwar werden weiterhin die meisten Kredite an Privatpersonen von Banken vergeben. Aber seit etwa 2007 haben sich auch hier die Möglichkeiten erweitert mit den Kreditleiheplattformen.

Über diese Webangebote, die auch unter den Bezeichnungen Peer-to-Peer-Lending oder Marketplace Lending bekannt sind, erhält ein Unternehmen oder eine Person seinen Kredit direkt von einer Gruppe von Einzelpersonen, die jeweils nur einen Bruchteil des gewünschten Kreditbetrags als Anlage investieren. Den Anlegern werden Tilgungen und Zinsen versprochen, deren Höhe vom potenziellen Risiko abhängt.

In Deutschland starteten 2007 die ersten Lending-Plattformen Smava und Auxmoney. Mittlerweile gibt es weitere in Deutschland aktive Anbieter, wie Zencap, Lendico und Bondora. Hier sind zwar Banken noch als technische Abwickler dazwischengeschaltet, letztlich entscheiden aber die Plattformen bzw. die Anleger über die Kreditvergabe. Unter bestimmten Bedingungen kann die Geldanlage in solche Kredite lukrativ sein (siehe dazu Börse Online: Taugen P2P-Kredite als Anlageklasse?). Ein Nachteil ist aber, dass einmal angelegt, die Kredite praktisch nicht liquide sind, sondern Geld erst mit Zins und Tilgungsleistungen im Zeitablauf zurückfließt. Genau hier setzt eine neue Plattform an, die gerade parallel in Großbritannien, Spanien und Deutschland startet.

Auf Seite 2: CrossLend will "den Kreditgraben Europas überbrücken"





Oliver Schimek, Marie Louise Seelig und Daniel Schlotter haben in Berlin die CrossLend GmbH gegründet. Das FinTech-Start-up will Anleger und Kreditnehmer aus Deutschland, Spanien und Großbritannien miteinander verbinden und so nach eigenen Angaben "den Kreditgraben Europas überbrücken". In Deutschland und Spanien sind sowohl Anleger als auch Kreditnehmer zugelassen, aus Großbritannien nur Anleger. Während für die Kreditnehmer die ersten Schritte (zeitgemäß erfolgt z.B. die Identitätsüberprüfung über ein Videoverifikationssystems) ähnlich sind wie bei anderen Kreditplattformen, zeichnen die Anleger über eine Partnerbank eine Schuldverschreibung (hier Notes genannt), die exakt dem Kredit zugeordnet ist. Diese Partnerbank ist übrigens die zur XVCom Finanz GmbH gehörende biw Bank AG.

Wie die Anlageseite funktioniert erklärt Oscar Streiter in seinem Blog Lending School:

"Investieren können Anleger ab 25€ pro Kreditprojekt, genannt "Notes". Crosslend wickelt die Gelder über eine in Luxemburg gegründete Firma (Crosslend Securities SA) ab, die vergebene Kredite durch Schuldverschreibungen verbrieft. Jeder Kredit wird in 25€ Notes aufgestückelt. Diese können dann von Anlegern erworben werden. Der Gesamtnennbetrag einer Serie von Notes entspricht dem Betrag des Kredits."

Die Anleger eröffnen dazu ebenfalls ein Konto bei der biw Bank. Die Bedienung dieser Schuldverschreibungen ist dabei gekoppelt an die Zahlungen des Kreditnehmers. Zahlt ein Kreditnehmer seine Raten, dann zahlt die Crosslend Securities SA entsprechende Zinsen und Tilgungen an die Inhaber. Diese Konstruktion soll es Crosslend als erste deutsche Kreditplattform ermöglichen, einen Zweitmarkt für Kredite anzubieten.

Bemerkenswert ist tatsächlich, dass es Ähnlichkeiten zu Schuldverschreibungen von großen Unternehmen gibt, denn pro Kredit gibt es einen Prospekt (Basisprospekt sowie ergänzende Bedingungen). Die Schuldverschreibungen werden bei Clearstream verwahrt und haben eine eigene ISIN bzw. WKN. So erhalten die Notes vom 16.9.2015 über 1.500 Euro für das erste zu vergebene Darlehen die ISIN DE000B8AAA36. Der Zins beträgt 11,13%. In der Unterlage findet man weitere Angaben zur Bonität des Schuldners und mehr. Der Name des Kreditnehmers wird dabei übrigens nicht genannt (siehe auch https://de.crosslend.com).

Rechtlich bewegt sich die Unterlage auf dem Niveau eines Prospekts, für die Banken bei Unternehmen mehrere tausend Euro, oft noch mehr verlangen. Hier werden die geschätzten Gesamtkosten der Emission mit 15 Euro beziffert. Das sind Daten, die Banken erschrecken sollten, denn Crosslend hat es offenbar zusammen mit seinen Partnern geschafft, einen hoch effizienten Anlage- und Kreditvergabeprozess aufzubauen, der weitestgehend automatisch abläuft.

Natürlich fehlen noch die Erfahrungen mit der Güte der hauseigenen Risikobeurteilung. Crosslend selbst schätzt die prognostizierte jährliche Rendite unter Berücksichtigung der Ausfallwahrscheinlichkeit wie folgt:



Quelle der Übersicht: Crosslend

Auf Seite 3: Crosslend spricht auch institutionelle Anleger an





Interessant finde ich, dass Crosslend von Beginn auch institutionelle Anleger anspricht, die sich über ein eigenes Kontaktformular melden können. Sie sollen über eine technische Schnittstelle (API) Zugriff bekommen und ihre Anlage automatisieren. Schade, dass es einen solchen Bietagenten nicht auch für Privatanleger gibt. Sein Fehlen macht die Anlage umständlich. Um eine adäquate Risikostreuung zu erhalten, mit der sich im Durchschnitt die erwarteten Renditen erzielen lassen, sind nach meiner Schätzung etwa 100 verschiedene Kreditnehmer in einer Risikoklasse notwendig.

Bei manchen Plattformen beträgt mittlerweile der Anteil der institutionellen Anleger bis zu 80%. Das ist ein wichtiges Indiz für die Qualität der Anlageklasse P2P-Kredite. Ob Crosslend ebenfalls diese Qualität erreicht, lässt sich natürlich zum Start noch nicht sagen. Die Berliner müssen nun erst einmal eine Kredithistorie aufbauen und zeigen, wie gut ihr Ratingsystem wirklich ist. Vorsichtiger Anleger sollten daher erst einmal diese Daten abwarten.

Sehr gespannt bin ich übrigens darauf, wie der angedachte Zweitmarkt funktionieren wird, der in den nächsten Monaten aufgebaut werden soll. Gut möglich, dass sich hier ebenfalls vor allem institutionelle Anleger bedienen werden.

Dirk Elsner arbeitet als Unternehmensberater für die Innovecs GmbH.