Jeder Hamburger kennt sie: Die 1903 im Renaissancestil fertiggestellte Firmenzentrale der Reederei Hapag-Lloyd, repräsentativ gelegen am Ufer der Binnenalster. Auch innen dominiert Tradition. Wo früher Erste-Klasse-­Gäste unter einer Glaskuppel die Billets für ihre Schiffsreise kauften, ist heute die lichtdurchflutete Firmen­kantine. An der Wand: eine Weltkarte mit den Schiffsrouten von 1903. Vier Stockwerke darüber arbeitet Vorstandschef Rolf Habben Jansen daran, den Konzern in eine profitable Zukunft zu steuern.

€uro am Sonntag: Herr Habben Jansen, sowohl 2018 als auch in den ersten Monaten 2019 lief Ihr Geschäft blendend. Kann sich das angesichts von Konjunkturdellen und Handelskonflikten so fortsetzen?

Habben Jansen:

Die Frachtraten haben sich gut entwickelt, und wir sehen eine hohe Auslastung unserer Schiffe. Bisher spüren wir die Handelskonflikte kaum. Aber solche Streitigkeiten sind natürlich nicht gut für den Welthandel und werden mittelfristig Auswirkungen haben, auch auf unser Geschäft. Das ist ohnehin zyklisch. Das heißt, es gibt immer wieder Schwankungen. Wir gehen aber unverändert davon aus, dass wir in den kommenden Jahren auf einem höheren Ratenniveau landen.

Was bedeutet denn das für Ihre ­Prognose?

Eine Bestätigung: Wir rechnen für 2019 mit einem Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 1,6 bis 2,0 Milliarden Euro, das 2018 bei 1,1 Milliarden Euro lag, und mit einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 0,5 bis 0,9 Milliarden Euro, das im Vorjahr 0,4 Milliarden Euro betrug. Darin enthalten sind aber auch positive Effekte durch die neuen Rechnungslegungsvorschriften IFRS16.

Wie entwickeln sich die in Ihrem Geschäft so wichtigen Frachtraten, die wiedergeben, zu welchen Preisen Sie Waren verschiffen?

Wir haben zum einen Verträge, die einmal im Jahr verhandelt werden. Das sind 35 Prozent unseres Geschäfts, und hier haben wir höhere Abschlüsse erzielen können als im Vorjahr. Der Rest wird täglich verhandelt. Wir sind derzeit in der Nebensaison, da geben die Raten immer etwas nach. Aber mit Blick auf die kommenden zwei Monate, wenn Hochsaison herrscht, rechne ich mit einer positiven Entwicklung der Raten.

Sie haben Ende 2018 das Programm "Strategy 2023" vorgestellt. Damit wollen Sie jährlich umgerechnet zwischen 312 und 356 Millionen Euro einsparen. Wie kommt die Summe zusammen?

Das ist ein Bündel von Maßnahmen. Wir wollen unprofitable Services umstrukturieren oder ganz einstellen, den Einkauf optimieren und Leercontainertransporte reduzieren. Außerdem wollen wir die Geschäfte von Tür zu Tür ausbauen.

Worum geht es dabei?

Man kann natürlich die Container nur von einem Hafen zum nächsten transportieren. Aber von dort müssen die Waren ja weiter ins Inland. Es liegt auf der Hand, solche Transporte auch vom Reeder organisieren zu lassen, also von uns, der den Weitertransport über Straße, Schiene und Binnenschiffe bis zum Endkunden koordiniert. Im Rahmen unserer Strategy 2023 wollen wir den Anteil an Hinterlandtransporten auf 40 Prozent erhöhen. Wir sind auf einem guten Weg dorthin.

Und was ist mit Digitalisierung?

Das betrifft den Ausbau unseres Web-Channels. Hier können Kunden über eine App und unsere Website nach Preisen fragen. Sie erhalten innerhalb von wenigen Sekunden ein Angebot und können dann direkt buchen.

Nehmen die Kunden das an?

Mittlerweile finden schon acht Prozent aller Buchungen über App und Internet statt. 2019 werden zwischen 750.000 und einer Million Standardcontainer digital beauftragt werden. Das ist eine ordentliche Menge, denn wir bieten das Angebot erst seit 2018 an. Unser Ziel ist, 15 Prozent bis 2023 zu erreichen.

Wie gehen Sie das Problem an, dass viele Container leer nach Asien zurückkehren?

Man wird Leertransporte immer ­haben. Es kommen einfach mehr Güter aus China nach Europa als umgekehrt. Um aber eine bessere Auslastung zu erreichen, spielt die Digitalisierung eine große Rolle. Wir wollen dafür Algorithmen im eigenen Haus entwickeln. Allerdings ist es nicht einfach, dafür Fachpersonal zu finden. Dennoch glaube ich, dass wir bei der Digitalisierung in unserer Branche international zur Spitzengruppe gehören.

Welchen Marktanteil streben Sie an?

Wir liegen aktuell leicht unter zehn Prozent, und unser Ziel ist, unsere Position zu behaupten. Wir wollen einen Anteil von zehn Prozent an allen Containertransporten weltweit, ohne den internen Asien-Verkehr.

Innerhalb Asiens wächst der Logistikbedarf aber enorm.

In der Tat finden innerhalb Asiens etwa 20 Prozent des gesamten Containerumschlags weltweit statt. Wir sehen das trotzdem nicht als Kernmarkt.

China nicht als Kernmarkt? Das überrascht.

Was chinesische Exporte betrifft, ist das schon ein Kernmarkt, aber wir fokussieren uns nicht auf Intra- Asien. Dort gibt es sehr viele lokale Wettbewerber, und wir haben einen vergleichsweise kleinen Marktanteil. Wir haben das diskutiert und im Rahmen unserer Strategie entschieden, dass wir dort nicht expandieren wollen. Uns reicht die wichtige Position, die wir in der Containerschifffahrt weltweit haben. Wir brauchen keine dominante Rolle in diesem Fahrtgebiet.

Und stattdessen?

Wir gehen verstärkt auf Nischen, Spezialcontainer - Güter, die eigentlich nicht in einen Standardcon­tainer passen - und Kühlcontainer. Außerdem sehen wir zum Beispiel in Verkehren mit Indien, dem Nahen Osten und Afrika Wachstums­chancen.

Nach den Fusionen mit der Reederei CSAV aus Südamerika und der arabischen Gruppe UASC: Wird ­Hapag-Lloyd weiter bei Übernahmen in der Branche mitmischen?

Eher nicht. Bei der Fusion mit CSAV 2014 waren die Verbesserungen insbesondere bei den Stückkosten enorm. Beim Merger mit UASC vor zwei Jahren waren diese Effekte schon spürbar geringer. Nun haben wir eine Größe, die es uns erlaubt, wettbewerbsfähig zu sein. Wenn jetzt noch ein weiteres Unternehmen dazukäme, würde das nicht mehr viel bringen. Je größer man wird, desto kleiner werden die Vorteile einer Übernahme.

Rechnen Sie unter den drei Schifffahrtsallianzen, die die Containerschifffahrt weltweit dominieren, mit einer weiteren Konzentration?

Wir arbeiten in unserem Verbund "The Alliance" gut mit unseren Partnerreedereien zusammen. Da geht sicher noch mehr, zum Beispiel was die Koordination von Leercon­tainern anbetrifft. Aber auch hier gilt: Es ergibt keinen Sinn, das Geschäft weiter zu konzentrieren, bis es nur noch von einer oder zwei Allianzen beherrscht wird.

Wie fällt das erste Fazit Ihrer neuen Strategie aus?

Es gibt erste Erfolge, wie den Ausbau des Web-Channels und Wachstum in manchen Nischen. Wir stehen aber erst am Anfang, und bis zum Jahr 2023 haben wir noch eine anspruchsvolle Reise vor uns.

Wann werden Sie die erwarteten Einsparungen von bis zu 400 Millionen US-Dollar de facto realisieren?

Mit dem vollen Effekt rechnen wir ab 2021. Aber schon 2019 wollen wir einen positiven Effekt in dreistelliger Millionenhöhe verzeichnen.

Wollen Sie so auch die Nettoverschuldung reduzieren, die im ersten Quartal 2019 bei 6,4 Milliarden Euro lag?

Uns ist der Schuldenabbau wichtig. Wir zahlen beispielsweise dieses Jahr eine Anleihe vorzeitig zurück. Unser kurzfristiges Ziel ist, die Nettoverschuldung auf den Faktor 3,5 des Ebitda zu reduzieren. Das werden wir 2019 erreichen und mittelfristig unter den Faktor 3 kommen. Ende 2018 lagen wir bei 4,6.

Themenwechsel: Klimaschutz. Der Schiffsverkehr belastet durch Abgase die Luft vor allem in den Hafenstädten. Eine Idee ist, dort die Schiffe ans Stromnetz anzuschließen, damit sie die Motoren abstellen können. Bereitet sich Hapag-Lloyd darauf vor?

Wir schließen unsere Schiffe bereits seit mehreren Jahren in Kalifornien an das Landstromnetz an. Auch in Deutschland haben wir uns an Forschungsprojekten beteiligt. Aber um diese weltweit einzuführen, fehlen noch entsprechende Landstromnetze und Anschlussmöglichkeiten. In einigen Bereichen fehlen auch noch globale Standards. Ich würde mir sehr wünschen, dass das kommt. Wir werden investieren, um unsere Schiffe umzurüsten. Ein akut noch wichtigeres Thema sind aber die Kraftstoffe.

Warum?

Ab 1. Januar 2020 gilt weltweit, dass Schiffe nur noch Kraftstoffe mit einem Schwefelanteil von 0,5 Prozent einsetzen dürfen. Das wird die Schwefeloxidemissionen sehr deutlich reduzieren. Derzeit liegt die erlaubte Obergrenze bei 3,5 Prozent.

Dennoch dürften die Tage des derzeit dominierenden Schiffsdiesels langfristig gezählt sein. Auf welche alternativen Antriebe setzen Sie?

Wir rüsten derzeit unser erstes Schiff um auf verflüssigtes Erdgas (LNG). LNG stößt anders als Diesel keine Partikel aus und ist beim Kohlendioxidwert auch noch mal um etwa 20 Prozent besser. Sinnvolle andere Technologien stehen im Moment für Containerschiffe unserer Größe leider nicht zur Verfügung. Brennstoffzellen, die mit Wasserstoff arbeiten und für den Hauptantrieb nutzbar sind, sind eher ein längerfristiges Thema. Elektromobilität ist bei dem aktuellen Stand der Speichertechnologie keine Alternative, denn dann müssten wir das komplette Schiff voller Batterien packen.

Ein Grund für die hohen Klimaemissionen beim Gütertransport ist der geringe Anteil der Schiene. Werden Sie dort anpacken, wenn es um Ihre Tür-zu-Tür-Geschäfte geht?

Ich sehe diese Problematik auch. Man muss versuchen, mehr auf die Schiene und die Binnenschiffe zu bekommen. Das gelingt nur teilweise, weil nicht genug in die Schienen­infrastruktur investiert wird. Wenn ich mich im Hamburger Hafen umschaue, finde ich nur einen modernen Containerterminal, der acht Schienenspuren hat. Das ist gut, aber zu wenig.

Schon lange politisch belastet ist das Verhältnis zwischen den arabischen Nachbarn Saudi-Arabien und Katar, die nach der Übernahme der USAC auch Großaktionäre bei Hapag-Lloyd sind. Spüren Sie die Spannungen?

Die Investitionsfonds der beiden Staaten gehen im Aktionärskreis ganz normal miteinander um. Sie sehen beide Hapag-Lloyd als Finanz­investition. Da gibt es keine Pro­bleme, die für uns ersichtlich wären.

Die vielen Großaktionäre bei Ihnen limitieren den Streubesitz auf unter zehn Prozent. Eine höhere Quote würde die Attraktivität für Investoren erhöhen. Gibt es Pläne, das zu unterstützen?

Ich würde einen höheren Streubesitz befürworten, aber der Handlungsspielraum auf Unternehmensseite ist eher begrenzt. Unsere Großaktionäre wollen ihre Anteile behalten - und manche eben noch ausbauen.

Mit welcher Dividende können Aktionäre künftig rechnen?

Vor einigen Jahren war es unser Ziel, die Hapag wieder dividendenfähig zu machen. Das haben wir geschafft. Wir haben für 2018 zum zweiten Mal in Folge eine Dividende gezahlt. Mit 0,15 Euro war die Ausschüttung zuletzt noch nicht sehr hoch, wird aber in Abhängigkeit unserer Geschäftsergebnisse hoffentlich steigen.

Eine Dividendenrendite von drei bis fünf Prozent wäre attraktiv.

Das hieße wohl, ein bisschen zu viel zu erwarten. Sie müssen die Geschichte sehen. Wir haben das Unternehmen stabilisiert, mit zwei ­großen Fusionen und dann dem Börsengang. Wenn wir jedes Jahr profitabel sind, Schulden abbauen und eine vernünftige Dividende zahlen können, dann stehen wir schon gut da.

Vita:
Der Rennradler


Rolf Habben Jansen arbeitet seit 1991 in der Logistik­branche und ist seit 2014 als ­Vorstandsvorsitzender der ­"Kapitän" der größten deutschen Reederei Hapag-Lloyd. Der 52-jährige Wirtschafts­wissenschaftler ist dafür nach Hamburg umgezogen. Wenn Zeit und Familie es erlauben, schwingt er sich gern, ganz in niederländischer Tradition, aufs Rennrad. Im Sommer geht er beim traditionsreichen Hamburger Jedermannrennen, bei den Cyclassics, an den Start.

Hapag-Lloyd
Die Aktie


Am 7. August präsentiert die weltweit fünftgrößte Reederei für Containerschiffe die Bilanz fürs erste Halbjahr. Die Flotte von 235 Schiffen für 11,9 Millionen Standardcontainer gehört zu den effizientesten in der Branche. Der Abbau der Verschuldung nach zwei großen Fusionen läuft nach Plan. Ab Januar dürfen Schiffe nur noch mit Treibstoff fahren, der maximal 0,5 statt 3,5 Prozent Schwefel enthält (IMO 2020), auch hier kommt Hapag-Llyod gut voran. Die voraussichtliche Abschwächung der Konjunktur dürfte den starken Anstieg der Aktie seit Mai etwas dämpfen. Sie bleibt jedoch ein langfristig lohnendes Investment.