Braucht die Deutsche Telekom bald einen neuen Namen? Fakt ist: Der Konzern wird immer amerikanischer. Die ehemalige Bundesbehörde erzielt inzwischen mehr als 60 Prozent ihres Umsatzes in Nordamerika. Mit über 100 Millionen Kunden sind die Rheinländer über ihre Mobilfunktochter in den USA bereits die Nummer 2 im Markt. Und das soll nicht das letzte Wort sein: "Wir können dort die Nummer 1 werden", verkündete Telekom-Chef Timotheus Höttges jetzt auf der Hauptversammlung des DAX-Konzerns.

Die Erfolgsgeschichte der Telekom in Übersee ist kurios: Es begann in der Börseneuphorie der Jahrtausendwende mit der eigentlich völlig überteuerten Übernahme des US-Mobilfunkers Voicestream. 2011 wollte die Telekom die amerikanische Tochter verkaufen. Mit AT & T hatte man sich schon auf einen Deal geeinigt, der aber am Widerstand der Wettbewerbsbehörden scheiterte. Im Nachhinein war die Zurückweisung ein Glücksfall. Unter dem schrillen Chef John Legere steigerte T-Mobile US mit aggressivem Marketing die Kundenzahl und wurde nach dem Börsengang 2013 zum Liebling der Anleger.

Jetzt die Fusion mit dem Konkurrenten Sprint, die auch den Mutterkonzern in Bonn in neue Dimensionen katapultiert: Der Umsatz der Deutschen Telekom stieg im vergangenen Jahr vor allem dank der Zuwächse in Nordamerika um etwas mehr als 25 Prozent und erstmals auf über 100 Milliarden Euro.

Ihre Wurzeln in Deutschland werden die Rheinländer natürlich nicht aufgeben. Im Gegenteil: Der Erfolg in Übersee soll helfen, die Marktposition daheim zu stärken. Zunächst werden die Schulden in den USA reduziert, dann soll es richtig losgehen: Bis zu 26 Milliarden Dollar sollen in den Jahren 2023 bis 2025 aus Nordamerika an den Mutterkonzern fließen. Das verschafft der Telekom Spielraum bei der Finanzierung ihrer Dividende, aber auch bei wichtigen Investitionen in die Infrastruktur. "Ohne die USA wäre der Glasfaserausbau in Deutschland sehr viel schwieriger", betont Höttges.

Globale Champions

Viele deutsche Konzerne sind Gewinner der Globalisierung. Nordamerika, die aufstrebenden Märkte in Asien und Lateinamerika, auch Afrika werden in den Bilanzen immer wichtiger. Zwei Drittel der DAX-Mitglieder erzielten nach Berechnung von €uro am Sonntag im vergangenen Jahr bereits mehr als die Hälfte ihrer Umsätze außerhalb Europas. Bei jedem dritten sind es sogar mehr als 60 Prozent.

Die Pandemie hat den großen Trend verstärkt. Vor allem Asien war im vergangenen Jahr wichtige Stütze der deutschen Exporteure. Nach Berechnung der Unternehmensberatung EY konnten die DAX-Konzerne ihren Umsatz in der Region Asien-Pazifik im vergangenen Jahr um zwei Prozent steigern, in Nordamerika um einen Prozentpunkt. In Europa schrumpfte das Volumen dagegen um sechs Prozent.

Auch im Aufschwung hält der Trend an: Im ersten Quartal des neuen Jahres wuchs der Umsatz der DAX-Konzerne in der Region Asien/Pazifik um 29 Prozent. In Europa lag das Umsatzwachstum bei sieben Prozent, was gemessen an den Zuwachsraten in normalen Zeiten sehr viel ist, aber erneut deutlich weniger als die Dynamik in Fernost.

"Gerade in China hat sich die Wirtschaft schnell vom Corona-Einbruch erholt. Viele deutsche Konzerne erwirtschaften dort inzwischen einen erheblichen Anteil ihres Gesamtumsatzes", konstatiert Mathieu Meyer, Mitglied der Geschäftsführung von EY.

Besonders deutlich ist die Dynamik in der für Deutschland wichtigen Automobilindustrie. BMW, Mercedes-Benz und der VW-Konzern haben im vergangenen Jahr weltweit 14 Millionen Fahrzeuge abgesetzt, 38 Prozent davon in China. Das Momentum in der Boomregion dürfte noch viele Jahre anhalten. Das CAR-Center Automotive Research hat seine Wachstumsprognose gerade angehoben. Demnach würden die deutschen Automobilhersteller bei einem konstanten Marktanteil im Jahr 2030 etwas mehr als 9,5 Millionen Neuwagen allein in China verkaufen. Das wäre ein Anstieg von rund 75 Prozent.

Auch die Chemie setzt auf China: Zehn Milliarden Dollar steckt BASF in den Aufbau eines neuen Produktionsstandorts in der südchinesischen Provinz Guangdong. Zunächst wird BASF dort Kunststoffe für die Automobil- und Elektronikindustrie herstellen. Mit einem Anteil von 40 Prozent ist das Land schon heute der wichtigste Markt für die Chemiebranche. Bis zum Jahr 2030 dürfte der Anteil auf mehr als 50 Prozent wachsen.

"Bis dahin werden knapp 70 Prozent des globalen Chemiewachstums aus China kommen", erklärt BASF-Chef Martin Brudermüller die großen Investitionen fernab der Heimat Ludwigshafen. Mehr als ein Viertel des Umsatzes erwirtschaftete der Konzern im vergangenen Jahr in der Region Asien-Pazifik. Beim rheinischen Nachbarn Covestro sind es sogar 33 Prozent.

Zwischen den Fronten

Das Wachstum in China kommt mit besonderen Risiken. Das erlebt derzeit Adidas. Die Franken sind in einen Streit Chinas mit der Europäischen Union und den USA über Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Xinjiang hineingezogen. Auf chinesischen Internetseiten wurde zum Boykott westlicher Marken aufgerufen. Die Umsätze in China sind Ende März gefallen, erholen sich inzwischen aber, berichtete Konzernchef Kasper Rorsted bei der Vorstellung des jüngsten Quartalsberichts.

Auch wenn die Auswirkungen der Boykottaktion noch nicht abzusehen seien, rechnet Rorsted mit einem "sehr, sehr guten" Jahr für Adidas in China. Im ersten Quartal steigerten die Franken ihren Umsatz in China um mehr als 150 Prozent.

Die grundsätzlichen Antriebskräfte der Weltwirtschaft haben sich durch die Pandemie nicht verändert: Bevölkerungswachstum und der im Vergleich zur westlichen Welt niedrige Lebensstandard der Schwellenländer schaffen großes Potenzial. Die Unternehmensberatung PWC kommt in einer Prognose aus dem Jahr 2017 zu dem Ergebnis, dass sich die ökonomischen Gewichte deutlich verschieben: Bis 2050 könnte die Wirtschaft der sieben größten Schwellenländer im Schnitt doppelt so schnell wachsen wie die der sieben größten Industrienationen. China dürfte zur Mitte des Jahrhunderts die größte Wirtschaftsmacht sein, vor Indien und den Vereinigten Staaten.

Deutschland fällt in dieser Prognose auf Platz 9 zurück, wird unter anderem von Brasilien und Mexiko überholt. Lateinamerika steht als Wachstumsmarkt bislang im Schatten Asiens. Die Wirtschaftszyklen sind dort extremer als in anderen großen Regionen, die Währungsschwankungen stärker als beim US-Dollar oder dem chinesischen Renminbi. So verlor der brasilianische Real im Corona-Jahr zum Euro 30 Prozent an Wert. Das bringt zusätzliche Risiken für ausländische Investoren. Auf lange Sicht aber sollten sich die Anstrengungen in der Region rentieren.

Abenteuer Brasilien

Südamerika ist vor allem für Bayer ein wichtiger Absatzmarkt. Im vergangenen Jahr erwirtschafteten die Rheinländer dort 14 Prozent ihrer Umsätze. Den größten Teil davon mit Saatgut und Pflanzenschutzprodukten in Brasilien. Landwirtschaft ist eine der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Die mit Abstand größte Volkswirtschaft Südamerikas ist auch für die deutschen Lkw-Hersteller ein wichtiger Absatzmarkt. Die Trucksparte von Daimler erzielt neun Prozent ihres Absatzes in Lateinamerika, vor allem in Brasilien.

Afrika ist in den Bilanzen nur ein kleiner Posten. Die meisten Unternehmen weisen den Kontinent gar nicht als eigene Region aus, sondern fassen ihn wie auch den Nahen Osten mit Europa zusammen. Zu den Ausnahmen gehört Henkel. Die Düsseldorfer erwirtschafteten mit Waschmittel, Pflegeprodukten und Klebstoff sechs Prozent ihres Umsatzes in Afrika und dem Nahen Osten.

Der Baustoffkonzern HeidelbergCement hebt die Staaten südlich der Sahara hervor: Das Marktumfeld dort sei geprägt von einer robusten lokalen Wirtschaftsentwicklung mit einer jungen, schnell wachsenden Bevölkerung und kontinuierlich zunehmender Binnenwanderung in die Städte und Ballungsräume. Zehn Prozent des Umsatzes erzielte HeidelbergCement zuletzt in Afrika und dem östlichen Mittelmeerraum. Die Region war im Corona-Jahr übrigens die einzige, in der die Heidelberger ihren Absatz steigern konnten.

Extreme Verhältnisse

Der größte Exot im DAX ist Delivery Hero. Der Lieferant von Mahlzeiten sitzt in Berlin, hatte sein Deutschland-Geschäft aber verkauft. Mehr als 70 Prozent des Umsatzes erzielt Delivery Hero außerhalb Europas. Asien ist der größte Absatzmarkt, danach folgt mit etwa einem Drittel des Konzernumsatzes die Region Naher Osten und Nordafrika. Inzwischen plant das Unternehmen ein Comeback in Deutschland.

Auch andere DAX-Konzerne fallen durch besonders extreme Gewichtungen auf. Fresenius Medical Care erzielt rund 70 Prozent seines Umsatzes in Nordamerika. Das hat einen ganz einfachen Grund: Die Fresenius-Tochter ist durch große Übernahmen wie die des Dialyseklinikbetreibers National Medical Care nach Nordamerika expandiert.

Der Motorenhersteller MTU Aero Engines ist Zulieferer für die Flugzeugindustrie. Wichtige Kunden sitzen in Nordamerika. Die Produkte der Münchner werden später als Teil von Flugzeugen an Kunden in der ganzen Welt verkauft. Linde ist durch die Fusion mit dem US-Konzern Praxair nicht nur internationaler geworden, sondern auch zu einem amerikanisch geprägten Konzern, der in Dollar bilanziert.

Für den Chiphersteller Infineon ist Asien vor allem dank des großen China-Geschäfts die dominierende Region. Dort sitzen viele Auftragsfertiger, die Gebrauchsgüter wie Computer und Smartphones herstellen und die Endprodukte dann in die Welt exportieren.

Das Fernweh wächst

Es gibt auch die anderen Extreme. Die Immobilienkonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen oder auch die Versorger sind stark auf den Heimatmarkt ausgerichtet. Auch dort aber wächst das Fernweh. Vonovia expandiert in Europa, RWE konnte über Windparkprojekte in Nordamerika Fuß fassen.

Das wichtigste Kriterium für Investoren ist natürlich die Wertentwicklung der Aktien. Auch wenn die Kurse einzelner Titel stark von Sondereinflüssen beeinträchtigt werden, etwa Bayer durch den Monsanto-Rechtsstreit, zeichnet sich ein Muster ab. So haben die zehn am stärksten globalisierten Unternehmen aus dem DAX den Index im besonders turbulenten Corona-Jahr, aber auch über die vergangenen fünf Jahre, deutlich geschlagen.
 


INVESTOR-INFO

BASF

Zyklische Erholung

Der weltgrößte Chemiekonzern hat seine Jahresprognose nach dem unerwartet guten ersten Quartal angehoben. Geholfen hat dabei insbesondere die Automobilindustrie als wichtigste Kundengruppe von BASF. Die Chemie ist eine klassisch zyklische Branche. Auf lange Sicht sollte vor allem das China-Geschäft für Schwung sorgen. Geht man davon aus, dass BASF auch im nächsten Jahr 3,30 Euro ausschüttet, kommt die Aktie auf eine Dividendenrendite von knapp fünf Prozent.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 82,00 Euro
Stoppkurs: 52,00 Euro

Daimler

Erfolgreicher Neustart

Der schwäbische Autokonzern hat sich vor allem dank der Nachfrage aus China schnell aus der Corona-Krise befreien können. Der technologische Umbruch vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb wird an den Börsen nicht mehr als Gefahr, sondern zunehmend als Chance gesehen. Der Börsengang der Trucksparte sollte das Profil des Mutterkonzerns schärfen. Die Daimler-Aktie ist trotz der bereits deutlichen Kursgewinne moderat bewertet, die Dividende dürfte weiter steigen.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 90,00 Euro
Stoppkurs: 59,00 Euro

Deutsche Telekom

Unterschätzte Chancen

Die Telekom hat neue Ziele vorgestellt: Das bereinigte Ergebnis je Aktie soll bis 2024 auf mehr als 1,75 Euro steigen. 40 bis 60 Prozent sollen als Dividende an die Aktionäre gehen, mindestens 60 Cent je Aktie. Wichtigster Kurstreiber ist T-Mobile US. Die Telekom hat die Option, den Anteil von 43 auf über 50 Prozent aufzustocken. Börsianer hoffen auf weitere Veränderungen: Der Wert des Funkturmgeschäfts ließe sich durch einen Börsengang steigern, Nebengeschäfte in Europa könnten über einen Verkauf Geld bringen.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 20,00 Euro
Stoppkurs: 12,00 Euro

Fresenius
Gesundes Comeback


Der Gesundheitskonzern ist über seine Dialysetochter FMC stark im amerikanischen Markt vertreten. Auch die Krankenhaustochter hat in der Pandemie darunter gelitten, dass Patienten aus Angst vor Ansteckung auf medizinische Behandlungen verzichtet haben. Die Aktie war über viele Jahre Liebling der Börsianer, hat sich nach dem Hoch im Jahr 2017 aber zeitweise im Wert mehr als halbiert. Inzwischen ist Fresenius eine Spekulation auf den Turnaround nach dem Corona-Tief.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 52,00 Euro
Stoppkurs: 34,00 Euro

RWE
Grüne Wende


Der Energiekonzern aus Essen setzt auf die grüne Wende: Über die gesamte Wertschöpfungskette - mit Erzeugung, Speicher- und Wasserstofftechnologien - wolle man marktführend sein, betont Konzernchef Markus Krebber. Das eröffnet auch Chancen in der internationalen Expansion. So betreibt RWE Windkraftanlagen unter anderem in Texas. Auch die Dividende soll weiter eine wichtige Rolle spielen. Für das laufende Jahr stellt der Konzern 90 Cent je Aktie in Aussicht.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 40,00 Euro
Stoppkurs: 25,00 Euro

Globax
Deutsche Exportriesen


Der GLOBAX ist ein Aktienindex, der 30 deutsche Unternehmen bündelt, die einen besonders hohen Umsatzanteil außerhalb Europas erzielen. Neben DAX-Werten wie Adidas, Daimler und Infineon sind auch Nebenwerte wie Evonik, Sartorius und Puma vertreten. Alle Indexmitglieder des GLOBAX (der Name steht für German Global Export) werden jedes Jahr im Mai gleich stark gewichtet. Dadurch haben die kleineren Titel einen größeren Einfluss auf die Wertentwicklung als in klassischen Aktienindizes, die ihre Mitglieder nach Marktkapitalisierung gewichten. Investieren können Anleger in den GLOBAX über ein von €uro am Sonntag betreutes Wikifolio (ISIN: DE 000 LS9 PWF 6). Seit Start im Februar vergangenen Jahres ist der Wert des Portfolios um rund 65 Prozent gestiegen.