von Robert Halver

Seit fünf Monaten wird in Brüssel über griechische Reformen hin und her, vor und wieder zurück diskutiert. Allein die dabei anfallenden Flugkosten der Finanzminister, Regierungschefs, EU-Verantwortlichen und ihrer jeweiligen Entourage könnten ganzen Heerscharen von Griechen auskömmliche Renten bescheren.

Wenn der blanke Kreditnehmer Gegenleistungen verlangt



Ein finales Angebot der Gläubiger liegt jetzt auf dem Tisch. Offen sind aber wohl noch die "Gegenleistungen", die Athen für seine Reformvorschläge erhalten will. Zunächst würde der Regierung Tsipras ein Rausschmiss des IWF gefallen, der sich doch tatsächlich als unverschämter Oberlehrer aufspielt und reformstur bleibt. Und ein Schuldenschnitt würde Tsipras auch sehr entzücken: Schulden machen, die später gestrichen werden, um über dann niedrigere Schuldenstände, d.h. bessere Bonität neue Kredite zu erhalten. So etwas nennt man einen Zirkelbezug. Und wie schön wäre es doch, wenn der Europäische Rettungsschirm griechische Staatsanleihen ankauft. Denn damit ist die Bedingung erfüllt, dass die EZB im Rahmen ihres Anleiheaufkaufprogramms auch griechische Staatspapiere aufkaufen darf. So würde es Athen über mehr und günstiges Kreditgeld gelingen, ansonsten unerschwingliche, griechische Wohltaten durch die geldpolitische Hintertür zu finanzieren. Jetzt verstehen wir auch das permanente Grinsen des griechischen Regierungschefs.

Auf Seite 2: Ohne wirkliche Reformen steckt Griechenland in der Dauer-Rettungsschleife





Ohne wirkliche Reformen steckt Griechenland in der Dauer-Rettungsschleife



Grundsätzlich springen all die angekündigten Reformen ohnehin viel zu kurz. Es geht doch nicht um höhere Steuereinnahmen bzw. niedrige Staatsausgaben. Es geht um eine wettbewerbsfähige griechische Volkswirtschaft, die über freiwillige Unternehmensinvestitionen, Beschäftigungsaufbau, Konsum und schließlich Steuerzahlungen erst die Schuldenbedienung aus eigener Kraft ermöglicht. Griechenland braucht keine kosmetische Behandlung in Form neuer Hilfsgelder, sondern eine wirtschaftliche Kernsanierung an Haupt und Gliedern. Eine ordentliche Steuergesetzgebung und gnadenlose Steuereintreibung, ein effizientes Verwaltungswesen und eine knallharte Bekämpfung der Fakelaki-Korruption sind alternativlos, damit Griechenland aus seiner Wettbewerbsunfähigkeit entkommt. Doch diese Dinge werden gar nicht verfolgt. Neue Hilfsgelder der Gläubiger fallen bei Beibehaltung der fatalen griechischen Wirtschaftsbedingungen auf unfruchtbaren Boden. Da könnte man auch versuchen, Tomaten in der Sahara anzubauen.

Kollektiver Wahnsinn heißt nicht allgemeine geistige Gesundheit



Wie gehen die Gläubiger mit dieser Gemengelage an griechischen Risiken um? So wie immer: EU-politische Gnade wird vor finanzpolitischem Recht ergehen. Dass Griechenland in der Eurozone bleibt, signalisiert nicht zuletzt die EZB, die die Banken künstlich am Leben hält. Mit mittlerweile knapp 90 Mrd. Euro betreibt sie Insolvenzverschleppung griechischer Kreditinstitute. Als ihr Durchlauferhitzer sorgt sie nicht zuletzt dafür, dass griechische Bankkunden problemlos ihre Euros aus den Geldausgabeautomaten abheben können. Müsste die EZB einen Grexit befürchten, könnte sie derartige Notkredite wohl kaum tätigen. Natürlich gibt es keine Schuldenstreichung, aber die bestehenden Schulden werden bis zum Sankt Nimmerleinstag gestundet und umgeschuldet. Das ist die "moderne" Art eines Schuldenschnitts: Was Du heute kannst besorgen, verschiebe besser auf übermorgen, wenn Du nicht mehr politisch verantwortlich bist.

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Europa hat das kleine südosteuropäische gallische Dorf massiv unterschätzt



Per heute spricht viel dafür, dass Tsipras weiter grinsen wird. Seine Spekulation auf einen großen Last Minute-Triumph dürfte aufgehen. Mit seiner "klugen" Verhandlungstaktik, die Griechenland in die Rolle des armen Opfers brachte, musste er zwar einige Kröten schlucken, aber die Gegenleistungen sind auch nicht aus Pappe. Insgesamt, mit so einem faulen Kompromiss kann sich Tsipras auch in seiner eigenen Partei sehen lassen. Einstweilen mag damit die griechische Kuh zwar vom Eis sein, doch hat dieses gute Tier leider die schlechte Angewohnheit, immer wieder auf das Eis zurückzulaufen. D.h. spätestens Ende des Jahres gibt es die Wiedervorlage der Griechenlandkrise. Denn die Hilfsgelder verschwinden im griechischen Groschengrab schneller als man schauen kann.

Immer noch wäre Zeit da, umzudenken. Griechenland in der Eurozone ist wie eine umfangreiche Mathematikaufgabe, bei der sich ein anfänglicher Fehler - das Reinlügen in die Währungsunion - bis zum Schluss durchzieht und nicht mehr korrigiert werden kann. Man sollte den Griechen in ihrem eigenen Interesse den Austritt aus der Eurozone mit der - nur unter dieser Bedingung - Gegenleistung eines großen kompletten Schuldenschnitts gewähren. Mit dieser großzügigen Unterstützung - die in einer Übergangszeit durch die Sicherstellung der Krankenversicherung und Energieversorgung Griechenlands ergänzt werden könnte - müsste das Land lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Dabei würde eine Exportbeschleunigung durch die Drachme gewisse Wettbewerbsunfähigkeiten heilen. Man sollte Griechenland nicht weiter den Fisch liefern, sondern dem Land eine Angel schenken, damit es selbst fischen kann. Dumm sind die Griechen ganz sicher nicht. Das Reform-Gen werden sie dann schon entwickeln. Im Übrigen bleibe ich fest bei meiner Meinung, dass bei einem Grexit der griechische Virus nicht auf andere Euro-Länder übergeht. Denn wofür haben wir die EZB mit der Abkürzung Einer Zahlt Bestimmt? Das hat zwar mit Stabilität auch nichts mehr zu tun. Aber im heutigen Zustand der Eurozone frisst der Teufel Fliegen.

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Das stabilitätspolitische Rückgrat der Eurozone ist eine weichgekochte Spaghetti



Aber eigentlich müsste ich wissen, dass erstens Griechenland keine marktwirtschaftliche Kernsanierung macht, wenn es schon mit der Kosmetik Probleme hat. Und zweitens findet finanzpolitische Vernunft selbst bei Politikern der Gläubigerinstitutionen selten Gehör. Zum Schluss wird der Bundestag in einer Nacht und Nebel-Aktion wieder alles durchpeitschen.

Die Finanzmärkte werden zwar den Verbleib Griechenlands in der Euro-Familie im Rahmen einer Non-Grexit-Rallye zunächst begrüßen. Doch damit ist der Umbau der einst stolzen Europäischen Stabilitäts- zur Europäischen Schuldenunion von geldpolitischen Gnaden eingeleitet. Denn es geht nicht nur um die griechische Spitze des Eisbergs: Unter der Wasserlinie warten andere Kandidaten, die dann schon aus Gründen der Gleichbehandlung Stabilitätskriterien nicht mehr ernst nehmen werden. Nach unserer Stabilitätsseele wird unsere Wirtschaftsseele schweren Schaden nehmen. Da geht sie dahin, die Stabilitätsunion.

Sollte jedoch - wider Erwarten - bei den Institutionen die finanzpolitische Vernunft obsiegen, würde ich mich erstmals in meinem beruflichen Leben über eine Fehleinschätzung freuen.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.