Wenn die Entwicklung einer digitalen Währung ein Wettrennen wäre, dann schnürt sich die Europäische Zentralbank (EZB) gerade erst die Schuhe, während andere schon im Sprint in Richtung Ziel sind. "Es geht einfach nicht schnell genug", kritisiert einer, der es wissen muss. Philipp Sandner zählt zu den führenden Experten für Kryptowährungen. Der 41-jährige Wirtschaftswissenschaftler von der Frankfurt School of Finance warnte bereits vergangenen September, dass Europas Wirtschaft Gefahr laufe, von ausländischen Technologieplattformen abgehängt zu werden, vor allem das immer aggressiver auftretende China sei Europa "sechs bist acht Jahre voraus".

Mit seinen Warnungen ist er nicht allein. EZB-Direktor Fabio Panetta argumentiert: "In Europa könnte uns die Expansion großer Tech-Unternehmen von Technologien abhängig machen, die anderswo geregelt werden."

Die Gefahr ist erkannt. Hinter den Kulissen arbeitet die EZB seit Monaten an den Plänen für einen elektronischen Euro, den E-Euro. Im Sommer wird wohl eine Grundsatzentscheidung fallen und erste Tests sollen starten. In spätestens fünf Jahren soll dann der digitale Euro für Unternehmen und Bürger verfügbar sein, so das Ziel von EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

Bis dahin bleibt aber noch viel zu tun. Sandner hält den Zeitplan schon jetzt für "utopisch". Denn die Einführung eines E-Euro hätte das Zeug, das europäische Finanzsystem von Grund auf zu verändern: Manche Beobachter fürchten einen sogenannten "Bank Run", einen massiven Machtgewinn für die EZB oder gar die Abschaffung des Bargelds durch die Hintertür. €uro stellt die Szenarien vor, diskutiert mögliche Folgen und erklärt, was den E-Euro von anderen Digital- und Kryptowährungen wie etwa dem Bitcoin unterscheiden würde.

Albtraum für Zentralbanker. Das Projekt "digitaler Euro" geistert schon mehrere Jahre durch die vielen Stockwerke des EZB-Turms in Frankfurt. Wirklich Fahrt aufgenommen hat es aber erst, als Facebook 2019 ankündigte, eine eigene Währung, Libra, heute unter dem Namen Diem, auf den Markt zu bringen. "Besonders die europäischen Banken hatten Angst, ihr Monopol des Zahlungsverkehrs und damit an Bedeutung und Kontrolle zu verlieren", erklärt rückblickend der Europaabgeordnete der Grünen Sven Giegold (Interview unten). Aber auch die übrige europäische Wirtschaft und die europäischen Politiker wurden von Facebook aufgeschreckt. Finanzminister Olaf Scholz betonte etwa: "Wir sollten das Feld nicht China, Russland, den USA oder irgendwelchen Privatanbietern überlassen."

Die EZB sieht die wachsende Zahl alternativer Währungen - nachdem sie den Start gründlich verschlafen hat - immer kritischer. Die Befürchtung: Wenn sich diese neuen Zahlungswege langfristig durchsetzen, wenn also beispielsweise die fast drei Milliarden Facebook-Nutzer nur noch per Smartphone bezahlen, dann entsteht eine Art Ersatzwährung, die von niemandem kontrolliert wird. Für eine Notenbank, die den Auftrag hat, die Stabilität der Finanzmärkte zu gewährleisten, eine Katastrophe.

Damit aber nicht genug. Nicht nur private Initiativen wie Facebooks Diem drängen auf den Markt, auch viele Staaten haben bereits Initiativen für eigene digitale Währungen gestartet: Die Schweiz arbeitet am "Helvetica-Projekt", einer digitalen Form des Franken für Geschäfte zwischen Banken und Unternehmen; Schweden, ein Land, in dem kaum noch bar gezahlt wird, tüftelt an einer E-Krona; die amerikanische Zentralbank Fed und die Bank of Japan wollen ebenfalls digitale Währungen testen.

Weltweit führend aber ist China. In mehreren Großstädten, so Sandner, würden schon alltägliche Transaktionen mit dem digitalen Yuan durchgeführt, rund 40 Millionen Menschen wären beteiligt. Aus Sicht des zunehmend diktatorischen Regimes wäre die Digitalisierung der Währung wohl ein letzter Schritt zur totalen Überwachung der eigenen Bevölkerung. Bei den Olympischen Winterspielen 2022 will China den E-Yuan, sozusagen als Marketingmasche, auch an Touristen ausgeben.

Wettlauf um Macht und Milliarden. Alle Staaten eint bei diesem Rennen eine Hoffnung: Wer Pionierarbeit leistet, könnte beim Entwerfen internationaler Standards den Ton angeben und sein Know-how gegebenenfalls exportieren.

Die EZB diskutiert derweil munter weiter. Im Januar wurde ein erstes öffentliches Konsultationsverfahren zum digitalen Euro abgeschlossen, auch die Wirtschaft signalisiert Zustimmung, ebenso das Europäische Parlament und die meisten Mitgliedsstaaten.

Wie der E-Euro genau aussehen könnte, wissen die Währungshüter aber noch nicht. Nur so viel ist bereits klar: Der digitale Euro würde von der EZB als "Geld in elektronischer Form" ausgegeben und kontrolliert. Ähnlich wie Bargeld oder Guthaben bei Banken, das sogenannte Giral- oder Buchgeld, entsteht er durch die Zentralbank und die Geschäftsbanken (siehe Grafik). Das sind wesentliche Unterschiede im Vergleich zu Diem oder Bitcoin. Ein E-Euro wäre zudem genauso viel wert wie ein herkömmlicher Euro. Das soll die Stabilität der digitalen Währung garantieren, denn selbst im Fall einer Bankenpleite wäre der E-Euro durch die EZB abgesichert.

Das europäische Geldsystem: Wie im Euroraum Geld entsteht


Ziel eines E-Euro sei, so schreibt die EZB auf ihrer Homepage, dass "die Menschen im Euroraum weiterhin kostenlosen Zugang zu einem einfachen, allgemein akzeptierten, sicheren und verlässlichen Zahlungsmittel haben".

Ein digitaler Euro wäre also etwas anderes als digitale Überweisungen, die schon längst üblich sind. Verbraucher könnten den E-Euro in einer Art virtuellen Geldbörse (engl: wallet) verwahren und entweder via Smartphone oder Datenkarte - online wie offline - nutzen. Diese Wallet könnten Kunden dann entweder von einer Bank, ähnlich wie ein Girokonto, oder direkt von der Zentralbank beziehen. Auf welcher Technologie der E-Euro basieren wird, ist aber noch offen. Eine Option wäre die Blockchain-Technologie des Bitcoin, die als extrem sicher gilt (siehe Kasten unten).

Im Unterschied zu herkömmlichen Verfahren wie Kredit- oder Girokarte, Smartphone oder Paypal fielen für Verbraucher zudem keine Kosten an. Ein digitaler Euro würde daher "Transaktionskosten senken und die Wertaufbewahrung vereinfachen", fasst Volker Wieland, Geldökonom und einer der "fünf Wirtschaftsweisen" der Bundesregierung zusammen.

Eine radikale Option. Spätestens an dieser Stelle wird es knifflig, denn noch ist offen, welche Rolle die Geschäftsbanken bei der Verwendung des E-Euro spielen sollen (siehe Grafik oben).

Eine Möglichkeit wäre das sogenannte indirekte Modell: Die E-Euro werden auf einem separaten Konto verbucht, also getrennt von den Einlagen auf einem normalen Girokonto. Faktisch liegt dieses Konto bei der EZB, doch verwaltet wird es von den Geschäftsbanken. Der normale Verbraucher würde wie beim Bar- und Buchgeld keinen direkten Zugang zur EZB haben. Sandner und Wieland sind sich einig, dass sich bei dieser Lösung für Verbraucher nur wenig ändern würde. Die zweite Möglichkeit, das direkte Modell, schließt Geschäftsbanken aus. Das heißt, Verbraucher hätten selbst Zugriff auf ihr digitales Guthaben bei der EZB. Für Geschäftsbanken wäre das - kleines Wortspiel - reines Kryptonit. Denn viele Kunden würden ihr Geld abziehen, um es direkt bei der EZB zu parken. "Das kann die Stabilität des Bankensystems gefährden", warnt Wieland. Der Bankenverband BdB fordert, dass der E-Euro "in keinem Fall die Funktionsfähigkeit des zweistufigen Bankensystems infrage stellen dürfe".

Die EZB als Alleinherrscherin. Dass das skizzierte direkte Modell in fünf Jahren startet, ist aber extrem unwahrscheinlich. Anders wäre es, wenn sich der E-Euro bereits im Markt behauptet hätte. Das könnte fast automatisch dazu führen, dass "die Rolle der Geschäftsbanken immer unwichtiger wird und die EZB das Geld immer mehr direkt an die Bürger verteilt", prophezeit Finanzwissenschaftler Hanno Beck. Je attraktiver der E-Euro, desto mehr würden Kunden ihre Geldeinlagen von ihrer Hausbank zur EZB umschichten. "Im Extremfall steht am Ende ein Vollgeldsystem, bei dem die EZB die alleinige Herrscherin über das Geld ist", warnt Beck.

Die EZB könnte dann aktiv in die Wirtschaft eingreifen. Sie könnte Negativzinsen durchsetzen, sogenanntes Helikoptergeld in Form von Konsumgutscheinen austeilen und vieles mehr tun. Dank der Programmierbarkeit der neuen Währung wäre es etwa möglich, dass die E-Euro nur in bestimmten Regionen, in bestimmten Geschäften oder gar nur für bestimmte Zeiträume einlösbar wären. Das wäre keine abwegige Idee, um Menschen in Krisenzeiten zum Konsum zu zwingen, statt ihr Geld zu horten. Aber: All diese Optionen gehen weit über die aktuellen Befugnisse der EZB hinaus; die Eurostaaten müssten dem zustimmen.

So weit ist es noch lange nicht. Auch die EZB ist sich der beschriebenen Probleme bewusst. EZB-Direktor Panetta brachte deshalb die Idee ins Spiel, "die Menge an digitalen Euro zu begrenzen, die einzelne Nutzer halten können". Sein Vorschlag: Eine Obergrenze von 3000 digitalen Euro für jeden Bürger.

Für Beck, der an der Uni Pforzheim Volkswirtschaft lehrt, tut sich damit aber sofort das nächste Problem auf. "Geld ist nur dann erfolgreich, wenn es von vielen genutzt wird." Wenn der Umlauf des E-Euro also künstlich niedrig gehalten würde, könne er sich auch nicht im Markt etablieren. Ein klassischer Zielkonflikt, meint Beck.

Auch Datenschützer haben bereits Sorgen geäußert. Schließlich ließen sich digitale Transaktionen und Geldströme viel leichter als bisher nachverfolgen und wahrscheinlich über Jahre speichern. Aus Sicht der Notenbanker wäre das für den Kampf gegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Terrorfinanzierung ein wichtiger Vorteil. Aus Verbrauchersicht droht sich das Schreckgespenst des "gläsernen Bürgers" zu manifestieren.

Was kommt? Stand heute gibt es mehr Fragen als Antworten. Die Fülle an Modellen, die technische Ausgestaltung und die verschiedenen Interessen von Euroländern und Branchenverbänden sind für die EZB nur schwer zusammenzubringen. Es ist deshalb heute unmöglich vorherzusagen, welches Modell sich in welcher Form durchsetzen könnte. Aus Sicht von Experte Sandner wäre es endlich an der Zeit, dass die EZB von der Theorie zur Praxis übergeht: "Bei der Testphase, die hoffentlich im Sommer startet, gilt es, tatsächlich echtes Geld zwischen Kunden, Unternehmen und Banken zu bewegen."

Aus Sicht des Krypto- und Blockchain-Experten steht aber fest, dass sich "digitales Bezahlen langfristig durchsetzen wird". Die EZB mag den Startschuss beim Wettlauf der Digitalwährungen verpasst haben, die Chancen, die darin liegen - nicht zuletzt für sie selbst -, hat sie aber erkannt.


Die Kryptowelt

Verschlüsselt

Der Startschuss für die Kryptowelt fiel im Jahr 2008. Als Reaktion auf die weltweite Finanzkrise tüftelte eine Gruppe Programmierer unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto ein neues digitales Zahlungssystem - den Bitcoin - aus.

Dieses ist dezentral organisiert, für Benutzer anonym und bankenunabhängig. Genauso revolutionär wie die Idee an sich ist die dahinterstehende Technologie: Die Blockchain ist eine, vereinfacht gesagt, verschlüsselte Kette aus Datensätzen (krypto = verborgen, versteckt), auf der sämtliche Transaktionen gespeichert werden. Bei Experten gilt die Blockchain als quasi unhackbar.

Auch ein digitaler Euro könnte sich daher der Blockchain-Technologie bedienen.

Trotz dieser Innovation ist der Begriff Kryptowährung aber irreführend. Denn der Bitcoin und alle anderen rund 4500 Krypto-Assets erfüllen zentrale Geldfunktionen (Geld als Tauschmittel, Rechnungseinheit und Wertspeicher) nicht: Sie ähneln viel eher spekulativen Waren, mit dem Unterschied, dass sie nur digital existieren. Wer beispielsweise seinen Zugangscode (Private Key) verliert oder vergisst, kann - anders als bei Banken - nicht einfach einen neuen anfordern. Die Bitcoins sind dann für immer verloren.

Trotzdem steigt die Zahl der Kryptofans rasant: Neben Tesla-Gründer Elon Musk planen mittlerweile auch Investmentbanken und Vermögensverwalter wie Blackrock, in Kryptogeld zu investieren. Auch Zahlungsanbieter wie Paypal und Mastercard wollen ihre Systeme entsprechend anpassen. Solange man seine Steuern aber nicht in Kryptogeld zahlen kann, so lange werden Kryptos staatliche Währungen nicht verdrängen können.


Interview Sven Giegold, EU-Abgeordneter

"Niemand wird gezwungen, digital zu bezahlen"

Der Finanzexperte und Sprecher der Grünen im EU-Parlament steht im regelmäßigem Austausch mit der EZB

€uro: Herr Giegold, die EZB arbeitet am digitalen Euro. Was bringt er Verbrauchern?

Sven Giegold: Günstigere, schnellere und sicherere Transaktionen. Bis jetzt ist es so, dass bei Kontoführung und Auslandsüberweisungen teils überzogen hohe Kosten entstehen.

Warum hat es die EZB mit der Einführung eines E-Euro auf einmal so eilig?

Seit Facebook 2019 ankündigte, eine eigene Währung zu starten, sorgen sich die europäischen Banken um ihr Zahlungsverkehr-Monopol.

Aber auch ein digitaler Euro, ausgegeben von der EZB, könnte für europäische Banken zum Problem werden.

Das stimmt. Auf der einen Seite wollen sich Banken alternative Währungen wie Facebooks Diem vom Hals halten, auf der anderen Seite wollen sie aber auch nicht, dass Kunden zur EZB abwandern …

… weil sie sonst befürchten müssten, überflüssig zu werden?

Das glaube ich nicht. Das originäre Bankengeschäft ist die Kreditvergabe, sprich die Vermittlung zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber. Hier haben Banken aufgrund ihrer Erfahrung einen riesigen Informationsvorsprung. Ich erwarte auch, dass die EZB noch einiges machen wird, um Großbanken noch stärker in das Projekt digitaler Euro zu integrieren.

Gefährden alternative Währungen wie Diem oder Bitcoin langfristig die Finanzmarktstabilität?

Die Technologie hinter den Krypto-Assets ist faszinierend. Das Hauptproblem dabei ist aber, dass die Regeln des Zahlungsverkehrs hier nicht gelten. Es gibt zum Beispiel keine ordentliche Kundenidentifizierung, kein konsequentes "Know your customer"-Prinzip. Somit ist das schon heute ein Tummelplatz für Kriminelle. Ohne einen strikten Regelungsrahmen - den wir auf EU-Ebene schon länger fordern - besteht zudem die Gefahr, dass sich solche Großprojekte zu alternativen Geldsystemen entwickeln, in denen nicht länger der Staat, sondern mächtige Finanzkonzerne das Sagen haben.

Manche Beobachter fürchten durch die Entwicklung eines E-Euro auch ein Ende des Bargelds - und die totale Transparenz des Zahlungsverkehrs.

Diese Befürchtungen sind hysterisch. Niemand wird gezwungen werden, digital zu bezahlen. Jeder, der Lust hat, kann weiterhin Bargeld nutzen - gerade für kleinere Beträge würde ich das sogar empfehlen. Bei größeren Summen, etwa über 10000 Euro, ist das anders: Wenn hier keine allgemeinen Regeln gelten, wenn hier die Zahlungswege nicht nachvollziehbar sind, dann ist das ein Einfallstor für organisierte Kriminalität. Kein normaler Mensch zahlt heute schließlich noch eine Immobilie oder ein Auto in bar.