Jan Henric Buettner, 56 Jahre alt und schlaksige 1,90 Meter groß, schlendert über den Kies der Auffahrt. Zum Interview hat er ins Hauptgebäude in Weissenhaus an der Ostsee gebeten. Über leicht angestaubten schwarzen Cowboystiefeln trägt er Bluejeans mit Prägemuster, Designer-­ T-Shirt und Schlosserjacke ("meine Schlossherrjacke"): Man würde dem zu Anglizismen neigenden Hamburger mit der verwuschelten Frisur den Bassisten einer Softrockband eher abnehmen als den vielfachen Millionär, der er ist.

In der Bibliothek stehen gerahmte ­Fotos von Buettners Vater und ihm selbst, mit seiner ersten Frau und den beiden (Klein-)Kindern aus Zeiten, da er, wie in eigenen Kindertagen, die Hoh­wachter Bucht besuchte. Damals gehörte das 75-Hek­tar-Grundstück noch den Grafen von Platen. Als Buettner 2005 hörte, dass das Gut für sieben Millionen Euro zum Verkauf stand, schlug er zu - ohne einen Plan für eine Nutzung zu haben.

Er konnte sich’s leisten. Der womöglich geniale Venture Capitalist der New Economy hatte gerade vor einem Gericht im heimischen Santa Barbara, Kalifornien, 80 Millionen Dollar erstritten, als Abfindung für seinen Beitrag zum Aufbau von AOL Europe. Ein großer Teil floss in das Weissenhaus Grand Village and Spa Resort. Von dem manche - ­unter ihnen natürlich Buettner selbst - sagen, es sei das schönste und groß­zügigste der Republik. Und damit seine nächste große Erfolgsgeschichte.

€uro am Sonntag: Weissenhaus ist ein romantischer Ort für Sie. Ist das eine günstige Voraussetzung für ein Millionenprojekt?
Jan Henric Buettner: Es ist auf jeden Fall ein Ansporn, etwas Gutes zu machen. Grundsätzlich vertrete ich die Meinung, dass man bei allem, was man macht, auch Spaß haben sollte. Aber jedes Projekt muss in irgendeiner Art eine Wirtschaftlichkeit nachweisen. Egal wie romantisch es ist.

Und Ihre Idee war eine norddeutsche Antwort auf Schloss Elmau?
Nein, Weissenhaus ist einzigartig. Schloss Elmau ist ja nur insofern vergleichbar, als es im selben Segment Kunden anspricht und ein hochwertiges Produkt anbietet im Sinne von Spa- und Hotelleistung. Aber es ist eben kein ­historisches Dorf. Das gibt es sowieso nirgendwo. Es war von Beginn an mein Anspruch, etwas Einzigartiges zu schaffen in der Tradition eines historischen ­Gutes, das die Natur mit noblen Blick­achsen einbezieht, ein Erleben, das sich früher nur ein Fürst leisten konnte.

Zukunftspläne?
Wir sind jetzt, nach 14 Jahren, endlich fertig. Das bedeutet, dass jeder Gast nun alles bekommt, was wir anbieten wollen. Wir werden aber noch ein paar ­zusätzliche Zimmer schaffen. Und ich werde zehn exklusive Residences mit 80 bis 140 Quadratmetern errichten, die die Möglichkeit bieten, hier ein Eigentum zu haben und Teil der ganzen Geschichte zu sein.

Sie haben um die 100 Millionen Euro in das Projekt gesteckt. Haben Sie sich ein Ziel gesetzt, bis wann es sich amortisiert haben soll?
Ich hatte mir vor 15 Jahren nicht vorgenommen, hier 100 Millionen zu investieren. Dann hätte ich es gelassen. Aber nun sind wir an dem Punkt: 60 Prozent Eigenkapital, 40 Prozent Fremdkapital. Wirtschaftlich tue ich so, als hätte ich das Gelände geerbt. Das heißt, ich will weder mein Geld zurückgezahlt noch verzinst haben. So steht das in meiner Excel-Tabelle. Aber die 40 Millionen Fremdkapital müssen verdient werden. Der Kapitaldienst dafür wird aus dem Hotel erwirtschaftet. Und diese Schwel- le haben wir jetzt geschafft.

Was würden Sie heute machen, wenn Ihnen das Gericht in Kalifornien ­damals die Abfindung verweigert hätte?
Wenn ich den Prozess verloren hätte, wäre ich wahrscheinlich im Eimer. Ich hätte ja die Anwaltsgebühren der Gegenseite - in achtstelliger Höhe - tragen müssen. So richtig überlegt hatte ich mir das gar nicht. Ein Scheitern war sozusagen "no option". Aber auch in dieser Situation wäre mir bestimmt etwas eingefallen.

Ganz schön selbstbewusst.
Ich bin ein Hamburger Jung, Mittelstandsfamilie, mein Vater war Redakteur. Ich habe von meinen Eltern nichts bekommen außer einem Surfbrett zum Abi­tur. Als Twen habe ich noch Ravioli aus der Dose gegessen, einen Käfer für 800 Mark gefahren. Aber wenn man das Urvertrauen von seinen Eltern hat, kann einem eigentlich nichts passieren.

Aber ohne das Millionenpolster hätten Sie Weissenhaus nicht gewagt?
Natürlich nicht. Die Banken hätten mir das Geld bestimmt nicht gegeben. Und ich hätte diesen Gedanken gar nicht gehabt ohne diese Unabhängigkeit. Deshalb nenne ich Geld ja auch eher "eingefrorenes Zukunftspotenzial".

Ab 2000 haben Sie vier Jahre lang um Ihren Gewinn­anteil aus dem Verkauf von AOL Europe gestritten, das Sie gegründet hatten und dessen Geschäftsführer Sie drei Jahre gewesen waren. Was haben Sie in dieser Zeit gearbeitet?
Dasselbe wie zuvor: Venture-Capital-­Investments. So ein Prozess beschäftigt einen 24/7 ja nur in den zwei, drei Monaten, in denen der "jury trial" stattfindet. Aber natürlich hat er dazu beigetragen, dass ich mich noch mehr fokussieren musste, wirklich gute Investments zu machen.

Haben Sie das nicht schon vorher?
Klar, ich hatte davor bereits den AOL-Deal geschlossen und den Online­service aufgebaut. Für solche Sachen bin ich ja Anfang der 90er nach neuneinhalb Jahren vom Springer Verlag weg. Ich war Assistent von Peter Tamm, habe den Bereich Interaktive Medien, der heute drei Viertel des Konzerns ausmacht, mit drei Leuten von null aufgebaut und Friede Springer das Internet erklärt. Ich war ja schon stellvertretender Direktor, hätte wohl auch Vorstand werden können.

Was sprach denn dagegen?
Dass ich mein eigenes Ding machen wollte. Mein Motto war immer: lieber kleiner Herr als großer Knecht. Also habe ich in Kalifornien meinen Venture-­Capital-Fonds gegründet. Davon hat Othmar Müller von Blumencron, Middelhoffs damaliger Assistent, seinem Chef erzählt: "Da müssen wir mitmachen." Bertelsmann wollte mir sofort 100 Millionen geben - unter der Voraussetzung einer Corporate-Struktur. Das wollte ich nicht. 16 Monate haben wir verhandelt, bis ich - unabhängig - endlich einen 25-Millionen-Dollar- Fonds bekam. In dieser Zeit haben wir alles Mögliche verpasst. Wir hatten die Google-Gründer im Büro, die hätten uns zehn Prozent gegeben. Aber wir waren noch ein Eunuchen-Venture-­Capital, wir hatten noch kein Geld. Trotzdem sind uns noch viele fette Investments gelungen.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel Rocket eBook, das später über zwei Stufen an Amazon verkauft wurde, das war die Basis von Kindle. Der Gründer war übrigens Martin Eberhard, der später Tesla mitgegründet hat.

Das haben Sie mit BV Capital gemacht?
Ja, das stand für Bertelsmann Ven­tures, später für Buettner Ventures. Daraus ist e.ventures entstanden. Wir haben statt Bertelsmann die Otto-Gruppe als Investor genommen, über Rainer Hillebrand und Alexander Birken, mit dem ich schon die Wirtschaftsakademie absolviert hatte. Und in einem Jahr mehr Profit gemacht als der gesamte ­Otto-Konzern.

Sind Sie noch an e.ventures beteiligt?
Nur indirekt. Ich habe einstellige Anteile, bekomme aber keine Management Fees mehr, allerdings noch Proceeds Profits, wenn die etwas verkaufen.

Wie kam es überhaupt zum Prozess gegen Bertelsmann?
Middelhoff selbst hat mir, damals schon Vorstandsvorsitzender, dazu geraten. Als AOL Europe verkauft wurde, waren ja auf einmal Milliarden-Profits da. Und er sagt mir allen Ernstes: Wenn ich dir jetzt einen Anteil geben würde, sähe das ja aus wie ein Freundschaftsdienst. Aber wenn du meinst, dass du einen Case hast, musst du vor Gericht gehen. Also habe ich mich an den Anwalt gewandt, der damals unsere Venture-­Capital-Deals in Kalifornien betreut hat. Dass das mal ein "jury trial" werden würde, war da noch nicht abzusehen. Ich hatte ja auch erwartet, dass Middelhoff, bevor der Fall überhaupt vor Gericht käme, die Angelegenheit setteln wollen würde. Stattdessen ist der Fall drei Jahre später vor einer Jury gelandet. Das erste Angebot hat Bertelsmann überhaupt erst einen Tag vor dem Juryurteil gemacht. Und jetzt raten Sie mal, in welcher Höhe? Eine Million. Das war deren Vorstellung. Die haben wirklich im Raumschiff gelebt.

Haben Sie Middelhoff wiedergesehen?
Ja, neulich hier bei uns im Bootshaus. Dabei hat er mir noch mal bestätigt, dass er mir geraten hat, den Prozess zu führen. Was er nur nicht gedacht hat, war, dass ich ihn persönlich verklagen würde. Also habe ich ihm noch mal erklärt, dass ich, wenn ich so was mache, "all in" gehen muss. Wenn ich einen Dinosaurier mit einem Baseballschläger angreife, muss ich ihn an der richtigen Stelle treffen. Ich kann ja nicht nur mal "pieks" machen und dann weglaufen.

Zehn Prozent des Finanzierungs­volumens für Weissenhaus haben Sie über Crowdfunding bestritten. Weil Sie das Risiko teilen oder andere an ­Ihrem Erfolg beteiligen wollen?
Weil ich gerne einen Finanzierungsmix habe. Fremdkapital von Banken als Basis, dazu eine Mezzanine-Finanzierung und der Rest mit Eigenkapital oder Investoren, die langfristig engagiert sind.

Und als sogenannte Mezzanine-Dar­lehen haben Sie die über Crowdfunding eingesammelten Gelder eingesetzt?
Richtig. Der Zeitrahmen ist dabei in der Regel drei bis fünf Jahre. Der Vorteil einer Mezzanine-Finanzierung ist, dass sie ohne Tilgungsanteil auskommt. Ich muss also nur die Zinsen bezahlen, im Gegensatz zu den Banken, bei denen ich ja immer auch tilgen muss und der Kapitaldienst deshalb höher ist, weil wieder Liquidität abfließt.

Wie ist es Ihnen gelungen, mit 7,5 Millionen Euro das größte Crowdinvesting in Deutschland zu erreichen?
Dank meiner vielleicht wichtigsten Eigenschaften: Integrität und Authentizität. Ich habe jedem Investor, auch dem, der sich nur mit fünf Euro beteiligen wollte, seine Fragen persönlich beantwortet. Dann ist Weissenhaus natürlich ein Hard Asset, das man, anders als diese ganzen Softwaregeschichten, anschauen und anfassen kann. Wenn ich mit jungen Leuten spreche, wissen die nicht mehr, was AOL überhaupt ist. Das ist so, wie wenn Sie in 20 Jahren nach Facebook oder Instragram fragen und die Leute sagen: Hab ich noch nie gehört. Das Tolle an Weissenhaus dagegen ist, dass es immer noch stehen wird, wenn es mich längst nicht mehr gibt. Und daran teilzuhaben macht eben viele Leute auch ein bisschen stolz.

Worauf möchten Sie noch stolz sein?
Ich habe für meine nächste Lebensphase das Thema Musik für mich entdeckt. Natürlich sollte die Profitabilität wieder irgendwo gegeben sein, aber es soll vor allem Spaß machen. Ich habe in meinem Leben genug Nullen gezählt, sowohl bei Menschen als auch bei Ziffern. Ich bin ja nicht aus dem Venture-Capital-Geschäft ausgestiegen, weil ich womöglich keinen Erfolg mehr hätte, sondern weil ich mir gesagt habe: Es reicht jetzt auch. Drei Prozent des Vermögens von irgendwelchen Milliardären zu verdreifachen bringt mich nicht mehr weiter.

Und deshalb wollen Sie jetzt Musiker werden?
Nein, das will ich niemandem zumuten. Ich werde hier in den Dachgeschossen Tonstudios einrichten, ein bisschen wie das Ridge Farm Studio in West Sussex, in dem unter anderen Queen oder Roxy Music ihre Platten aufgenommen haben. Wir haben auch Performancemöglichkeiten - James Blunt hat hier neulich ein Privatkonzert gegeben. Also ganz konkret: Wir machen jetzt hier Weissenhaus Records. Zum einen weil mein Sohn in der Branche ist, zum andern weil ich eine besondere Affinität habe. Mein Vater hat Musik gemacht, ich selbst hatte früher eine kleine Band und Freddy Mercury nachgeahmt. Aber ich brauche jetzt nicht mehr Bass zu lernen, das bringt niemanden weiter.

Ich habe gelesen, dass Sie in PropTech1 Ventures investiert sind, ein Fonds, der sich auf Start-ups auf dem Gebiet der Digitalisierung der Immobilienwirtschaft konzentriert. Wollen Sie ­dadurch ­Unternehmen kennenlernen, die Ihnen vielleicht bei der Weiterentwicklung von Weissenhaus von Nutzen sind?
Nein, Weissenhaus ist gar nicht dafür aufgestellt, die neuesten Technologien zu nutzen. Wir wollen ja hier eher retro. PropTech1 macht ein guter Freund, Nikolas Samios, mit dem ich unser Crowd- investing zusammen gemacht habe, der auch mein Family Office ist für meine eigenen Beteiligungen und den ich gern bei seinem ersten Fonds unterstütze, in einem Segment, das er sich ausgesucht hat. Weil die Immobilienwirtschaft sehr groß, aber eben auch sehr veraltet ist. Da gibt es noch viel Raum für Neues.

"Ich war Manager, ich war Gründer, ich war Investor", haben Sie in Ihrem ersten Crowdfunding-Pitch 2014 gesagt. Was davon sind Sie heute nicht mehr?
Investor bin ich noch, auf jeden Fall. Gründer auch - verrückte Ideen habe ich ja immer. Aber Manager bin ich nicht mehr. Auch nicht hier in Weissenhaus. Dafür habe ich meinen Geschäftsführer. Das habe ich bei Venture Capital gelernt: Da ist der Job "to hire and fire a CEO" und nicht "to do his job".

Rückblickend: Was war, abgesehen von Weissenhaus, Ihr lukrativstes ­Geschäft?
Natürlich das AOL-Ding: für die 50-­ prozentige Beteiligung bei der Gründung 75 Millionen bezahlt und für zehn Milliarden verkauft. Das ist kaum zu toppen.

Kurzvita

Der Midas aus Hamburg
Jan Henric Buettner (56) wurde in Hamburg dual zum ­Betriebswirt und Verlagskaufmann ausgebildet. Er baute AOL Europe für Bertelsmann auf und erstritt nach dessen Verkauf an Time Warner vor ­einem kalifornischen Gericht 80 Millionen Dollar. 2005 kaufte er für sieben Millionen Euro das Schloss Weissenhaus, das er mithilfe eines Crowdfunding-­Europa-Rekords zu einem Luxushotel umbaute. Buettner ist geschieden und hat zwei Kinder. Er lebt in Hamburg.

Weissenhaus

White House an der Ostsee
Als weißes Haus 1607 durch die ­Familie Pogwisch ­errichtet, wurde das schlossartige An­wesen 1735 samt dem zugehörigen Gut an Graf Georg Ludwig von Platen-­Hallermund ver­äußert. 1895 zerstörte ein Brand das Herrenhaus; der Neubau wurde zu DDR-Zeiten als Schule genutzt und 1993 in eine Partylocation umgewandelt. 2005 verkaufte die Familie von ­Platen die im Denkmalbuch Schleswig-­Holsteins eingetragene Gesamtanlage an Jan Henric Buettner, der sie 2014 als Weissenhaus Grand Village Resort & Spa ­wiedereröffnete.