Unabhängig davon, ob Russland den Gashahn nur teilweise oder doch ganz zudreht, muss und wird Europa seine Energieversorgung neu organisieren. Sonst bleibt die EU von den politischen Amokläufern in Moskau abhängig. Mittlerweile ist in Deutschland die Diskussion über eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Kernkraftwerke in vollem Gang. Doch die allein können es nicht richten. Die Reaktoren Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 lieferten zuletzt noch sechs Prozent des hierzulande benötigten Stroms. Der Anteil von Gaskraftwerken belief sich dagegen auf 13 Prozent. Die weitaus größeren Mengen von Erdgas dienen allerdings dem Heizen von Gebäuden und der industriellen Produktion.

Ende Juli waren die Gasspeicher in Deutschland zu 66,8 Prozent gefüllt. Angeblich ist ein Füllstand von 90 Prozent bis zum 1. November möglich. Die Meinungen, ob das reicht, um durch den Winter zu kommen, gehen auseinander. Für ein positives Szenario wäre es unbedingt erforderlich, dass Russland zumindest 20 Prozent der ursprünglich vereinbarten Mengen liefert. Im Augenblick ist das noch der Fall. Präsident Wladimir Putin hat aber bereits mehrfach gezeigt, dass er die Gaslieferungen als politische Waffe einsetzt.

Kaum ein Land war bislang so abhängig von russischem Pipelinegas wie Deutschland. Im vergangenen Jahr kam von dort fast die Hälfte der gesamten Gasimporte, in der EU sind es 45 Prozent.

Ein Ersatz durch alternative Energien kommt kurzfristig nicht infrage. Denn erstens geht der Ausbau der Erneuerbaren nicht von heute auf morgen. Und zweitens sind Wind- und Solarparks bislang nicht grundlastfähig. Wenn kein Wind bläst und es dunkel ist, liefern sie kaum oder gar keinen Strom. In Deutschland können die drei noch laufenden Kernkraftwerke nur einen kleinen Teil der absehbaren Energielücke schließen, selbst wenn sie über 2022 hinaus am Netz blieben.

Frankreich fährt mit halber Kraft

In Frankreich sieht das grundsätzlich anders aus. Dort produzieren 56 Kernkraftwerke rund 70 Prozent des benötigten Stroms. Auch Deutschland bezog in der Vergangenheit regelmäßig französischen Atomstrom. Doch derzeit werden die russischen Gasdrosselungen dadurch verschärft, dass die Kernreaktoren in Frankreich nur mit halber Kraft fahren. Neben routinemäßigen Wartungsarbeiten kam es zuletzt aufgrund von kleinen Rissen in den Rohrleitungen der Notkühlsysteme zu Überprüfungen und damit verbunden zu Abschaltungen. Normalerweise gehört Frankreich zu den Exporteuern von Strom, aktuell muss das Land Elektrizität importieren.

LNG als Ausweg

Kein Wunder, dass derzeit Flüssiggas als Lückenbüßer im europäischen Energiemix gefeiert wird. Dabei wird Erdgas auf minus 162 Grad heruntergekühlt und dadurch verflüssigt. Der Transport erfolgt dann mit speziellen LNG-Tankern. Am Ankunftshafen wird das LNG erwärmt, wechselt dadurch wieder in den Aggregatszustand Gas und kann ins Pipelinenetz eingespeichert werden - vorausgesetzt, es gibt die notwendige Infrastruktur. In Deutschland ist das leider bislang nicht der Fall.

Doch es wird am Aufbau von LNG-Terminals zum Löschen, also "Entladen", von Flüssiggas gearbeitet. Zwei sollen so schnell wie möglich in Wilhelmshaven und in Brunsbüttel entstehen. Weitere LNG-Terminals sind in Stade und in Rostock im Gespräch. Außerdem gibt es LNG-Tanker, die selbst eine Regasifizierungsanlage an Bord haben. Deutschland hat sich bereits vier dieser Spezialschiffe für zehn Jahre gesichert. Zwei mietet der in Schieflage geratene Gasversorger Uniper an, zwei weitere ein Konsortium von RWE und dem niederländischen Pipelinebetreiber Gasunie. Eines der Schiffe soll in Wilhelmshaven, ein zweites in Brunsbüttel festmachen und dort als schwimmendes LNG-Terminal zum Löschen von Gaslieferungen genutzt werden.

Außerdem könnte LNG in den Terminals im niederländischen Gate und im belgischen Zeebrugge gelöscht werden und dann über das bestehende Pipelinesystem nach Deutschland fließen. Auch Frankreich hat seine Hilfe angeboten. Hier gibt es bereits vier LNG-Terminals. Bisher floss russisches Pipelinegas durch Deutschland nach Frankreich, jetzt könnte es in die umgekehrte Richtung gehen.

Es ist klar, dass die Bundesrepublik so schnell wie möglich an größere Mengen von LNG rankommen muss. Zwar ist die Not in Deutschland am größten, aber auch die anderen europäischen Länder brauchen mehr Flüssiggas, damit die Industrieproduktion weiterlaufen kann und die Menschen im Winter nicht frieren müssen.

Natürlich sind die Europäer nicht die Einzigen, die heiß auf Flüssiggas sind. Vor allem in Asien ist der fossile Energierohstoff äußerst begehrt. Allein China hat im letzten Jahr 21 Prozent des globalen Angebots abgenommen. Kein anderes Land hat in den vergangenen Jahren seinen Bedarf an LNG so stark gesteigert wie die Volksrepublik. Von 2010 bis 2020 hat sich die chinesische Nachfrage mehr als versiebenfacht. Japan folgte mit gut 19 Prozent dicht auf dem zweiten Platz.

Südkorea kam vor einem Jahr immerhin auf einen Anteil von 12,4 Prozent. Größere Mengen gingen zudem an Indien und Taiwan. Erst auf Platz 6 taucht auf der Liste der größten LNG-Importeure der Welt mit Spanien ein Land aus Europa auf. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Preise für Flüssiggas von damals nicht mit denen von heute vergleichbar sind.

Katar baut Produktion stark aus

Auf der Liste der größten Exporteure von LNG stand Australien mit 20,9 Prozent hauchdünn vor Katar mit 20,7 Prozent auf Platz 1. Die Produktion legte allerdings in den vergangenen Jahren in dem arabischen Land sehr viel stärker zu. Rang 3 der größten Anbieter belegten vor einem Jahr die USA. Russland, 2021 noch auf Platz 4 der weltweit größten Exporteure, will seine Ausfuhren weiter steigern. Statt Pipelinegas nach Europa zu liefern, will Moskau verstärkt verflüssigtes Gas nach Asien verschiffen. Denn bislang gibt es nur eine Leitung nach China.

Für Anleger gibt es vielfältige Möglichkeiten, in den Energierohstoff zu investieren. So gibt es verschiedene ETFs und ETCs, die sich am Preis für Erdgas, nicht LNG, orientieren. Diese sind allerdings äußerst volatil und haben im Juni zwischenzeitlich mehr als ein Drittel ihres Werts verloren.

Natürlich liegt es da für Anleger auf der Hand, lieber auf die Aktien der Förderer zu setzen. Bei einem etwas breiteren Ansatz sollten Anleger auch die Transporteure von LNG und Unternehmen, die die Infrastruktur bauen, in Betracht ziehen.

INVESTOR-INFO

Dynagas

Top bei LNG-Tankern

Griechische Reeder kontrollieren welt- weit ein Fünftel der Transportkapazitäten für LNG per Schiff. Dynagas betreibt eine Flotte mit sechs LNG-Tankern. Die Schiffe werden langfristig verchartert, zwei hat sich kürzlich Deutschland gesichert. Daher dürften sich die Preissteigerungen bei den Frachtraten erst mit zeitlichem Verzug im Ergebnis niederschlagen. Deshalb sind die Titel wohl bisher nur moderat gestiegen. Achtung: Die Aktie ist in Deutschland recht markteng. Limit setzen.

EQUINOR

Wandel zum grünen Konzern

In Europa produziert nur Gazprom mehr Erdgas als Equinor. Die Norweger sind aber auch im Bereich alternative Energien tätig und wollen bis 2050 klimaneutral arbeiten. Schon heute versorgt Equinor eine Million Haushalte in Großbritannien und Deutschland mit Strom von Offshore-Windparks. Im Juli wurde ein US-Batteriespeicherentwickler übernommen.

Cheniere

Nummer 1 in den USA

Bei Cheniere mit Stammsitz in Texas handelt es sich um den größten LNG-Produzenten der USA. Das Unternehmen beutet zwei Vorkommen vor der amerikanischen Golfküste aus. Außerdem betreibt Cheniere ein LNG-Exportterminal mit sechs Verflüssigungsanlagen, das ursprünglich für den Import geplant war. Das Unternehmen deckt die gesamte LNG-Wertschöpfungskette ab. Der Aktienkurs hat sich in einem Jahr verdoppelt.