"Die Tatsache, dass ein so großer und liquider Markt von Kleinanlegern aufs Korn genommen werden kann, sagt viel über die Verschiebungen aus, die wir beobachten", sagt Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. Ausgangspunkt der Silber-Rally ist Börsianern zufolge ähnlich wie bei den jüngsten Kurssprüngen beim US-Videospielehändler GameStop ein Anlegerforum der Internet-Plattform Reddit. Dort riefen Nutzer dazu auf, Aktien von Silberminen-Betreibern und börsennotierte Silber-Fonds (ETFs) zu kaufen.

Der weltgrößte Silber-ETF stieg daraufhin im vorbörslichen US-Geschäft am Montag um fast zwölf Prozent auf ein Acht-Jahres-Hoch von 27,71 Dollar und stand vor dem zweitgrößten Tagesgewinn seiner Geschichte. Bergbaubetreiber wie Fortuna Silver, Coeur oder Pan American Silver gewannen vorbörslich teilweise mehr als 20 Prozent. Ähnliche Kursgewinne verbuchte Fresnillo in London. Silber war mit 30,03 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) so teuer wie zuletzt vor acht Jahren.

Bereits am Freitag waren die Edelmetall-Bestände der Silber-ETFs weltweit um insgesamt vier Prozent auf ein Rekordhoch von 28.382 Tonnen gestiegen. Das war das größte Plus seit fast zehn Jahren.

UNTERSCHIEDLICHE GEGENSPIELER


Im Gegensatz zur GameStop-Rally hätten einige Groß-Investoren den Braten aber wohl gerochen und seien frühzeitig in den Markt eingestiegen, um den Höhenflug zu befeuern, sagt Markets.com-Experte Wilson weiter. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Wetten auf einen Verfall des Silberpreises meist nicht von Hedgefonds, sondern von "Commercial Traders" abgeschlossen werden. Darunter fallen vor allem Minen-Betreiber und Edelmetall-Verarbeiter. Fallen die Rohstoffpreise, gleichen diese Wetten ihre Mindereinnahmen idealerweise aus.

Diese "Commercial Traders" seien von der Silber-Rally auf falschem Fuß erwischt worden, sagt Carlo Alberto De Casa, Chef-Analyst des Brokerhauses ActivTrades. Sie müssten ihre Wetten nun überhastet auflösen, weil ihnen sonst massive Verluste drohten. Finanzanleger wie etwa Hedgefonds hätten dagegen bereits vor Beginn der aktuellen Rally unter dem Strich eher auf steigende Kurse gesetzt, gibt Commerzbank-Analyst Eugen Weinberg zu Bedenken.

UNERWÜNSCHTE NEBENWIRKUNGEN


Gemeinsam sind den GameStop- und den Silber-Kurskapriolen, dass sie einen weltweiten Börsen-Ausverkauf auslösen können. "Denn in Schieflage geratene Hedgefonds müssen auch andere Positionen verkaufen, um Liquidität zu beschaffen, und reihen sich damit zusätzlich in die Verkäufe ein", sagt Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank. Ein Teil der jüngsten Verluste bei Dax, Dow Jones & Co. gehe auf dieses Konto.

ActivTrades-Experte De Casa weist auf ein weiteres Risiko hin. "Ein erfolgreicher Angriff auf den Rohstoff-Sektor könnte eine Intervention der Notenbanken auslösen, um eine gefährliche Inflationsspirale zu verhindern. Silber hat sich binnen vier Tagen um etwa 20 Prozent verteuert. Das ist ein enormer Zuwachs in der Rohstoff-Welt."

Commerzbank-Experte Weinberg sieht aber auch einen Silberstreif am Horizont. Mittelfristig könne die aktuelle Rally Silber als Anlagemetall stärker ins Blickfeld der Investoren rücken.

rtr