Unterschiedlichste Unternehmen aus den Sektoren Finanzen, Internet, Bildung, Immobilien, Medien, Spirituosen, Gesundheitswesen, Blockchain-Technologie und Solarenergie haben inzwischen den Unmut der Regierung Chinas zu spüren bekommen. Einerseits durch neue Gesetze, von denen einige bereits vor Jahren entworfen wurden, andererseits durch Strafen für frühere Verstöße. Als Gründe dafür werden systemische Finanzrisiken, monopolistisches Verhalten, Cybersicherheit oder auch unfaire Preisdiskriminierung genannt. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen sind deutlich zu spüren und gehen mit teilweise erheblichen Kursverlusten einher. Betroffene Anleger geben dafür häufig den chinesischen Regulierungsbehörden die Schuld. Allerdings sind wir der Meinung, dass etliche der betroffenen Unternehmen zuletzt zu überhöhten Bewertungen gehandelt wurden und eventuell eine Korrektur fällig war.

Auch wenn einige der Vorschriften und Sanktionen schneller und härter als erwartet kamen, erscheinen uns die Gründe dafür überwiegend rational. So besteht das übergeordnete Ziel der Regulierungsbehörden nach eigenem Bekunden darin, das unsoziale Verhalten bestimmter Privatunternehmen einzudämmen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Alibaba Group, eines der größten chinesischen Internetunternehmen. Anfang dieses Jahres wurde das Unternehmen zu einer Rekordstrafe verurteilt, weil es seine Marktdominanz missbraucht und Partnerhändler zu illegalen Exklusivitätsvereinbarungen gezwungen hatte. Wettbewerber hatten sich vielfach darüber beschwert. Alibaba hat auf die Strafe mit Reue reagiert und versprochen, sein Verhalten zu verbessern.

Ein anderes Beispiel ist das private Bildungswesen in China. Schon seit 2018 gehen die Aufsichtsbehörden gegen schlechte Unterrichtsstandards, falsche Werbung und überhöhte Gebühren vor. Trotzdem wird weiterhin nach privaten Bildungsangeboten gesucht - einigen Berichten zufolge nahmen 2016 mehr als 75 Prozent der Schüler zwischen sechs und 18 Jahren in China Nachhilfeunterricht. Vor dem Hintergrund steigender Kosten für Familien, einer alternden Bevölkerung und eines sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums ist es verständlich, dass die Behörden Maßnahmen ergreifen, um Fehlverhalten in diesem Sektor zu unterbinden, wie wir es in der Vergangenheit auch in Ländern wie Südkorea und Singapur erlebt haben.

Die chinesischen Korrekturmaßnahmen unterscheiden sich nicht so sehr von den Bußgeldern, die in letzter Zeit gegen Unternehmen wie Google oder Amazon wegen wettbewerbswidriger Handlungen von Behörden in den USA und der Europäischen Union verhängt wurden. Das Internet hat neue Wege für den Aufbau von Unternehmen eröffnet, und viele Regulierungsbehörden in der ganzen Welt haben ihre Gesetze noch nicht vollständig an das Tempo und an die Auswirkungen, die sie auf die Gesellschaft haben können, angepasst. Das erfolgt nun Zug um Zug - und zwar weltweit.

Investoren in China sollte inzwischen klar sein, dass sie bei Anlageentscheidungen einen ganzheitlichen Stakeholder-Ansatz verfolgen müssen und nicht nur einen engeren Shareholder-Ansatz. Dessen ungeachtet kann China aufgrund der Größe der Wirtschaft und seiner Rolle im internationalen Handel als Anlageziel nicht ignoriert werden. Mindestens zwei Schlüsselfaktoren sind für den Wohlstandsanstieg des Landes in den letzten vier Jahrzehnten verantwortlich: die Einführung einer kapitalistischen, freien Marktwirtschaft und die Nutzung moderner Wissenschaft und Technologie. Solange das Land diesen Prinzipien nicht den Rücken kehrt, stehen die Chancen gut, dass sowohl inländische als auch ausländische Unternehmen, die in dem Land tätig sind, weiterhin florieren können. Wir gehen davon aus, dass die neuen Vorschriften langfristig zu einem gesünderen Umfeld für Unternehmen beitragen werden.

 


Desmond Wee

Wee ist Aktienanalyst bei Skagen und gehört zum Team des Emerging-Markets-Fonds Skagen Kon-Tiki, wo er auf Basis der wertorientierten Anlagephilosophie von Skagen Analysen von Unternehmen und Branchen durchführt. Er hat einen Master in Economics and Business Administration der Norwegian School of Economics (NHH) und einen Bachelor in Economics der Singapore Management University.


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