Tritt der besser verdienende Ehepartner aus der Kirche aus, zahlt er über die gemeinsame Steuererklärung weiter einen Obolus. Warum das so ist, was man tun kann. Von Michael H. Schulz




Es ist eine Abstimmung mit den Füßen: 30 600 Kirchenaustritte 2014 in Bayern, 4000 im Stadtstaat Bremen und 7000 im Bezirk der Evangelischen Landeskirche in Westfalen. Bundesweit verzeichnen Standesämter und Amtsgerichte nach vorläufigen Zahlen mit 200 000 Austritten einen neuen Rekord.

Hinter der jüngsten Austrittswelle steckt nicht etwa ein weiterer Skandal um einen Protz-Bischof, sondern der automatische Einbehalt der Kirchensteuer ab 2015 auf abgeltungsteuerpflichtige Kapitalerträge durch Banken. "Tatsächlich müssen wir davon ausgehen, dass nicht wenige Austritte durch das automatisierte Einzugsverfahren von Banken ausgelöst wurden", bekennt Jens Peter Iven von der Evangelischen Kirche im Rheinland. Viele befürchten offenbar, dass es sich um eine neue Steuer handelt. Ein unglaubliches Missverständnis.

Dabei dürften viele wegen der kümmerlichen Zinsen gar nicht betroffen sein, weil auf Kapitalerträge bis zu 801 Euro für Singles und 1602 Euro für Verheiratete keine Abgeltungsteuer plus Soli und Kirchensteuer anfällt.

Zwar fiel auf Zinsen über dem Sparerfreibetrag seit Einführung der Abgeltungsteuer 2009 für Kirchenmitglieder immer schon Kirchensteuer an, doch die Banken zogen diese bis 2014 nur ein, wenn ihnen ein Antrag vorlag.

Auf Seite 2: Die Gefahr des Bumerangeffekts



Der Austritt kann für manchen Verheirateten, der Hauptverdiener ist und mit seinem Partner eine gemeinsame Steuererklärung abgibt, jedoch einen negativen Effekt haben. Denn bleibt der geringer verdienende Ehepartner weiterhin Mitglied einer Kirche und geben beide Partner gemeinsam eine Steuererklärung ab, verlangen alle evangelischen Landeskirchen, die römisch-katholischen Bistümer Hamburg, Osnabrück, Hildesheim, Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Fulda, Trier, Görlitz und Mainz sowie die jüdischen Gemeinden in Hessen und Hamburg das sogenannte besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe. Diese flapsig Heidensteuer genannte Abgabe ist laut Bundesverfassungsgericht grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar (Az. 2 BvR 816/10). Weil Banken und Versicherungen im Rahmen des neuen automatisierten Einzugsverfahrens nicht das besondere Kirchgeld einziehen dürfen, merken Abtrünnige zunächst allerdings nichts.

Auf Seite 3: Heidensteuer durch die Hintertür



Heidensteuer durch die Hintertür

Da direkt vom Ausgetretenen nichts mehr kassiert werden kann, berechnen die Finanzämter im Rahmen der Steuererklärung den Obolus auf das gemeinsam zu versteuernde Einkommen der Eheleute. Schließlich hat der weniger verdienende Ehepartner einen Unterhaltsanspruch gegenüber dem gut verdienenden Partner, der ausgetreten ist. Das Finanzamt setzt das besondere Kirchgeld fest, indem auf ein Drittel des zu versteuernden Gesamteinkommens ein besonderer Steuertarif angewendet wird. "Das so ermittelte Einkommen ist die Bemessungsgrundlage. Das Ergebnis sind dann die geglätteten Kirchengeldbeträge", erklärt Jens Petersen, Oberkirchenrat und Steuerreferent der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Laut einer 13-stufigen Tabelle fallen dabei jährlich mindestens 96 Euro in der Einkommensstufe zwischen 30 000 und 37 499 Euro an, höchstens aber 3600 Euro Kirchgeld bei einem gemeinsam zu versteuernden Einkommen von 300 000 Euro und mehr. Somit wird faktisch derjenige mehr belastet, der den Löwenanteil erwirtschaftet. Im Gegenzug kann das gezahlte Kirchgeld als Kirchensteuer in voller Höhe beim zu versteuernden Einkommen als Sonderausgabe abgezogen werden. Vermeiden lässt sich diese Heidensteuer nur mit einer getrennten steuerlichen Veranlagung der Eheleute. Steuern spart der Hauptverdiener aber nicht. Da das Ehegattensplitting wegfällt, zahlt er sogar drauf.