Value- beziehungsweise Substanz- oder Qualitätsaktien, Momentum- oder Growth- beziehungsweise Wachstumsaktien, zyklische oder defensive Werte, fundamentale oder charttechnische Titel: Die Liste der Fachbegriffe an der Börse ist lang. Und die der diversen Anlagestile ebenso.

Interessant an dieser Vielfalt ist, wie unversöhnlich sich die Verfechter der einzelnen Strategien oft gegenüberstehen. Wenn die Protagonisten die Vorzüge der eigenen Vorgehensweise über den grünen Klee loben und sich in vernichtender Kritik an anderen Anlagestilen üben, dann erinnert das stark an Glaubenskriege.

Dabei haben - objektiv betrachtet - alle genannten Vorgehensweisen Stärken und Schwächen. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass mit wechselndem Rhythmus mal die eine und mal die andere Strategie besonders gut läuft.

Deutlich wird das am Index Russell 1000 Large Cap: Vergleicht man die Substanz- und die Wachstumsversion des US-Börsenbarometers, zeigen sich wechselnde Favoriten. Betrachtet man den Zeitraum seit Anfang 1998 bis heute, ergibt sich eine weitgehend identische Wertentwicklung (siehe Grafik). Dieses Fazit lässt sich übrigens auch für den Nebenwerte-Index Russell 2000 Small Cap ziehen.



Trotzdem setzen viele Investoren blind auf den Anlagestil, der laut Lehrbuch gerade die vermeintlich besten Chancen verspricht. Doch erfolgreiches Markttiming ist ausgesprochen schwierig.

Wie wäre es sonst möglich, dass mit Blick auf das Börsenjahr 2016 die Analysten von JP Morgan zu Value-Aktien raten, während Morgan Stanley auf Wachstumswerte setzt. Wieder andere Investmentbanken bevorzugen derzeit Zykliker, andere glauben dagegen an defensive Werte. Das sorgt für Verwirrung und ist keine Hilfe bei der Zusammenstellung eines ausgeklügelten Investmentplans.

Das Problem: Derzeit gibt es für alle Anlagestile überzeugende Argumente. Doch auch Gegenargumente lassen sich leicht finden. So sehen die Anhänger von Substanzstrategien in der sich abzeichnenden US-Leitzinswende einen Katalysator dafür, dass Value-Aktien die Favoritenrolle übernehmen werden. Geschürt wird diese Hoffnung durch die Historie. Denn laut der britischen Investmentbank Barclays liefen nach den US-Zinswenden 1987, 1994 und 2004 Value-Werte besser als Wachstumsaktien.

Ebenfalls mit Zinsüberlegungen erklären lässt sich, weshalb Wachstumstitel schon seit einiger Zeit besser laufen als Substanzwerte. Besteht doch gemäß JP Morgan eine enge Korrelation zwischen der Rendite zehnjähriger US-Anleihen und der relativen Performance von Wachstum und Substanz. In Zeiten fallender Renditen hat demnach Growth gegenüber Value die Nase vorn.

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Grau ist alle Theorie



Trotzdem wäre theoretisch nach Jahren relativer Schwäche inzwischen die Zeit reif für eine Renaissance von Value. Denn in der Vergangenheit folgten auf schwache Value-Jahre in der Regel fünf bis sieben starke Value-Jahre. Es gibt jedoch keine Garantie für eine Wiederholung der Geschichte. Schon gar nicht in Zeiten wie diesen, in denen allein schon die Existenz von Minuszinsen auf außergewöhnliche Rahmenbedingungen hinweist.

Auch das relativ geringe Wachstum signalisiert, dass sich das Umfeld verändert hat. Solange sich daran nichts ändert, könnten die wenigen verbliebenen Wachstumswerte auch längerfristig eine größere Kaufbereitschaft erfahren als Substanzaktien. In den USA wird nach Angaben von Yardeni Research den S & P-500-Citigroup-Growth-Index-Vertretern daher mit 18,3 ein im Schnitt deutlich höheres KGV zugebilligt als den S & P-500-Citigroup-Value-Index-Mitgliedern mit 14,9.

Aber dafür haben Wachstumsaktien auch eine geschätzte Gewinnmarge von 13,8 Prozent zu bieten, während Substanzwerte nur auf 8,8 Prozent kommen. Auch bei den auf Fünfjahressicht erwarteten Gewinnzuwächsen schneidet Growth mit einem Plus von 14,0 Prozent deutlich besser ab als Value mit plus 6,5 Prozent.

Viele Anleger, die einfach nur ihr Geld möglichst gewinnbringend anlegen wollen, drohen in diesem Dickicht Übersicht und Interesse zu verlieren. Sie sollten sich daher nicht von den vielen Begriffen und Strategien irritieren lassen, sondern sich überlegen, was die beste Voraussetzung für Erfolg beim Aktienkauf sein dürfte.

Auf Seite 3: Clever zur optimalen Auswahl





Clever zur optimalen Auswahl



Mit gesundem Menschenverstand ergibt sich folgendes Qualifikationsmuster:
  • Eine Aktie sollte im Idealfall relativ moderat bewertet sein und somit viel Substanz haben.

  • Noch besser ist es, wenn ein Titel zugleich ansehnliche Wachstumsaussichten mitbringt.

  • Weitere Pluspunkte sammelt ein Wert, wenn der Kurs bereits angesprungen ist und folglich ein hohes Momentum hat.

  • Vorteilhaft ist zudem eine solide Bilanz und ein sturmerprobtes Geschäftsmodell, auch das spricht für viel Qualität.


  • Wer sich solche Titel ins Depot packt, schlägt viele Fliegen mit einer Klappe. Zumal all diese Kriterien sowohl auf zyklische als auch auf defensive Aktien zutreffen können. So gelingt es, das Chance-Risiko-Profil eines Portfolios zu verbessern und das verwirrende Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Anlagestrategien zu vermeiden.

    Eine Hürde gibt es trotzdem: Nur wenige Titel erfüllen diese Anforderungen. Entsprechende Werte zu finden ist aber nicht aussichtslos. Das beweist die relativ bunte Mischung von sechs Aktien, die den redaktionsinternen BÖRSE ONLINE-Kombi-Ausleseprozess überstanden haben.

    Auf Seite 4-9: Die Favoriten im Überblick





    Arkema: Übernahme sorgt für Fantasie



    Mit dem Namen Arkema dürften viele Börsianer hierzulande wenig anfangen können. Und sie haben nicht viel verpasst. Denn nach einem regelrechten Gipfelsturm von Anfang 2009 bis Mai 2011 war bei dem französischen Chemiekonzern zuletzt Flaute beim Aktienkurs angesagt. Doch in den vergangenen Wochen ist die Notiz wieder etwas angesprungen. Daraus könnte sich durchaus ein mittelfristiger Trend entwickeln.

    Die Hoffnungen ruhen hier nicht zuletzt auf der Bostik GmbH, die die Franzosen in diesem Jahr von ihrer einstigen Muttergesellschaft Total übernommen haben. Dahinter steckt ein führender Klebstoffspezialist, der Arkema sehr gut zu ergänzen scheint. Das Unternehmen dürfte helfen, die Gewinne in den nächsten Jahren kontinuierlich zu verbessern. Das scheint aber auch deshalb möglich zu sein, weil der Hersteller petrochemischer Produkte nach so mancher operativer Enttäuschung Programme zur Selbsthilfe in die Wege geleitet hat.

    Im dritten Quartal hat sich das alles bereits bemerkbar gemacht. Aufbauend auf den zum dritten Jahresviertel vorgelegten Zahlen könnte der Jahresausblick leicht angehoben werden. Analysten rechnen im Konsens von 2014 bis 2017 mit einer Ergebnisverbesserung von 3,62 Euro auf 6,07 Euro je Aktie. Auf dieser Basis hätte die Notiz auch im Branchenvergleich sicherlich Luft nach oben. Die Deutsche Bank hat deswegen jedenfalls gerade das Kursziel von 72 Euro auf 82 Euro angehoben. Auch bei der Dividende besteht Spielraum nach oben. Allerdings wird hier die Handlungsfähigkeit noch etwas eingeschränkt. Denn das Unternehmen muss die durch den Kauf von Bostik gestiegene Verschuldung abbauen.





    Daimler: Runderneuert auf der Überholspur



    Im Oktober hat im Zuge der allgemeinen Marktschwäche auch bei der Daimler-Aktie der langfristige charttechnische Aufwärtstrend gewackelt. Die Notiz bekam aber rechtzeitig wieder Drive nach oben. Die Chancen stehen gut, auch dann unversehrt am BÖRSE ONLINE-Kursziel von derzeit 90 Euro anzukommen, wenn auf dem Weg dorthin noch weitere Schlaglöcher auftauchen sollten. Mit schwachen US-Absatzzahlen sind die Stuttgarter kürzlich bereits in solch ein Schlagloch gefahren. Auch die Enttäuschung am Markt über die Beschlüsse der EZB setzten den Kurs des DAX-Mitglieds jüngst deutlich unter Druck. Doch das sollten Ausrutscher bleiben. Denn ein runderneutes Produktportfolio eröffnet die Chance auf weltweite Marktanteilsgewinne. Zusammen mit einer verbesserten Kostenbasis verspricht das steigende Ergebnismargen. Nach jahrelangen Aufräumarbeiten inzwischen frisch poliert präsentiert sich der Auto- (rund 20 Prozent Marktanteil bei Premiumautos) und Nutzfahrzeughersteller (rund neun Prozent Marktanteil, gemessen am Absatz weltweit drittgrößter Produzent).

    Die Gesellschaft ist damit in besserer Verfassung als noch vor ein paar Jahren, um im Branchenvergleich auch mit Schwierigkeiten im Umfeld, wie etwa in China, relativ gut zurechtzukommen. Ein einstelliges KGV, das sowohl unter dem Markt- als auch dem Sektordurchschnitt liegt, wird dem nicht gerecht. Nicht zuletzt deshalb hat die BÖRSE ONLINE-Redaktion erst in Ausgabe 48/15 den Titel unter den Lieblingsaktien der Deutschen in die Top-6-Liste aufgenommen. Weil es diverse Kaufargumente für den Autokonzern gibt, eignet sich der Wert auch gut für die hier empfohlene Kombistrategie.





    Einhell Germany: Insiderkäufe sorgen für Optimismus



    Ein starkes Chartsignal hat jüngst die Aktie von Einhell abgeliefert. Der Kurs ist aus einem seit Mai 2012 gültigen Seitwärtstrend nach oben ausgebrochen und hat damit die Lethargie beendet. Kurzfristig ist zwar ein nochmaliger Test des Ausbruchniveaus denkbar, mittelfristig betrachtet hat der Chart damit aber ein prozyklisches Kaufsignal generiert. Ob Firmeninsider bei einer etwaigen temporären Kursschwäche noch einmal zugreifen, wissen wir nicht. Öffentlich bekannt sind aber die in diesem Jahr bereits mehrfach getätigten Käufe der KA-Invest GmbH, die dem Vorstandschef Andreas Kroiss zuzurechnen sind. In der Spitze wurden dabei 32,22 Euro gezahlt, beim Einstieg dürfte Kroiss aber noch höhere Gewinne angepeilt haben als inzwischen eingefahren wurden.

    Setzt sich der jüngste Geschäftstrend fort, scheinen Kurse von 40 Euro und mehr erreichbar; die hat der Titel zuletzt zur Jahreswende 2010/11 gesehen. Denn der Hersteller von Heimwerkergeräten hat die Probleme überwunden, die nach der Pleite der Baumärkte Praktiker und Max Bahr aufgetaucht waren, und wird nun dafür belohnt. Die vollzogene Trendwende bestätigt ein in den ersten neun Monaten 2015 von 4,0 Millionen auf 8,4 Millionen Euro mehr als verdoppeltes Ergebnis nach Steuern und Minderheitenanteilen. Bei einer Präsentation vor Investoren wurde außerdem ein Umsatzziel für die kommenden drei Jahre von 500 (2014: 416,4) Millionen Euro genannt. Bei einer gleichzeitig angestrebten Vorsteuergewinnmarge von 4,3 Prozent zeichnen sich im Falle einer Zielerreichung deutliche Ergebnissteigerungen ab. Das spricht für einen anhaltenden Kursschwung statt für einen Rückfall in die Lethargie.





    Innotec: Dauerläufer ist wieder auf Rekordjagd



    Wie bei Einhell waren auch bei Innotec in diesem Jahr schon Insiderkäufe zu beobachten. Diese Investments haben sich bereits bezahlt gemacht, nachdem die Aktie eine zwischenzeitlich eingelegte Verschnaufpause mit einem eindrucksvollen Satz nach oben beendet hat. Der beeindruckende langfristige Aufwärtstrend des Titels, der vor zehn Jahren noch für 0,40 Euro zu haben war, ist somit uneingeschränkt intakt.

    Das dürfte auch so bleiben, hat der Düsseldorfer Bauzulieferer, der Haustürfüllungen aus Aluminium und Kunststoff herstellt und Produkte für die Hochbaubranche produziert, doch weiterhin überzeugende Kaufargumente auf seiner Seite. Zu nennen sind da zum einen - auch dank der guten Branchenkonjunktur - sehr ansehnliche Geschäftszahlen.

    Nach neun Monaten schlägt beim Umsatz ein Plus von 6,8 Prozent auf 74,2 Millionen Euro zu Buche und beim Gewinn vor Steuern und Zinsen ein Zuwachs um 25,7 Prozent auf 12,71 Millionen Euro. Eine Basis, die auch eine höhere Jahresprognose erlauben dürfte.

    Zum anderen darf auch 2016 mit weiteren Ergebnisverbesserungen gerechnet werden. Außerdem ist die Bilanz solide und die Bewertung trotz des Gipfelsturms noch immer relativ moderat. Die BÖRSE ONLINE-Datenbank weist für 2016 ein KGV von 10,7 aus, was ange-sichts der sehr guten Marktstellung des Unternehmens günstig ist. Auf dem Papier passt die deutsche Nebenwerteperle damit perfekt zur Kombistrategie. Wir heben Ziel- und Stoppkurs an. Einziges Manko sind niedrige Handelsumsätze, die bei der Auftragsvergabe noch mehr als sonst eine strenge Orderlimitierung erforderlich machen.





    Next: Von einem Kursgipfel zum nächsten



    In deutschen Anlegerkreisen hat die Aktie der britischen Einzelhandelskette Next bisher wenig Beachtung gefunden. Dabei hätte der vor allem auf Mode ausgerichtete Konzern angesichts einer spektakulären Performance mehr Aufmerksamkeit verdient. Schließlich handelt es sich bei Next mit einem Kursplus von mehr als 2100 Prozent in den vergangenen 20 Jahren laut der Bank Nomura um den - noch immer existierenden - FTSE-100-Index-Vertreter mit der besten Wertentwicklung.

    Auch in den vergangenen Jahren hatten die Anleger keinen Grund zum Jammern. Bis heute ist der langfristige charttechnische Aufwärtstrend intakt. Warum das so ist, zeigt ein Blick auf die Gewinnentwicklung. Denn Next ist es gelungen, den Nachsteuergewinn vom Geschäftsjahr 2008/09 bis zum Geschäftsjahr 2014/15 von 302 Millionen auf 622 Millionen Pfund zu erhöhen. Auch in den kommenden Jahren scheinen weitere Ergebnisverbesserungen möglich. Dafür spricht unter anderem die von der Gesellschaft demonstrierte beispielhafte Kostendisziplin. Diese ist unabdingbar bei dem Versuch, sich im mitunter flatterhaften Modegeschäft langfristig gegenüber der Konkurrenz zu behaupten.

    Dafür sind die Anleger dann auch bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Aber überzogen scheint die Bewertung auch jetzt noch nicht zu sein. Zumindest dann nicht, wenn es gelingt, die erhofften Gewinnverbesserungen zu erreichen. Als wichtiger Stabilitätsanker für den Aktienkurs dient eine aktionärsfreundliche Ausschüttungspolitik, die für das laufende Geschäftsjahr eine Dividendenrendite von über fünf Prozent bringen dürfte. Wobei weitere kleinere Dividendenerhöhungen wahrscheinlich sind.





    Schloss Wachenheim: Kursgewinne lassen Sektkorken knallen



    Der Sektumsatz in Deutschland schwächelt, und daran wird sich vermutlich auch nicht viel ändern. Trotzdem haben die Aktionäre von Schloss Wachenheim auch abseits des traditionellen Sekttrinktermins zu Silvester genügend Anlass, auf das eigene Unternehmen anzustoßen - wobei das natürlich zur Umsatzankurbelung am besten mit hauseigenen Marken wie Azzurro, Faber oder Nymphenburg in die Tat umgesetzt werden sollte. Bei einem Plus von in der Spitze 339 Prozent seit 2009 hat sich die Aktie jedenfalls sehr gut entwickelt. Jüngst ist die Notiz auf den höchsten Stand seit 1997 vorgeprescht, sodass auch das Chartbild überzeugt.

    Die Performance zeigt, dass eine starke Kursentwicklung auch in einem relativ schwierigen Marktumfeld gelingen kann. Im Falle von Schloss Wachenheim war das möglich, weil das Sekthaus mit Rationalisierungen gegen die Sektflaute in Deutschland ankämpft und zudem ins Ausland expandiert - etwa nach Frankreich, Polen oder Rumänien. Zudem steuert das Unternehmen gegen, indem es die Produktpalette um alkoholfreie Sparkling-Getränke erweitert hat. Das Maßnahmenbündel soll Expertenschätzungen zufolge zu moderaten Gewinnsteigerungen im laufenden sowie im kommenden Geschäftsjahr beitragen. Für eine vertretbare Bewertung spricht nicht nur das KGV, sondern auch das Kurs-Buchwert-Verhältnis. Es liegt bei einem zuletzt ausgewiesenen Buchwert von 17,54 Euro je Aktie unter eins. Eine Bewertung zum Buchwert scheint angemessen, zumal es der mit einer Eigenkapitalquote von 55 Prozent ausgestatteten Gesellschaft zuletzt gelungen ist, die Schuldenlast zu senken. Wir passen Ziel- und Stoppkurs nach oben an.