Beim Blick auf die Märkte fühlt sich Klaus Kaldemorgen an das seltsame Treiben in deutschen Supermärkten erinnert. Beim Blick auf seinen eigenen Fonds, den DWS Concept Kaldemorgen, schüttelt er nur noch den Kopf. "Ich hätte mir ehrlich gesagt nicht vorstellen können, dass man mit einem so risiko­armen Portfolio so viel Geld verlieren kann." Dennoch ist der Anlageprofi überzeugt: Gerade jetzt schlägt die Stunde der Fondsmanager.

€uro am Sonntag: Herr Kaldemorgen, wie geht es Ihnen? Sind Sie im Büro oder im Home Office?
Klaus Kaldemorgen: Ich bin tatsächlich noch im Büro, aber die meisten meiner Kollegen arbeiten bereits im Home Office. Ich neige ja beruflich nicht zu emotionalen Reaktionen, aber ich müsste lügen, wenn ich sage, dass mich das alles kalt lässt.

Wo würden Sie diese Krise mit Ihrer langjährigen Erfahrung einordnen?
Ich glaube, gerade die Entwicklung der vergangenen Tage hat alle Marktteilnehmer überrascht: Dass die Wirtschaft praktisch zum Stillstand gekommen ist, dass sich das jetzt auch auf die USA erstreckt, das ist eine bislang einmalige Situation, die wir so noch nicht erlebt haben. Ein externer Schock, der zeitlich begrenzt sein wird, da bin ich mir sicher, der aber ernste wirtschaftliche Folgen haben wird. Zum Beispiel Unternehmen, die staatliche Hilfen brauchen werden.

Inwiefern hat sich das Geschehen an den Märkten in den vergangenen Tagen weiter zugespitzt?
Wir beobachten im Augenblick sehr starke Verwerfungen bei den Zins­papieren. Auch Staatsanleihen mit langer Laufzeit kommen massiv unter Druck, zum Beispiel war heute eine 100-jährige österreichische Staatsanleihe mit 15 Prozent im Minus. Auch der norwegische Anleihemarkt kam zum Erliegen.

Was bedeutet das für den Markt?
Bisher war der Rückgang der Aktienkurse vor allem von quantitativ gesteuerten Modellen getrieben, die preisinsensitiv sind. Zurzeit beobachtet man einen Rückgang der Aktienkurse, der panikartig ist und stark liquiditätsgetrieben. Jeder versucht, möglichst viel an liquiden Mitteln zu halten. Das ist jetzt etwa so wie bei den Hamsterkäufen von Toilettenpapier. Das Sicherheits­bedürfnis treibt Anleger in die Liquidität.

Hätten die Börsen den Handel aussetzen oder zumindest Leer­verkäufe verbieten sollen, wie das teilweise schon geschehen ist?
Leerverkäufe zu verbieten ist eine durchaus angemessene Antwort, um Einzeltitel zu schützen. Den Handel an der Börse auszusetzen ist aber genau das Verkehrte, weil es Panik schürt. Das wäre etwa so, wie wenn man in der aktuellen Lage die Supermärkte zusperren würde.

Die US-Börsen haben den Handel aber schon teilweise beschränkt.
Ja, und das kritisiere ich auch. Wir konnten jetzt zum vierten Mal innerhalb der vergangenen Tage zu Beginn der europäischen Börsen­zeiten keine US-Aktienterminkontrakte handeln. Portfoliomanager haben also keine Möglichkeit mehr, sich am Morgen über US-Aktien abzusichern. Das ist dann nur über europäische Börsen möglich. In Krisenzeiten ist es enorm wichtig, dass alle Börsen ihren Handel zeitgleich durchführen, damit alle Märkte Liquidität bereitstellen können.

Wie gefährlich ist die Corona-Krise insgesamt für die Wirtschaft?
Die Staaten versuchen alles, die gesundheitlichen Risiken durch das Herunterfahren der wirtschaft­lichen Aktivitäten und der Sozialkontakte einzudämmen. Ich glaube auch, dass das zu einem Erfolg führen wird. Aber die Kernfrage ist, wie lange ein Wirtschaftssystem diesen Stillstand aushält. Eine solche Situation hatten wir noch nicht.

Wie lange hält die Wirtschaft durch?
Die Folgen sind schon jetzt dramatisch. Airlines haben ihren Betrieb eingestellt, die Produktion der großen Autohersteller ist zum Erliegen gekommen. Die Wirtschaft wird praktisch auf null runtergefahren. Diese Zeit muss nun überbrückt werden. Wenn man wüsste, wie lange das geht, könnte man sich damit arrangieren. Derzeit herrscht aber Unsicherheit, und ich habe noch keine volkswirtschaftlichen Modelle gesehen, die mit solchen Szenarien je gearbeitet hätten. Meine persönliche Meinung ist, dass ein solcher Zustand nach zwei oder drei Monaten kritisch wird, dass man aber einen Monat schon überbrücken kann.

Banken gelten heute als deutlich besser kapitalisiert als in der Finanzkrise. Sind sie wirklich stabil?
Die Notenbanken tun derzeit wirklich alles, um die Banken liquide zu halten, damit sie die Geldversorgung der Wirtschaft gewährleisten können. Um die Banken mache ich mir ehrlich gesagt keine allzu großen Sorgen, denn sie haben die Zentralbanken an ihrer Seite.

Die Notenbanken stemmen sich mit drastischen Schritten gegen die Krise - die Fed senkt Zinsen, die EZB kauft Anleihen. Hilft das noch?
Ja, sie tun alles in ihrer Macht Stehende. Die Fed hatte im Gegensatz zur EZB noch Pulver trocken, das hat sie mit den Zinssenkungen inzwischen aber auch verschossen.

Besteht die Gefahr, dass die Bundesregierung mit ihren derzeitigen massiven Einschränkungen die Wirtschaft komplett abwürgt?
Die Regierung handelt absolut richtig, weil wir ein ernstes gesundheitliches Problem haben, das drastische Maßnahmen erfordert. Es ist aber auch wichtig, dass die Regierung mit flankierenden Maßnahmen die Unternehmen unterstützt. Am wichtigsten ist es, Unternehmen liquide zu halten. Sie müssen weiter ihre Fixkosten bezahlen, während die Einnahmen wegbrechen. Diese Zeit muss überbrückt werden, und da sind Staat und Notenbanken gleichermaßen gefordert.

Zu Ihrem eigenen Fonds, dem DWS Concept Kaldemorgen. Wie hat er sich in diesem Umfeld geschlagen?
DWS Concept Kaldemorgen ist von Jahresanfang bis 18. März um 11,9 Prozent gefallen. Ich hätte mir ehrlich gesagt nicht vorstellen können, dass man mit einem so risikoarmen Portfolio so viel Geld verlieren kann.

Wie haben Sie gegengesteuert?
Der Aktienanteil in diesem Fonds liegt zwischen 30 und 40 Prozent. Wir haben in den vergangenen Tagen beispielsweise sehr viele lang laufende Staatsanleihen aus den USA verkauft und sehr viel Kasse geschaffen, einfach um liquide zu sein. Im Augenblick befinde ich mich also zumindest nicht in einer unkomfortablen Lage.

Fassen Sie schon Einzelwerte ins Auge, um zu investieren?
Ich könnte Ihnen eine Handvoll Titel sagen, die absurd niedrig sind, weil sie blind verkauft werden, da die Verkäufer unabhängig vom Preis agieren müssen. Ich nenne aber keine Einzelwerte, auch weil ich glaube, dass es noch nicht die Zeit ist, sich mit Einzelwerten herumzuschlagen. Das könnte sich aber in den nächsten 14 Tagen ändern. Dann könnten wieder stärker fundamentale Kriterien in den Blickpunkt rücken.

In Corona-Zeiten schlägt also die Stunde der aktiven Fondsmanager?
Das ist in der Tat die gute Botschaft: Wir haben viel über das Phänomen der passiven Fonds gesprochen, deren Schwäche im Abschwung deutlich wird. In der Krise zeigt sich: Wenn die Anleger diese passiven Fonds verkaufen, dann müssen diese Fonds die entsprechenden Aktien verkaufen. Als aktiver Fondsmanager sind Sie bei entsprechender Kassehaltung nicht gezwungen, zu jedem Preis zu verkaufen.

Wo gibt es jetzt noch sichere Häfen?
Sichere Häfen? Derzeit nur Cash und kurz laufende Staatsanleihen bester Qualität. Mit lang laufenden Staatsanleihen wird kein Geld mehr zu verdienen sein. Viele Fondsmanager werden da rausgehen. Denn die Notenbanken werden viel Geld drucken, der Staat Defizite aufbauen. Das wird das lange Ende der Zinskurve deutlich nach oben ziehen.

Ist Gold kein sicherer Hafen mehr?
Derzeit nicht. Aber es wird längerfristig wieder einer sein. Diejenigen, die Liquidität brauchen, verkaufen im Augenblick Gold. Das drückt derzeit noch den Preis.

Sie müssen Gold nicht verkaufen?
Ich habe neun Prozent Gold im Portfolio und ich werde es nicht verkaufen. Denn der Goldpreisrückgang ist ein vorübergehendes Phänomen. Wenn diese Krise vorbei ist, wird Gold eine gute Alternative sein zu vielen anderen Vermögenswerten. Deshalb rate ich, jetzt keinesfalls ohne Not Gold zu liquidieren.

Der Ausgang der Corona-Krise ist offen. Was raten Sie Anlegern?
Anleger sollten Ruhe bewahren, sich um ihre Gesundheit kümmern und die staatlich verordneten Sicherheitsregeln befolgen. Wer nicht in finanziellen Engpässen ist und verkaufen muss, sollte auch nichts verkaufen - das wäre derzeit wirklich kontraproduktiv. Auch diese Krise wird - wie alle anderen zuvor - ein Ende haben, und es wird auch kein Jahr dauern, bis es vorbei ist, sondern ein paar Monate. Danach wird es wieder aufwärts gehen.

Wo wird der DAX zum Jahresende stehen?
Ich rechne damit, dass wir höher stehen als heute.

Kurzvita

Fonds mit Leidenschaft
Klaus Kaldemorgen wurde am 14. September 1953 in Essen geboren. Diplom-Volkswirt an der Uni Mainz, ab 1982 Fondsmanager bei der DWS für globale Aktien und Renten. Dann Leiter des Fondsmanagements für globale Aktien, schließlich ab 2006 Sprecher der Geschäftsführung der DWS. 2011 gab er diese Verantwortung auf eigenen Wunsch auf, um sich voll seiner Leidenschaft, dem Fondsmanagement, zu widmen. Seit Mai 2011 verantwortet er den Multi Asset Fonds DWS Concept Kaldemorgen (ISIN: LU0599946893).