Warum Mark Valek, Partner beim Vermögensverwalter Incrementum und Co-Autor des viel beachteten "In Gold We Trust"-Reports, weiter mit einer hohen Inflation rechnet und was das für Gold heißt. Von Julia Pfanner

Mark Valek ist Partner beim Liechtensteiner Vermögensverwalter Incrementum und dort zuständig für Portfolio Management und Research. Zuvor war er zehn Jahre bei Raiffeisen Capital Management, zuletzt als Fondsmanager im Bereich Inflationsschutz und Alternative Investments. Seit 2013 unterstützt Valek als Co-Autor Ronald-Peter Stöferle beim "In Gold We Trust"-Report, dem jährlich erscheinenden Goldreport von Incrementum.

BÖRSE ONLINE: Herr Valek, Gold hat den Ruf, ein sicherer Hafen in Krisenzeiten und ein Schutz gegen Inflation zu sein. Jetzt haben wir die Coronapandemie, Lieferkettenprobleme, hohe Inflation, den Ukraine-Krieg, Turbulenzen bei Aktien - Gold hat seine Rolle aber scheinbar in den vergangenen Monaten nicht so gut erfüllt. Seit März ist der Goldpreis deutlich gesunken. Was war los?

Mark Valek: Ja, der Goldpreis ist zurückgekommen. Generell kann man, glaube ich, behaupten, dass dieses Kapitalmarktjahr besonders schwierig ist. Gold macht da relativ einen guten Job, vor allem in Euro. In Dollar ist es dieses Jahr tatsächlich im Minus, aber weniger als die meisten Aktienindizes oder als Anleiheinvestments. Nichtsdestotrotz: Gold ist heuer nicht wahnsinnig gut gelaufen. Der Hauptgrund war wahrscheinlich die radikale Zinswende in den USA. Sie hat entsprechende Auswirkungen auf alle Anlageklassen. Ich glaube, Investoren gehen davon aus, dass die Zentralbanken, vor allem die amerikanische, die Inflation in den Griff bekommen und das Inflationsproblem nicht lang anhält.

2021 war auch kein berauschendes Goldjahr, aber auch nicht gerade krisenfrei.

Das stimmt. Gold schaut in die Zukunft denke ich. Man sah etwa 2020 im Corona-Crash, als die Hilfen und vor allem auch die Zentralbankbilanzerweiterungen, also massive Gelddruckorgien weltweit, stark hochgefahren wurden, dass der Goldpreis sehr schnell stieg. Auch damals hieß es dann aber, zumindest gemäß den Zentralbanken und Mainstream-Ökonomen, die Inflation sei nur vorübergehend. Seit August 2020 konsolidiert der Goldpreis deshalb. Auch für 2021 würde ich argumentieren, dass Gold deshalb gebremst wurde. Als Ende 2021, Anfang 2022 klar wurde, dass die Inflation doch stärker wird, lief auch Gold wieder besser, wurde dann aber von den Zinserhöhungen eingebremst. So würde ich das sehen. Gold ist, kann man vielleicht sagen, zwischen mittelfristigen Inflationserwartungen, die an den Märkten zuletzt wieder gefallen sind, und den Zentralbankaktionen hin- und hergerissen.

Wir könnten die Spitze der Inflation jetzt erreicht haben. Läuft’s dann noch mal schlechter für Gold?

Das ist jetzt sehr spannend. Vor allem die Federal Reserve hat die Zinsen in kurzer Zeit relativ stark erhöht. Das bringt wahrscheinlich eine temporäre Wende bei der Inflation. Wir haben bei Incrementum ein eigenes Inflationssignal, das hat tatsächlich Anfang Juli signalisiert, dass das steigende Inflationsmomentum scheinbar vorübergehend erst mal vorbei ist. Die Rohstoffpreise etwa oder die Inflationsraten, die die inflationsindexierten Anleihen einpreisen, sind in den letzten Wochen gesunken. Auch die Dollarstärke ist ein Signal für eher fallende Inflation. All das spricht eher dafür, dass die Inflationsraten kurz- oder mittelfristig wieder sinken.

Sie gehen künftig aber von Stagflation aus.

Ich würde sagen, die Stagflation ist jetzt bereits amtlich. Die USA sind seit Kurzem in einer technischen Rezession - das BIP ist zwei Quartale in Folge geschrumpft - und wir haben offensichtlich nach wie vor hohe Inflationsraten. Die gängige Beschreibung von Stagflation ist geringes oder negatives Wachstum bei hoher Inflation. Die Frage ist also nicht, ob Stagflation kommt, sondern wie lange sie anhält. Wir gehen mittelfristig davon aus, dass wir Wellen von Inflation erleben werden. Die erste Welle könnte jetzt nah am Ende sein. Die zweite Welle könnte ein Abbruch der Zinserhöhungen in den USA einläuten, weil vielleicht schon Entwarnung gespielt wird, die Inflationsraten leicht oder die Ölpreise weiter sinken. Und vor dem Hintergrund einer schwachen Wirtschaft wird sich die Zentralbank schwertun, die Zinsen weiter zu erhöhen.

Also erwarten Sie nicht bald niedrige Inflation?

Wir haben schon 2021 gesagt, dass wir voraussichtlich in eine inflationäre Dekade kommen. Denn nach Corona wurde jeglicher budgetärer Konservatismus aus dem Fenster geworfen: Schulden interessieren eigentlich niemanden mehr, und Geld drucken kann man ohnehin ohne Limit. Mit dem Ukraine-Krieg hat sich das noch mal verschärft. Dass wir vor dem Hintergrund der stattfindenden Deglobalisierung, einer massiven Aufrüstung und einer fundamentalen Umstellung der gesamten Energiewirtschaft wieder längerfristig Richtung zwei Prozent Inflation und damit wieder in ein stabiles Inflationsfahrwasser kommen, sehen wir als unwahrscheinlich.

Wenn Notenbanken Zinsen aber weiter erhöhen?

Die Gretchenfrage dieses Jahr ist: Wie weit können sie die Zinsen erhöhen? Man sieht schon relativ evident, dass sich die EZB wegen der hohen Staatsschulden in einigen Euroländern sehr schwer tut, beherzte Schritte zu tun. Werden die Zinsen zu stark angehoben, könnte es eine Eurokrise 2.0 geben, weil die südlichen Euroländer wahrscheinlich Finanzierungsprobleme bekommen. Auch die USA sind sehr hoch verschuldet. Eine Konsequenz von Zinserhöhungen ist, dass zur Inflation höchstwahrscheinlich eine Rezession kommen wird, wie in den USA. Wird die EZB dann wirklich das Wachstum zusätzlich drangsalieren, um wieder Geldstabilität herzustellen? Aber dass die Zinserhöhungen ungebremst weitergehen oder erst so richtig losgehen, wäre tatsächlich das Risikoszenario für Gold.

Sie prognostizieren bis 2030 einen Goldpreis von 4800 US-Dollar, rund 170 Prozent mehr als heute. Sie gehen nicht von diesem Risikoszenario aus?

Genau, das Ziel haben wir 2020 formuliert und heuer bestätigt. Wir sind auch mehr oder weniger auf Kurs. Wir gehen nicht davon aus, dass es wieder massiv hohe positive Realzinsen gibt, und darum geht es letzten Endes. Selbst wenn die Inflation auf fünf Prozent sinkt, bräuchte man sieben Prozent Zinsen, um zwei Prozent Realzinsen zu haben. Auch damit, glaube ich, würde die Eurozone letzten Endes gesprengt. In der Eurokrise 2011 haben wir bei Italien von der Todeszone von sechs Prozent Renditen gesprochen. Italiens Schulden sind so hoch, dass die Refinanzierung dann im Verhältnis zu den Steuereinnahmen zu teuer wird. Ich glaube, diese Zone ist mittlerweile eher tiefer, weil die Schulden in der Zwischenzeit noch mal gestiegen sind. Das ist der Hauptgrund, warum wir uns da vielleicht aus Sicht mancher relativ weit aus dem Fenster lehnen.

Sie erwarten 2022 ein neues Allzeithoch bei Gold?

Ja, das setzt aber voraus, dass die Fed ihre Zinserhöhungen pausiert. Bis jetzt sieht es noch nicht so aus. Aber bei ihrem letzten Treffen gab es Anzeichen Richtung etwas weniger restriktiverer Geldpolitik. Darauf hat auch Gold etwas reagiert. Wenn wir jetzt dem Pausenknopf näherkämen, selbst wenn es noch ein, zwei Erhöhungen gibt, aber kleinere als derzeit erwartet, könnte das reichen, um Gold einen schönen Schub nach oben zu geben. Bei dem aktuellen Niveau von etwa 1800 Dollar fehlen rund 15 Prozent zum Allzeithoch. Ein solcher Anstieg ist bis Jahresende weiter im Bereich des Möglichen.

Gold bringt keine laufenden Erträge. Welche Rolle spielt es für Sie als Investment?

Gold ist nach wie vor das ultimative Geld im Sinne von Wertaufbewahrungs- und Tauschmittel, und Geld hat keine Zinsen. Sobald man Zinsen bekommt, muss man ein Risiko eingehen, das Gegenparteirisiko der Bank, einer Anleihe, was auch immer. Bei Dividenden ist es das Unternehmensrisiko. Es gilt grundsätzlich zu unterscheiden zwischen produktiven Assets wie Aktien und Anleihen und Gold, Gold ist das Bestandsgut schlechthin. Es muss aus zwei Gründen keine Zinsen zahlen: Es hat kein Konkursrisiko und wird im Fiat-Geldsystem langfristig steigen, weil die Geldmenge regelmäßig schneller erweitert wird als die Goldmenge. Es gibt genügend Studien, die zeigen, dass es Sinn macht, gewisse Goldanteile im Portfolio zu halten. Gold bewegt sich oft gegenläufig zu Aktien oder Anleihen.

Wie viel Gold sollte man beimischen?

Das ist ganz individuell. Was wir unterscheiden ist Sicherheits- und Performancegold. Sicherheitsgold würde ich nicht direkt zum Portfolio zählen, das sollte man physisch halten, als echten Notgroschen, und im näheren Umfeld sicher verwahren. Performancegold kann auch ein Wertpapier wie ein ETF sein. Will man einen Hebel, kann man Minenaktien, Futures oder Optionen nehmen. Wir meinen, die typisch zitierten fünf bis zehn Prozent Gold im Portfolio sind gerade im jetzigen Umfeld eher zu niedrig, da kann man schon mehr als zehn Prozent nehmen. Aber man sollte es auch nicht übertreiben und den Grundsatz der Diversifikation nicht verlassen.

Wie schätzen Sie derzeit die Situation der Goldproduzenten ein? Auch sie trifft die Inflation.

Wir haben die jüngsten Kursstürze für deutliche Käufe genutzt und in Goldminen derzeit in unserem Inflation Diversifier Fund die größte Position überhaupt. Es stimmt, die Minen kämpfen auf der Kostenseite mit der Inflation, aber wenn sich das Makroszenario so entwickelt, wie wir uns vorstellen, dass Energiepreise eher sinken und der Goldpreis steigt, sind das aus unserer Sicht fantastische Einstiegskurse. Es ist derzeit ein extrem antizyklisches Investment, seit März haben sich diese Aktien teils im Preis halbiert und sind mittlerweile extrem unbeliebt. Wir sind jetzt so stark engagiert wie eigentlich nie zuvor in der Geschichte des Inflation Diversifier Funds. Wir haben die Positionen aber auch teilweise mit Put-Optionen abgesichert. Denn natürlich kann es auch in die andere Richtung gehen.