Mit 28 Jahren war Götz Werner von seinem Vater aus dessen Drogerie gefeuert worden - der hielt nichts von den "spinnerten Ideen" seines Sohnes. Götz Werner gründete daraufhin seinen eigenen Konzern und wurde zum Milliardär. Heute ist der Selfmademan nicht nur ein Vorkämpfer für ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern ist auch für seine anthroposophische Grundhaltung und Ideale einer menschenfreundlichen Unternehmensführung bekannt. Er setzte bei seiner Drogeriekette dm auf flache Hierarchien, das Arbeitsklima hatte bei ihm einen höheren Stellenwert als der Profit.

Operativ im Unternehmen tätig ist der Patriarch heute nicht mehr - 2008 wechselte er in den Aufsichtsrat. Seine Unternehmensanteile hat er in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht. Seine sieben Kinder seien trotzdem versorgt, nämlich mit einer guten Ausbildung.

Götz Werner kam 1944 in Heidelberg als fünftes Kind eines Drogisten und einer Psychologin zur Welt. Als kleiner Junge träumte er davon, Kapitän auf einem Neckarschiff zu werden. Aber schon als Sechsjähriger wünschte er sich einen weißen Kittel, um damit in der Drogerie seines Vaters herumzulaufen. "Damals verkaufte man die meiste Ware offen, unverpackt. Den intensiven Geruch nach Seifen, Salben und Kräutern habe ich noch heute in der Nase." Schon als Teenager wusste er, dass er das Geschäft seines Vaters übernehmen und somit die Familientradition aufrechterhalten würde: Bereits sein Urgroßvater hatte 1870 in Heidelberg eine Drogerie eröffnet, und auch sein Großvater war Drogist gewesen.

"Die Schule hat mich damals weniger interessiert", gibt Werner in seiner Autobiografie ("Womit ich nie gerechnet habe") zu. "Ich war ein schlechter Schüler." Nach der Mittleren Reife besuchte er eine Handelsschule in Koblenz und machte anschließend eine Drogistenlehre. Rudern war sein Hobby. Später trainierte er im renommierten Heidelberger Ruderclub, einem Verein, der mehrere Deutsche Meister und sogar internationale Champions hervorgebracht hatte.

Teamwork und Utopie

Die Erfahrungen aus dem Leistungssport sollten später sein unternehmerisches Denken beeinflussen. "Im Team kannst du mehr aus dir herausholen, als dir bewusst ist", wurde ihm klar. Wenn er mit der 2000 Meter langen Regattastrecke konfrontiert gewesen sei, habe er stets gedacht: "Das schaffe ich nie." Dann kam das Startkommando, der Schlagmann gab den Takt vor, und irgendwann sei der Moment gekommen, in dem die Schinderei nebensächlich wurde.

Nach dem Wehrdienst als Sanitäter bei der Bundeswehr, mehreren Volontariaten und einem dreimonatigen Führungslehrgang in Harzburg stieg er 1968 in das väterliche Unternehmen in Heidelberg ein. Er betrachtete die Geschäfte seines Vaters mit professionell geschultem Blick - und was er sah, beunruhigte ihn zutiefst.

Vater Werner betrieb damals rund 20 Fi- lialen, denen es wirtschaftlich schlecht ging. Die Lieferanten gewährten keinen Kredit mehr. Und der Leiter der Sparkasse hatte den jungen Götz bereits besorgt gefragt: "Wann übernehmen Sie endlich das Geschäft?" Werner erinnert sich: "Das Ganze war eine Ansammlung kleiner Läden mit unterschiedlichen Spezialisierungen. Aber nichts davon war in irgendeiner Weise durchstrukturiert."

Nach sechs Wochen konfrontierte er den Vater mit seinen Bedenken: "Vati, wenn du so weitermachst, gehst du pleite." Der Satz brachte den Vater derart in Rage, dass sein Sohn zwei Stunden später auf der Straße stand - was sich im Nachhinein als Glücksfall erwies, denn Götz Werner konnte nun seine Visionen umsetzen. Nämlich die Einführung des Discounter-Prinzips in der Drogerie. "Es fängt immer mit einer Utopie an", sagte er später. "Die Utopien von heute sind die Realitäten von morgen."

Es war ein schwieriger Start in die Selbstständigkeit. "Ich habe damals ganz ohne Eigenkapital angefangen." Der gesamte Einzelhandel war in jener Zeit im Umbruch. Was heute selbstverständlich erscheint, nämlich ein Supermarkt, war bis weit in die Fünfzigerjahre hinein in Deutschland völlig unbekannt: Lebensmittel kaufte man in Geschäften mit kleiner Fläche und mit einer Bedientheke. Erst mit dem steigenden Warenangebot in den Jahren des Wirtschaftswunders begann die Zeit der Supermärkte.

Im Sommer 1973 eröffnete Götz Werner in Karlsruhe sein erstes eigenes Geschäft: Eine Discountdrogerie mit straffem Sortiment, niedrigen Preisen und hohem Warenumschlag. Er nannte den Laden schlicht "dm - drogeriemarkt" und setzte auf Selbstbedienung. Die Kunden nahmen die Ware selbst aus dem Regal und gingen damit zur Kasse. Das Geschäft brummte vom ersten Tag an. Innerhalb weniger Wochen hatte er genug Geld, um eine zweite Filiale in Mannheim zu eröffnen. Und Mitte 1975 waren es bereits 20 Läden.

Werner ist Goethe-Fan und Anhänger der anthroposophischen Weltanschauung Rudolf Steiners, die er als "Fundgrube für meine Tagesproblematik, aber auch für meine mittel- und langfristigen Überlegungen" bezeichnet. Seine Unternehmensphilosophie richtete er konsequent nach den Prinzipien Persönlichkeitsentwicklung, Vertrauen und Kreativität aus.

Daher sieht er in seinen Mitarbeitern keine Personalkosten, sondern "Kreativposten". Die dm-Filialen haben ein hohes Maß an Selbstverantwortung und Eigenkontrolle. Sie bestimmen heute selbst ihr Sortiment, ihre Dienstpläne, zum Teil die Vorgesetzten und sogar die Gehälter.

Mehr Konsum, mehr Steuern

Götz Werner, Träger des Bundesverdienstkreuzes, kämpft für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das "Einkommen für alle" hat für ihn etwas mit der Würde des Menschen zu tun. In einem Interview forderte er: "1000 Euro für jeden - das macht die Menschen frei." Finanzieren will er das über eine Konsumsteuer: "Wir sollten unser Steuersystem so weiterentwickeln, dass nur noch der Konsum besteuert wird, nicht mehr der Beitrag. Wer viel konsumiert, zahlt viel Steuern, wer sparsam lebt, zahlt wenig Steuern."

Der "Spiegel" fragte ihn: "Wie lange wird es dauern, bis das Grundeinkommen Realität wird?" Werners Antwort: "Das kann ich nicht sagen. Aber wer hätte am 9. November 1989 abends gesagt, dass die Mauer fällt?"