"Die Inflationsrate schraubt sich auf immer höhere Niveaus", sagte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. "Die mit dem Krieg in der Ukraine gestiegenen Energiepreise haben ihren Weg in das breite Preisgefüge gefunden." Auch im Mai dürfte die Teuerung über sieben Prozent bleiben, erwartete Chefvolkswirt Michael Heise vom Vermögensverwalter HQ Trust.

Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigte sich sehr besorgt über die Preisentwicklung. "Das ist eine Belastung für viele Menschen." Eine so hohe Teuerungsrate gefährde die Stabilität der Wirtschaft und gehe zulasten von Investitionen, sagte der FDP-Chef in Berlin. "Aus einer solchen wirtschaftlichen Lage kann sich eine tiefe Krise entwickeln." Deswegen entlaste die Bundesregierung bereits Unternehmen und private Haushalte. Lindner sagte, Deutschland müsse wegkommen von der lockeren Finanzpolitik. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse müsse 2023 wieder eingehalten werden.

Allein im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen kletterte die Teuerungsrate im April auf 7,7 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit 1973. In Baden-Württemberg legte sie auf 7,0 Prozent zu und erreichte somit das höchste Niveau seit Anfang 1974. In Bayern und Hessen ebbte die Inflation leicht ab, blieb aber auf hohem Niveau.

TANKEN, HEIZEN, ESSEN - ALLES WIRD TEURER


Der russische Einmarsch in die Ukraine sorgt für drastisch steigende Energie- und Rohstoffpreise. "Die stark zweistelligen Inflationsraten bei den Großhandels- und Importpreisen zeigen, dass noch sehr viel mehr Inflation in der Pipeline ist", sagte Friedrich Heinemann vom ZEW-Institut. Energie verteuerte sich im April bundesweit um 35,3 Prozent. Dies spüren die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Tanken und Heizen. In NRW verteuerten sich Kraftstoffe und Haushaltsenergie je um rund 37 Prozent. Auch Nahrungsmittel verteuerten sich um gut zehn Prozent. Bundesweit gab es hier ein Plus von 8,5 Prozent. Dienstleistungen stiegen um 2,9 Prozent und damit stärker als im Vormonat.

Dies zeigt, dass die Verbraucherpreise auf breiter Front anziehen und nicht nur rund um Energie. Das verstärkt bei Fachleuten zugleich die Sorgen, dass der Preisschub länger anhalten könnte als zunächst angenommen.

Die Bundesregierung rechnet in diesem Jahr mit einer Inflation von durchschnittlich 6,1 Prozent - was der höchste Stand seit 1981 wäre. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag die Rate bei 3,1 Prozent und 2020 nur bei 0,5 Prozent.

Viele Firmen wollen die Preise ihrer Waren erhöhen, um steigende Kosten abzupuffern. "Das zieht sich jetzt durch die gesamte Wirtschaft", sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe jüngst im Reuters-Interview. Im Einzelhandel planten dies drei von vier Betrieben. Die steigenden Verbraucherpreise bremsen auch die Kauflaune in Deutschland. So sackte das GfK-Barometer für das Konsumklima sogar auf den tiefsten Stand seit Beginn der Umfrage Anfang der 1990er Jahre. Die Nürnberger Marktforscher begründen dies mit dem Krieg und der Inflation und zeigten sich skeptisch für den Privatkonsum: "Damit haben sich die Hoffnungen auf eine Erholung als Folge der Lockerungen pandemiebedingter Beschränkungen endgültig zerschlagen."

"INFLATIONSWECKER KLINGELT" - EZB UNTER DRUCK


Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht eine Inflation von rund zwei Prozent mittelfristig als ideal für die Konjunktur. Derzeit steckt die Notenbank aber im Dilemma. Sie müsste die Zinsen erhöhen, will aber die Wirtschaft im Euro-Raum wegen der Rezessionsgefahr nicht zusätzlich schwächen. Experten rechnen noch in diesem Jahr mit einer Zinswende, EZB-Chefin Christine Lagarde hat eine Zinserhöhung für 2022 als wahrscheinlich bezeichnet. "Der Inflationswecker klingelt schon seit einige Zeit, die EZB hatte bisher nur immer auf die Schlummertaste gedrückt", sagte DekaBank-Chefökonom Ulrich Kater. "Das ist jetzt vorbei, die Zentralbank wird handeln."

EZB-Vizepräsident Luis de Guindos warnte am Donnerstag vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europa-Parlaments, die Verbraucherpreise dürften in den kommenden Monaten "sehr wahrscheinlich" hoch bleiben. Im März erreichte die Inflationsrate im Euro-Raum den Rekordwert von 7,4 Prozent. Für die am Freitag anstehenden April-Daten erwarten von Reuters befragte Experten einen Anstieg auf 7,5 Prozent.

rtr