Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi steht abermals vor dem Bundesverfassungsgericht: Am Dienstag und Mittwoch ist wieder eine mündliche Verhandlung über die umstrittenen Anleihekäufe.

Verhandlungen zu den Anleihekäufen gab es in Karlsruhe bereits im Juni 2013 und im Februar 2016. Auch ein Urteil hat das Gericht verkündet, im Juni 2016, zwei Mal hat es in dieser Angelegenheit beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) nachgefragt: Es geht darum, ob der EuGH nicht auch die EZB Begrenzungen bei der monetären Flutung Europas auferlegen mag. Der EuGH hat seinerseits zwei Mal verhandelt und zwei Urteile gesprochen, die allesamt der EZB freie Hand lassen und sie jenseits der richterlichen Kontrolle setzen.

Jetzt also eine Neuauflage. Nicht nur aus Sicht der Kläger geht es um viel Geld:

So hat die EZB für über 2 Billionen, also für über 2.000 Milliarden Euro, Staatsanleihen der Eurostaaten gekauft. Das dafür benötigte Geld wurde von den Zentralbanken aus dem Nichts geschaffen, bildlich gesprochen: neu gedruckt. Die gesamte Zentralbankgeldmenge des Eurosystems wurde zu diesem Zweck weit mehr als verdoppelt. Finanzierung der Eurostaaten mit Zentralbankgeld - das nennt man "monetäre Staatsfinanzierung": Staaten wie Italien, Frankreich und Griechenland legen Staatsanleihen, also Schuldscheine auf, die landen bei der EZB die dafür Geld druckt und die Staatsverschuldung ausweitet. Nach den Verträgen von Maastricht ist das verboten.

Die EZB sagt, sie darf das, denn es geht darum, die Wirtschaft in Europa ingesamt zu retten. Auch in Japan oder in den USA hätten die dortigen Notenbanken Geld gedruckt und ihre Länder aus der Druckerpresse finanziert.

Allerdings gibt es in Europa eine Besonderheit. Nach wie vor besteht Europa aus Einzelstaaten, mit jeweils eigener Wirtschafts- Finanz- und Sozialpolitik. Wenn sich nun einzige verschulden, aber alle Länder dafür geradestehen müssen dann ist das ein einzigartiger Vorgang: Konkret müssen die sparsameren Staaten wie Deutschland die Haftung für die mit lockerer Ausgabenpolitik übernehmen. Wenn beispielsweise in Japan oder den USA Parlament und Regierung der Auffassung sind, dass sie den Haushalt über die Zentralbank finanzieren wollen, dann ist dies in einem Staat mit eigener Währung kein Problem für die demokratische Legitimation.

In einer Währungsunion aus verschiedenen Staaten mit je eigenständiger Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik ist die Lage anders: Wenn einzelne Staaten ihre Defizite mit Hilfe ihrer nationalen Zentralbank oder mit Hilfe der EZB finanzieren dürften, würden damit die entsprechenden Haushaltsrisiken letztlich auf die anderen Eurostaaten umverteilt, ohne dass die Parlamente der damit belasteten Staaten dies genehmigt hätten oder verhindern könnten.

Vor dem Bundesverfassungsgericht geht es jetzt darum, genau diesen Sachverhalt zu klären: Darf die EZB mit diesem Programm beispielsweise die Schulden Frankreichs und Griechenlands finanzieren und die Deutschen in Haft nehmen, ohne Parlaments- und Regierungsbeschluß?

Es sind komplizierte Rechtsfragen. Sie laufen auch auf einen elementaren Konflikt hinaus. Denn die Kläger, darunter der langjährige Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler sind der Ansicht: Die EZB hebelt die nationale Souveränität Deutschlands aus.

Zwar hat der EuGH bislang immer der EZB Recht gegeben. Nun erklärt Dietrich Murswiek, Prozessvertreter von Peter Gauweiler, dass der EuGH sich längst nicht mehr an Verträge hält, sondern einseitig die Vertiefung der Union fördert. Immer mehr nationales Recht werde auf dem Umweg über den EuGH nach Brüssel und an europäische Insituttionen die die EZB verlagert, das Demokratieprinzip ausgehöhlt. Murswiek dazu:

"Der EuGH hat in allen Kompetenzkonflikten zwischen EU und Mitgliedstaaten zugunsten der EU entschieden. Es gibt keinen einzigen Fall, in dem der EuGH festgestellt hätte, dass ein EU-Organ seine Kompetenzen zulasten der Mitgliedstaaten ausgedehnt hätte. Alle Kompetenzausdehnungen, und das sind nicht wenige, wurden vom EuGH gebilligt. Wer diesen Gerichtshof als Hüter der Kompetenzordnung eingesetzt hat, hat den Bock zum Gärtner gemacht. Denn immer noch verfolgt der EuGH eine aktivistische Kompetenzausdehnungsagenda." Solche Kompetenzen dürfen aber nur durch Parlamentsbeschluss, wenn überhaupt, abgegeben werden, nicht still und heimlich durch die Führungsriege der EZB erfolgen.

Spätestens jetzt müsse das Bundesverfassungsgericht dieser heimlichen Übertragung von Kompetenzen einen Riegel vorschieben.

Es ist ein spannendes Verfahren. Für TE befragt Oswald Metzger den Anwalt der Kläger, den bekannten Verfassungsjuristen Dietrich Murswiek nach den rechtlichen Grundlagen für die Gelddruckerei der EZB.

Insgesamt läuft das Verfahren seit 2016. Die Kläger ziehen jetzt ihre letzte Trumpfkarte, von der sie hoffen, dass sie sticht: Juristisch nennt man das die "Ultra-Vires-Karte". Das ist eine Rechtsfigur, die das Gericht bereits 1993 im Maastrichturteil ersonnen hatte. Damit behält es sich auch in Europafragen das Recht zum allerletzten Wort vor - und zwar dann, wenn EU-Organe sich zu weit außerhalb ihrer Zuständigkeiten bewegen, die ihnen die EU-Staaten mit "begrenzten Einzelermächtigungen" zugestanden haben. "Ultra Vires", das ist eine demokratische Notbremse. Mit der einseitigen Rechtssprechung durch den EuGH zu Gunsten immer weiterer Kpompetenzverlagerungen fühlen sich die Kläger jetzt befugt, diese letzte Karte zu spielen.