Auf der Hauptversammlung bei Freenet vor gut vier Wochen war die Stimmung bei den Anlegern wie immer gut. Kein Wunder, schließlich zählt die Aktie des Mobilfunkanbieters mit einer Verzinsung von knapp sechs Prozent zu den Dividendenkrachern. Gerade vor dem Hintergrund der extrem niedrigen Zinsen bei den Bonds gelten die Papiere bei einigen Anlegern fast schon als eine Art "Anleihe-Ersatz". Wenig überraschend kam es in den vergangenen Jahren vor dem Aktionärstreffen im Mai meist zu steigenden Kursen. In den Wochen danach ließ das Interesse für den Wert hingegen regelmäßig deutlich nach, Kursverluste waren die Folge. Der um die Ausschüttung adjustierte Chart zeigt dies besonders deutlich: Die "Kursrücksetzer" am Tag nach der Hauptversammlung (rote senkrechte Linien) sind herausgerechnet.



Auch 2016 war dieser Effekt zu beobachten, die Aktie büßte gut acht Prozent ein. Sollten nach dem Brexit weitere überraschende Belastungsfaktoren am Gesamtmarkt ausbleiben, könnte nun der Boden erreicht sein. Die Entwicklung in 2012 und 2013, als der TecDAX-Wert im Juni einen Boden ausbildete, würde sich dann als Blaupause erweisen.

Doch nicht nur Trader sollten Freenet nun ganz genau verfolgen. Dank des soliden und stabilen Kerngeschäfts im Mobilfunkbereich erwirtschaftet Freenet bereits seit Jahren gesunde Renditen und hohe Cash-Flows. Derzeit betreibt die Gruppe 560 eigene Shops mit der Kernmarke mobilcom-debitel und 43 Stores der Marke Gravis, die sich auf Apple-Produkte spezialisiert hat. Zudem ist Freenet exklusiver Vertriebspartner der 400 Media Markt und Saturn Elektrofachgeschäfte für Vodafone und T-Mobile.

Ebenfalls wichtig zu wissen: Für die Netzbetreiber ist das Unternehmen aus Büdelsdorf in Schleswig-Holstein ein professioneller Verkaufsagent. Sollten Verträge gekündigt werden, müssten die Netzbetreiber im Gegenzug Entschädigungen für alle Kunden zahlen, die Freenet seit Vertragsbeginn gewonnen hat. Mehrere hundert Millionen Euro wären dann nach Meinung von Warburg-Analyst Jochen Reichert fällig, was die Wahrscheinlichkeit einer Vertragskündigung sehr gering erscheinen lässt. In den vergangenen Jahren hat das TecDAX-Unternehmen zudem seine Wertschöpfungstiefe ausgeweitet und bietet weitere Dienstleistungen wie Cloud Storage und Antivirussoftware an. Der Anstieg der Kundenbasis von acht Millionen in 2011 auf 9,3 Millionen in 2015 zeigt, dass die Strategie erfolgreich war. Auch der Fokus auf das Abonnentenmodell zahlt sich aus, weil so ein hoher Grad an wiederkehrenden Umsatzerlösen erzielt wird.

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Neubewertung in Sicht



Ausgehend von dieser starken Ausgangsbasis weiten die Norddeutschen ihr Angebot nun strategisch clever aus. Mit den jüngsten Übernahmen von Media Broadcast und Exaring hat Freenet sein Geschäftsmodell in Richtung Fernsehen, Videostreaming und Online-Spiele erweitert. Für die Fernsehprodukte stellen die bestehenden gut 9,2 Millionen Mobilfunkabonnenten eine perfekte Kundenbasis dar. Die neuen Fernseh- und Streamingdienste können zudem ideal über das große Verkaufsstellennetzwerk für Mobilfunkprodukte vermarktet und verkauft werden.

Die neue Wachstumsstrategie stellt für Warburg Research sogar einen Paradigmenwechsel bei Freenet dar. Im März kaufte Freenet für knapp 300 Mio. Euro den Kölner Rundfunkbetreiber Media Broadcast. Fantasie entfacht die grundlegende Veränderung im deutschen DVB-T-Markt. Im Frühjahr 2017 wird der bisherige DVB-T-Standard eingestellt und durch den neuen DVB-T2 HD-Standard ersetzt. Verbraucher können dann kostenlos nur noch die öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme in HD sehen. Für die privaten Programme ist ein Abonnement notwendig. Für Freenet ein gutes Geschäft, denn der Konzern erwarb auch die Übertragungsplattform, die das Monopol auf DVB-T und DVB-T2 HD besitzt. Die Ebitda-Marge dürften den Warburg-Schätzungen zufolge mit gut 50 Prozent relativ hoch ausfallen, da die Plattform- und Netzwerkkosten mit neuen Abonnements nicht steigen. Detaillierte Planungen, wann Freenet mit dem DVB-T2 HD-Angebot starten wird und Prognosen hinsichtlich der erwarteten Abonnentenzahl liegen bisher noch nicht vor. Im laufenden Jahr dürfte aber die Vermarktung starten, erste Beiträge sind ab 2017 zu erwarten.

Auch der Einstieg für 25 Mio. Euro bei Exaring sollte sich auszahlen. Freenet hält 25 Prozent am Start-up-Unternehmen aus München mit der Option, auf 50 Prozent aufzustocken. Exaring besitzt und betreibt eine eigene Glasfaserinfrastruktur mit mehr als 11.000 km Kabel in Deutschland und erreicht rund 23 Mio. Haushalte. Zusammengefasst lässt sich der Service als cloudbasierte Entertainment-Lösung beschreiben. Der Vorteil: Durch die Verbindung des cloudbasierten Ansatzes mit dem Abonnentengeschäftsmodell kennt Exaring seine Kunden und könnte sogar Fernsehstationen personalisierte Fernsehwerbefläche anbieten. Freenet-Chef Christoph Vilanek bezeichnet den Einstieg als "Quantensprung auf dem Weg zum führenden Digital-Lifestyle-Provider in Deutschland".

Freenet baut damit seinen bereits seit Jahren erfolgreichen Digital-Lifestyle-Ansatz konsequent aus. Die Zeit von Set-top-Boxen, Festplatten, Videorekordern und Fernbedienungen gehört der Vergangenheit an, ebenso die meist komplizierte Verkabelung. Alles wird cloudbasiert, die Bedienung erfolgt unkompliziert per App auf dem Smartphone oder Tablet-PC.

Rekordmarke dürfte fallen



Nach eigenen Aussagen werden die Norddeutschen ab dem dritten Quartal 2016 als einziger Anbieter überhaupt Full-HD und 4K sowohl stationär als auch mobil anbieten. Freenet kann wie beim Media Broadcast-Deal auch hier wieder mit seiner breiten Vertriebsplattform glänzen. Exaring steuert das technologische Know-how bei. Der im März ebenfalls erfolgte Einstieg von knapp 24 Prozent beim zweitgrößten Schweizer Telekommunikationsbetreiber Sunrise wird bisher nur als Finanzinvestition gesehen. Aber auch hier wäre es nicht überraschend, wenn das Management bereits konkrete Pläne hat.

Für die drei Käufe hat Freenet rund 1,13 Mrd. Euro in die Hand genommen, entsprechend steigt auch die Verschuldung. Der Deal mit Media Broadcast dürfte sich dann richtig lohnen, wenn mehr als eine Millionen DVB-T2 HD Abonnenten gewonnen werden. Mit der Ausweitung der Wertschöpfungskette in den Bereich Fernsehen und den Cloud-basierten Lösungen sollte nach Einschätzung von Warburg die Abonnentenbasis von 9,3 auf 11,9 Millionen ab 2020 steigen und das Konzern-Ebitda von derzeit 370 auf knapp 500 Mio. Euro anziehen.

Die Freenet-Aktie glänzt daher nicht nur mit einer weit überdurchschnittlichen Dividendenrendite, sondern bietet mit den jüngsten Zukäufen auch reichlich Kursfantasie. Erst allmählich reagieren auch Analysten und nehmen ihre Prognosen nach oben. So passte kürzlich Warburg das Kursziel von 28 über die bisherige Rekordmarke bei 33,10 Euro auf 35 Euro an und stufte die Aktie von "Halten" auf "Kaufen". Börse Online ist bereits seit Monaten von der Aktie überzeugt und sieht sogar Potenzial bis 37,50 Euro. Abgesichert mit einem Stopp knapp unter der nächsten wichtigen Unterstützung bei rund 21,30 bis 21,70 Euro sollte der Wert nicht nur Dividendenjägern künftig viel Freude bereiten.

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast beim Deutschen Anlegerfernsehen (DAF), Gastautor bei n-tv und gern gesehener Vortragsredner. Er hält regelmäßig Webinare, referierte unter anderem beim Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD) und betreute mehrere Jahre für die Commerzbank den Zertifikate-Newsletter ideas daily. www.index-radar.de