Der "Börsenpfarrer", wie er in den Medien gern genannt wird, wechselt problemlos zwischen zwei Welten. Uwe Lang sagte den Crash im Jahr 1987 voraus und gelangte damit zu einigem Ruhm in der Investmentszene. Das Interview mit ihm findet gleichwohl in einer Kirche in Dinkelscherben bei Augsburg statt. Das Gotteshaus gehört zu jener evangelischen Gemeinde, in der der studierte Theologe mindestens einmal pro Monat einen Gottesdienst hält - ehrenamtlich. Aus dem professionellen Kirchendienst ist Lang seit 30 Jahren raus. Im Hauptberuf ist er inzwischen Börsianer. Der 78-Jährige greift hier auf jahrzehntelange Erfahrung zurück. Grund genug nachzuforschen, wie er beide Bereiche verbindet.

Euro am Sonntag: Herr Lang, darf man an der Börse von einem Krieg profitieren?

Uwe Lang: Es geht beim Anlegen von Kapital nicht darum, ob man dabei von einem Krieg profitiert. Sondern man legt der Situation angepasst an beziehungsweise sichert sich entsprechend ab. Dass man außerdem durch Geldspenden den ukrainischen Kriegsopfern hilft, dürfte ja selbstverständlich sein.

Konkret zu Rüstungsaktien: Muss man ein schlechtes Gewissen haben, wenn man jetzt einsteigt, weil man denkt, dass es weiter nach oben geht?

Ich sehe keinen Grund für ein schlechtes Gewissen. Es könnte sogar ein ethischer Aspekt dabei sein, wenn jemand damit rechnet, dass Käufe von europäischen Rüstungsaktien mithelfen, etwas gegen Putins Aggression zu tun. Allerdings wird das wohl nicht so funktionieren. Außerdem sind solche Käufe hochspekulativ und können zu einigen Verlusten führen.

Und was halten Sie in diesem Zusammenhang von Spekulationen mit Rohstoffen?

Solche Investments sind ganz normal, wenn man mit steigenden Preisen rechnet.

Solche Antworten sind für einen Kirchenmann unüblich. Viele christliche Investoren legen generell nach ethischen Maßstäben an. Sie auch?

Nur sehr eingeschränkt. Wenn es beispielsweise darum geht, dass man die Umwelt nicht verschmutzt, dann halte ich mich daran. Ich würde andererseits mahnen, dass man die Unternehmen nicht ständig auf solche Kriterien hin abklopfen sollte, beispielsweise wie umweltfreundlich sie sind. Die meisten von ihnen bemühen sich inzwischen darum, schon wegen ihres Images.

Es heißt immer wieder, nachhaltiges Anlegen bringe auf lange Sicht bessere Renditen. Glauben Sie das?

Nein, zumindest so lange nicht, bis mir jemand schlüssig beweist, dass das tatsächlich stimmt. Außerdem kann man die Großkonzerne nicht so strikt einteilen in nachhaltig und nicht nachhaltig. Sie haben sehr viele Abteilungen, das kann man nicht alles über einen Kamm scheren.

Nachhaltige Anleger schließen Ölkonzerne aus, weil sie den Klimawandel verstärken. Kaufen Sie solche Aktien?

Durchaus. Ich finde die Kritik an Ölkonzernen auch übertrieben - man braucht die Firmen und ihre Produkte ja noch. Man muss auch sehen, dass große Ölunternehmen mittlerweile stark in alternative Energien investieren. Die wollen sich ja selbst weiterentwickeln. Ich lehne aber andere Firmen aus ethischen Gründen ab.

Jetzt sind wir aber gespannt.

All jene, die Daten sammeln, auswerten und daran gut verdienen. Diese Datenkraken sind mir zutiefst unsympathisch. Also Google beziehungsweise deren Holding Alphabet, Facebook, das sich neuerdings in Meta unbenannt hat, Twitter und wie sie alle heißen. Deren Aktien habe ich noch nie besessen und habe es auch nicht vor.

Haben Sie wegen dieser Bedenken auf Gewinne verzichtet?

Möglicherweise. Aber es gibt viele gute Unternehmen, in die ich investieren kann. Diese Aktien brauche ich nicht.

Und wie steht es generell mit jungen, aufstrebenden Unternehmen?

Es mag schon sein, dass sich deren Kurs irgendwann verzehnfacht. Aber das hat etwas von Glücksspiel, und das lehne ich an der Börse ab. Ich gebe zu, dass ich eher auf Unternehmen setze, die ich schon jahrzehntelang kenne. Das sind beispielsweise oft dividendenstarke Werte. Man muss immer schauen, ob Titel schon überbewertet sind oder nicht. Am deutlichsten sieht man das am Kurs-Umsatz-Verhältnis. Je höher das ist, desto mehr Vorsicht ist geboten.

Aber alle Wachstumswerte haben anfangs ein extrem hohes Kurs-Umsatz-Verhältnis. Das normalisiert sich dann bei den erfolgreichen unter ihnen durch einen starken Umsatzanstieg.

Man muss genau hinschauen. Manchmal ist der Kurs sehr hoch, obwohl sich das Wachstum schon abschwächt. Immer noch zu kaufen, wenn sie am Markt schon etabliert sind - da wäre ich sehr vorsichtig.

Haben Sie Lieblingsaktien?

Nein. Das wäre auch falsch, weil man sich dann eventuell zu lange daran festhält.

Wie stellen Sie Ihr Portfolio zusammen?

Nach einfachen strategischen Regeln. Hauptregel: Folge dem Trend. Aber passe auch auf, dass der Trend nicht inzwischen überreizt ist. Es müssen einige Sicherungsmechanismen eingebaut sein.

Welche?

Zum Beispiel das angesprochene Kurs-Umsatz-Verhältnis. Wenn beispielsweise die Aktie des trendigen Wasserstoffunternehmens einen Wert von um die 50 hat, sage ich: Die Leute, die das jetzt noch kaufen, spinnen irgendwie. Oder sie haben keine Ahnung. Sie folgen nur dem Trend und werden dann schon noch erleben, was dann passiert.

Welche weiteren Regeln beachten Sie?

Trotz vieler Ausnahmen ist auch wichtig: Kaufe nicht unbedingt zu Beginn des Sommers.

Was steckt dahinter?

Ich glaube, dass es an der Urlaubszeit im Sommer liegt, wo die Börse etwas stillliegt, und sich die Großanleger danach neu orientieren. Deshalb ist die Börse gerade im September und Oktober anfällig für Crashs, auch wenn es im vergangenen Jahr nicht der Fall war. Ende Oktober kann man dann wieder einsteigen.

Wir versuchen es mit einer weiteren Börsenregel. Was halten Sie von dem Spruch "Lege nicht alle Eier in einen Korb"?

Ist auch zutreffend. Ich streue immer sehr breit.

"Greife niemals in ein fallendes Messer", sprich: Kaufe niemals bei fallenden Kursen?

Ebenfalls richtig. Die Börse übertreibt regelmäßig, auch nach unten. Wer zu früh wieder einsteigt, muss vielleicht erleben, dass er anfangs große Verluste hat.

Und nun ein eher ironisch gemeinter Spruch: "When in trouble, double" - auf Deutsch: Verdopple, wenn du in Schwierigkeiten bist?

Nein, auf keinen Fall nachkaufen! Das machen nur Anfänger. Die sind eigensinnig und denken: Ich habe sie schon für 40 Euro gekauft und sie für niedrig bewertet gehalten, und jetzt kaufe ich bei 30 nach. Dann fällt sie weiter auf 20, und dann kommen Nachrichten heraus, dass man erschrickt. Und man merkt: Oh, 30 Euro war immer noch zu teuer.

Kauft nicht sogar Warren Buffett manchmal nach?

Ja, aber der analysiert die Unternehmen sehr gut und kann wahrscheinlich auf Insiderdaten zurückgreifen. Das kann ein Privatanleger nicht.

Sehen Sie sich als ausschließlichen Value-Investor, der auf den inneren Wert der Aktien achtet statt auf starke Wachstumschancen?

Nein, ich sehe mir beispielsweise gern die relative Stärke an, also die Kursentwicklung einer Aktie im Vergleich zum Gesamtmarkt. Das zeigt mir: Wird gekauft oder nicht gekauft? Hat die Börse schon wieder übertrieben? Wenn eine Aktie im untersten Drittel steht, dann muss sie raus, dann hat es keinen Sinn mehr.

Welchen Anlagehorizont haben Sie?

Keinen einheitlichen. Ich kaufe vor allem dann, wenn die Zentralbanken die Geldmenge erhöhen und nicht bremsen. Das ist eine Hauptvoraussetzung, dass man überhaupt noch einsteigen kann. Außerdem sollten die Kurse möglichst noch niedrig sein. Ob sie jetzt zu hoch sind, ist ja umstritten.

Sie waren am Anfang Ihrer Börsenkarriere ein erklärter Gegner von Investmentfonds. Doch seit 2007 beraten Sie selbst einen. Was hat Sie zum Umdenken gebracht?

Ich wollte Anlegern eine gute Alternative zu den üblichen Fonds bieten. Die Statistik sagt, dass aktiv gemanagte Fonds zu 70 Prozent schlechter abschneiden als der Vergleichsindex. Ich und einige andere wollten sehen, ob wir es nicht ein bisschen besser machen als die anderen.

Das ist Ihnen bislang nicht gelungen. Der Fonds schneidet über diverse Laufzeiten schlechter ab als der MSCI World.

Immerhin haben wir den Wert seit Auflage 2007 verdoppelt. Und wir werden die ETFs noch schlagen! Zudem war unsere Volatilität, also die Schwankungsbreite der Kurse, geringer. Das liegt daran, dass wir sehr vorsichtig sind, war auch richtig so. Für mich selbst würde ich eher ein bisschen mehr riskieren. Aber wenn es um das Geld von anderen geht, halte ich mich eher zurück.

Wie viel Zeit wenden Sie täglich für die Börse auf?

Im Schnitt fünf bis sechs Stunden. Ich arbeite vor allem daran, Systeme noch etwas zu verbessern, die ich entworfen habe.

Was meinen Sie damit?

Ich entwickle Systeme aus bestimmten Kriterien, beispielsweise die Geldmarktzinsen, die Anleihezinsen, der Dollar, das Preisniveau, die Trends großer Aktienindizes. Ich versuche, anhand der vergangenen 50 Jahre nachzuvollziehen, was besser und was schlechter geklappt hat. Das ist nicht so einfach.

Warum?

Die Börse hat sich in den letzten 20 Jahren ein bisschen anders verhalten als in den 30 Jahren zuvor. Früher hat eher die Inflationsgefahr die Börse gedrückt, bis vor Kurzem eher die Deflationsgefahr. Die Börse läuft heute mehr mit der Konjunktur rauf und runter. Das war früher überhaupt nicht der Fall, früher lief die Börse gegen die Konjunktur. 1975 war ein Rezessionsjahr, und die Börsenkurse waren ganz hoch.

Weshalb hat sich das gedreht?

Früher haben die Anleger gedacht: In der Rezession besteht keine Inflationsgefahr. Deshalb haben sie fleißig gekauft. Heute ist die Gefahr größer geworden, dass verschiedene Unternehmen pleitegehen, dass Banken zusammenbrechen. Diese Angst hat man in den 70er- und 80er-Jahren nicht gehabt. Sie kam erst in den 90ern auf, besonders nach dem Jahr 2000. Deshalb passt nicht ein einziges System auf die ganzen vergangenen 50 Jahre.

1987 wurden Sie bekannt, weil Sie den Crash vorhergesagt hatten.

Die Zentralbanken haben gebremst, die Zinsen sind wahnsinnig gestiegen. Und dann noch zu kaufen, wenn die Kurse extrem hoch sind, wie es damals der Fall war - es war kein Kunststück zu sehen, dass das nicht so weitergehen kann. Ich habe mich bloß gewundert, warum das keiner merkt.

Vita:
Hobby und Beruf getauscht


Uwe Lang studierte evangelische Theologie und arbeitete hauptberuflich als Religionslehrer und Pfarrer. 1985 fing er an, über die Börse zu schreiben. Der heute 78-Jährige gibt seit Anfang 1987 den Rundbrief "Börsensignale" (boersensignale.de) heraus - und riet kurz vor dem Crash am 19. Oktober 1987, alle Aktien zu verkaufen. Das brachte ihm interna - tionale Aufmerksamkeit. 1992 machte er sein Hobby zum Beruf und schied aus dem Kirchendienst aus. Seit 2007 berät Lang den Aktienfonds BS Best Strategies UL Trend & Value (ISIN: LU 028 875 967 2). Der passionierte Schachspieler hat zehn Finanzbücher verfasst und schreibt die wöchentliche "Börsenkolumne" im Anlegermagazin BÖRSE ONLINE, das wie €uro am Sonntag im Finanzen Verlag erscheint. Lang ist verheiratet und hat zwei Kinder.