Giovanni Ferrero
Er versorgt die Welt mit Nutella, Ü-Eiern und verteilt (Ferrero-)Küsschen. Doch wer ist der Italiener, der mit Süßigkeiten zum reichsten Mann seines Landes wurde?
Es ist 1946 — der Zweite Weltkrieg ist seit einem Jahr vorbei, und die Menschen versuchen, so gut es geht, ihr neues Leben in Friedenszeiten zu genießen. So auch in Italien. In einer Konditorei in Alba experimentiert Pietro Ferrero deshalb an einer kleinen Freude, um den Kunden ihr tägliches Brot zu versüßen. Kulinarisch ist seine Heimat eine Schatzkammer und neben der Arneis-Traube, die in den Weinbergen der Region wächst, vor allem für den weißen Alba-Trüffel bekannt. Doch über die hügelige piemontesische Landschaft erstrecken sich auch endlose Haselnussplantagen.
Deren Ernte wird für die traditionelle „Gianduia“ verwendet, eine Leckerei aus Haselnüssen, Zucker und Kakao. Pietro Ferrero formt diese zähe Paste zu einem Riegel, zerteilt ihn dann in Scheiben, sodass man sie einzeln aufs Brot legen kann. Der Erfolg ist riesig, und aus dem Einzelhandel wird ein rasant wachsendes Unternehmen. 1951 kommt mit der „Supercrema“ erstmals eine cremige Variante der Gianduia auf den Markt. Pietro erlebt das nicht mehr, denn er stirbt zwei Jahre zuvor an einem Herzinfarkt.
Geburtsstunde von Nutella
Mittlerweile ist Pietros Sohn Michele in das Geschäft mit eingestiegen, der nicht nur das Gianduia-Rezept noch einmal verfeinert, sondern 1961 mit Mon Chéri einen weiteren Ferrero-Klassiker erfindet. Weil in Italien 1962 ein Gesetz verabschiedet wird, das die Nutzung des Präfixes „Super“ für einen Markennamen verbietet, braucht die Crema künftig einen neuen Namen. Ab 1964 produziert Ferrero, das in den 60er-Jahren bereits eigene Produktionsstandorte in Italien und Deutschland sowie zahlreiche europäische Vertriebsniederlassungen betreibt, die nun noch streichfähigere Schoko-Nuss-Creme unter dem Namen „Nutella“. Es ist auch das Jahr, in dem Micheles zweiter Sohn Giovanni geboren wird.
Zu diesem Zeitpunkt ist allerdings weder abzusehen noch geplant, dass Giovanni einmal der alleinige Erbe des Familienunternehmens sein wird. Noch bevor er als junger Teenager 1975 — und in Begleitung seines ein Jahr älteren Bruders Pietro jr. — nach Brüssel auf die internationale Schule geschickt wird, lanciert Papa Michele ein Erfolgsprodukt nach dem
anderen: Ferrero Küsschen, Kinderschokolade, Yogurette, Duplo, Hanuta, Tic Tac und natürlich das Kinder-Überraschungsei. Nach seinem Schulabschluss an der European School of Business geht Giovanni für ein Auslandssemester in die USA. Die international ausgerichtete, mehrsprachige Ausbildung ist für den Italiener eine wichtige Voraussetzung, um innerhalb des Unternehmens verschiedene Führungsrollen zu übernehmen.
Während sich Michele zu Hause um die Geschäfte kümmert, schickt er seine Söhne in die Ferrero-Dependancen ins Ausland. Giovanni arbeitet zunächst in seiner alten Heimat Belgien, zieht dann nach Deutschland und weiter nach Südamerika. In der Zwischenzeit fügt der Patriarch dem Sortiment mit Ferrero Rocher und Raffaello zwei weitere beliebte Schoko-Keks-Nuss-Pralinen hinzu und übergibt 1997 die Geschäftsleitung an die beiden Brüder.
Mein Luxus besteht darin, mir die Zeit zum Schreiben und Lesen zu nehmen.“
Giovanni krempelt den Konzern um
Es ist die ideale Kombination: Pietro, der technisch interessiert und dem Handwerk verbunden ist, und Giovanni, der kreativ denkende, dem das Marketing und der Verkauf liegen. Für eineinhalb Jahrzehnte funktioniert das auch sehr gut. Doch 2011 erleidet Pietro jr., wie auch schon der Großvater und der Großonkel, einen Herzinfarkt. Giovanni muss das Tagesgeschäft mit einem Mal ohne den verlässlichen Bruder bewältigen. Vier Jahre später stirbt schließlich auch das Familienoberhaupt im Alter von 89 Jahren.
Michele, dem der Konzern allein gehörte, hinterlässt Giovanni die Mehrheit an Ferrero, da er der Überzeugung ist, konsolidierte Eigentümerschaft garantiere mehr Stabilität. Als Alleinerbe kümmert sich der inzwischen 51-Jährige zwei Jahre auch allein — und zwar um alles. Er ist zugleich Vorstand und CEO und muss sich mit jedem noch so kleinen Detail des Alltagsgeschäfts auseinandersetzen. Für Überlegungen zur Strategie und weiteren Ausrichtung, so sagt er später, sei keine Zeit gewesen.
Giovanni macht in der Folge vieles, was der Vater zeit seines Lebens vehement abgelehnt hat. Zuerst holt er 2017 mit Lapo Civiletti einen Geschäftsführer von außen ins Unternehmen. Außerdem erweitert er das Markenportfolio der Ferrero-Gruppe durch Übernahmen und Zukäufe, mit Tochtergesellschaften und Minderheitsbeteiligungen. Sei es die belgische Keksfabrik Delacre, der amerikanische Bonbonproduzent Jelly Belly oder der britische Pralinenhersteller Thorntons. Mit der jüngsten Übernahme ist ihm der nächste Coup gelungen: Für rund drei Milliarden Dollar geht der US-Konzern WK Kellogg, der Erfinder von Frosties, Smacks und Fruit Loops, an Ferrero.
Kaum mehr neue Kreationen
Doch es gibt auch Kritik am Geschäftsgebaren des Schokoerben: So verlegt Giovanni den Hauptsitz nach Luxemburg, das bekanntlich eine sehr unternehmensfreundliche Steuerpolitik betreibt. 2016 gründet er in Belgien mit der CTH Invest eine Holdinggesellschaft, über die er parallel zum traditionellen Ferrero-Kerngeschäft in andere Unternehmen investiert. Diese strategischen Übernahmen ermöglichen ihm, das Ferrero-Imperium — und damit auch sein eigenes — immer weiter auszubauen. Anders als sein Vater, der mit eigenen innovativen Kreationen Ferrero von innen heraus mächtiger machen wollte, übernimmt sein Sohn die Produkte anderer und verleibt sie dem Konzern ein.
Und tatsächlich, Rocher ist die letzte süße Idee aus dem Hause Ferrero, die tatsächlich etwas Neues ist. Sie stammt von Giovannis Vater Michele und aus dem Jahr 1982. Seither werden die bestehenden Marken entweder variiert — Tic Tac mit neuen Geschmacksrichtungen, Duplo aus weißer Schokolade, veganes Hanuta —oder durch sogenannte „line extensions“ in andere Produkte überführt, wie Raffaello als Eis am Stiel, Nutella & Go als Snack für unterwegs.
Giovanni Ferrero, der mit seiner Familie zurückgezogen in Brüssel lebt, scheint seine Kreativität nicht in der Produktentwicklung auszuleben, sondern in der Literatur. Schon während seiner Schulzeit liest er sich durch die Werke von Victor Hugo und Honoré de Balzac und fängt in den 90er-Jahren selbst an zu schreiben. Sein erster Roman wird 1999 veröffentlicht. Bis zum Tod des Vaters kommen fünf weitere, sich meist um familiäre Verwicklungen und den afrikanischen Kontinent drehende Bücher hinzu. Danach fehlen ihm vermutlich sowohl die Zeit als auch die Muße zum Schreiben. Erst vor vier Jahren erscheint sein jüngster Roman, diesmal ein Krimi.
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