Ex oriente lux, lautet eine Redewendung aus der Lateinstunde: Das Licht komme aus dem Orient, von Osten. Einerseits steht der Satz für die Tatsache, dass die Sonne ihren Tageslauf dort beginnt. Andererseits könnte man ihn auch so deuten, dass von dort das Wissen kommt, die Erkenntnis, zivilisatorischer Fortschritt - dass der Menschheit im Morgenland also bildlich gesprochen ein Licht aufgeht.

Mit der lateinischen Corona - zu Deutsch "Krone" oder "Kranz" - haben beide Auslegungen zu tun. Das gigantische Strahlenrund unseres Sterns weist ebenso eine Corona auf wie jenes winzige Virus Zacken auf seiner Hülle, die ein bisschen an Krönchen erinnern; daher bekanntlich der Name. In fast der gesamten "westlichen" Welt, dem Abendland, ist es nur wenigen klar, doch auch die Lösung der Covid-Krise, die unseren Planeten seit Anfang 2020 in Atem hält, kommt aus jenem Erdteil: ex oriente.

In der Sieben-Millionen-Metropole Pune, im indischen Bundesstaat Maharashtra inmitten einer hübschen Hügellandschaft gelegen, hat der aktuell bedeutendste Pharmakonzern der Welt seinen Sitz. Die Rede ist vom Serum Institute of India, kurz SII. Trotz des sonderbaren Namens mit seinem Anklang ans Universitär-Akademische ist dieses Institut eine Firma, und zwar ein Familienunternehmen ohne Börsennotierung. Es wird von den Poonawallas kontrolliert und gemanagt - und das in der aktuellen Pandemie mit Nachdruck. SII ist seit Langem der größte Impfstoffproduzent weltweit. Der Life-Sciences-Gigant stellt auch im Kampf gegen Corona weit mehr Vakzinedosen her als jeder Wettbewerber.

Der Nachname der SII-Unternehmerdynastie ist trefflich. "Poonawalla" bedeutet wörtlich "Mann aus Poona". So hieß das heutige Pune, bekannt für sein quirliges Studentenleben und lange berühmt-berüchtigt für einen schrägen Guru namens Bhagwan, bis in die 1970er-Jahre. Dort gründete Cyrus Poonawalla, nachdem er Bachelor- und Doktor-Titel in der Tasche hatte, 1966 ein Start-up, bei dem sich anfangs alles um Pferde drehte, um ein Gestüt. Das Geschäft mit den Vierbeinern in der klimatisch relativ angenehmen Höhenlage der Stadt, heute etwa drei Autobahnstunden südöstlich von Mumbai entfernt, war lukrativ. Der Jungspund, damals Mitte zwanzig, verkaufte die Pferde an Pharmafirmen, die mithilfe ihres Serums Impfstoffe entwickelten.

Für den Anfang eine nette Hottehü-Marktnische. Doch bald kam ihm die Idee, dass er Vakzinen auch in Eigenregie herstellen könnte, und zwar besser und billiger als die behäbigen Anbieter unter der Fuchtel des damaligen indisch-sozialistischen Staats, die dieses Segment bis dahin bedienten. Er legte los mit einem Impfstoff gegen Tetanus, den gefürchteten, unbehandelt fast immer tödlichen Wundstarrkrampf. Bald ergänzte er das Angebot um Antivenine, lebensrettende Gegenmittel bei Schlangenbissen, etwa der südlich des Himalaja weitverbreiteten Kobras und Vipern. Schließlich bot Poonawalla die volle Impfstoffpalette an, von Tuberkulose und Polio ("Kinderlähmung") über Grippe und Masern bis hin zu Diphterie und Hepatitis.

Für ärmere Länder erschwinglich

Während die Republik Indien heute mit annähernd 1,4 Milliarden Menschen rund ein Sechstel der Weltbevölkerung stellt, produzieren die dortigen Pharmafirmen ungefähr 60 Prozent aller Impfstoffe. Primus inter Pares ist SII. Rund 1,5 Milliarden Impfdosen laufen hier jährlich vom Band, die in mehr als 170 Länder verschickt werden, also in nahezu jeden Winkel des Globus. Die imposante Marktstellung geht darauf zurück, dass Poonawalla von Anfang an auf Wettbewerbsfähigkeit bedacht war, auf niedrige Preise für eine tipptoppe Qualität. So fanden seine Kanülen und Spritzen Abnehmer auch in relativ armen, bevölkerungsreichen Schwellenländern wie Bangladesch, Pakistan und Äthiopien. Die Mehrzahl der Erdenbürger - grob geschätzt zwei Drittel - dürfte irgendwann mindestens einmal einen SII-Impfstoff injiziert bekommen haben. Abermillionen von Menschen hat die Firma im Laufe der Zeit vor Krankheit und Tod bewahrt.

Firmenpatriarch Cyrus Poonawalla, heute um die 80 und Witwer, ist inzwischen in den Hintergrund getreten. Seit 2011 hat sein Sohn Adar das Kommando. Der war zu jenem Zeitpunkt erst 30 und unerfahren, was ein Risiko darstellte, hatte aber immerhin eine solide Ausbildung in Canterbury und London hinter sich - und als einziges Kind glücklicherweise Interesse an dem Job in der Familienzentrale. Geschick und Fortune hatte er auch. Das US-Medienhaus Forbes schätzte das Poonawalla-Privatvermögen im Oktober 2020 auf gut zehn Milliarden Euro.

Produktion läuft bereits auf Hochtouren

Die Corona-Krise rückt das Serum Institute nun ins Rampenlicht der Welt. Die Poonawallas gehen schon seit Monaten finanziell ins Risiko und lassen Hunderte Millionen Einheiten Covid-Impfstoff produzieren - also lange vor den erforderlichen Genehmigungen der verschiedenen Gesundheitsbehörden, etwa der European Medicines Agency (EMA) oder der Food and Drug Administration (FDA) in den USA. So produziert SII bis Ende des Jahres voraussichtlich 400 Millionen Einheiten des inzwischen fast marktfähigen Impfstoffs, den das Jenner Institute der Universität Oxford zusammen mit dem britischen Pharmagiganten AstraZeneca entwickelt und aufwendig klinisch testet. Anfangs dürfte diese Vakzine, wie Adar Poonawalla signalisierte, um drei US-Dollar je Injektion kosten, später dann rund 1000 indische Rupien (um 13 Dollar) - so wenig also, dass auch das indische Gesundheitswesen und seine Pendants in ärmeren Ländern es stemmen können.

Das Oxford-Präparat ist nicht der einzige Corona-Impfstoff, der von SII-Bändern läuft. Die Poonawallas sind auch beim Hoffnungsträger des US-Anbieters Novavax sowie beim Impfspray von Codagenix eingebunden. Sie haben inzwischen Hunderte Millionen Euro aus ihrer Privatschatulle in die Corona-Forschung und Impfstoffproduktion gesteckt. Ob dieses Investment sich jemals rentieren wird, ist offen - einer der Gründe, warum die Bill & Melinda Gates Foundation, die finanzstärkste Stiftung weltweit, einen neunstelligen Dollar-Betrag beigetragen hat. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass Indien eine große Rolle spielen kann, sobald wir im Laufe der nächsten vier Monate eine Impfstoffzulassung haben", sagte Microsoft-Mitbegründer Bill Gates der indischen Tageszeitung "Economic Times".

Die Universität Oxford, die heute ganz vorn bei der Entwicklung des Corona-Impfstoffs mitmischt, hat Cyrus Poonawalla übrigens längst das akademische Krönchen aufgesetzt. Das war im Juni 2019, als die Elite-Hochschule dem Firmengründer und Lebensretter den Ehrendoktortitel verlieh. Also lange vor der Pandemie, als die meisten beim Stichwort "Corona" noch an Sterne und mexikanisches Bier dachten.