BÖRSE ONLINE: Der Kurs des Bitcoin befindet sich im freien Fall. Am Sonntag kostete eine Einheit der Kryptowährung noch rund 6.400 US-Dollar. Am Dienstagvormittag ist der Kurs bereits unter die Marke von 4.200 Dollar gefallen. Eine normale Kursschwankung oder steckt doch mehr dahinter?


Philipp Sandner: Das ist keine normale Kursschwankung. Auslöser waren Unstimmigkeiten in den Entwickler-Communities. Man kann das mit einer Firma vergleichen, wo auf oberster Ebene eine Art Richtungsstreit entfacht wurde, der dann teilweise öffentlich ausgetragen wird. Im Kern sind es sozusagen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Community, also denjenigen, die den Programmcode entwickeln. Diese Unsicherheiten führen dann dazu, dass die Leute Angst bekommen, dass etwas Schlimmeres passiert - und dann verkaufen sie. Gleichermaßen halten sich potenzielle Neuanleger von einer Investition fern.

Worum geht es bei diesen Meinungsverschiedenheiten?


Da geht es um die verschiedenen Stränge von Bitcoin. Es ist noch nicht klar, welcher in Zukunft erfolgreich sein werden. Es gibt neben Bitcoin z.B. auch Bitcoin Cash, der jetzt wiederum wieder gespalten wird. Das heißt, die Community steht untereinander in Konflikt. Das sind auch Machtspiele. All das führt dann zu Unsicherheit und das drückt auf die Kurse.

Nicht nur an den Kryptobörsen, auch an den klassischen Börsen ging es zuletzt deutlich nach unten, die Unsicherheiten sind hoch, der Dax etwa nähert sich derzeit seinem Jahrestief. Sehen Sie einen Zusammenhang?


Nein, das hat meines Erachtens nach nichts miteinander zu tun. Auf weltwirtschaftlicher Ebene gibt es große Risiken, was an den klassischen Börsen zu Kursrückgängen führt, wie wir das jetzt in den letzten Wochen gesehen haben. Aber das sind Ängste vor einem Crash oder vor einem Abkühlen der Wirtschaft. Die Aktienmärkte sind zudem viel größer als die Kryptomärkte. Letztere sind von den etablierten Märkten weitestgehend abgekoppelt.

Erwarten Sie, dass sich etablierte Banken oder Fonds im Bitcoin engagieren?


Das Thema wird kommen, die Technologie wird viel verändern. Blockchain-Technologie ohne Kryptowährungen lässt sich nur teilweise realisieren, vor allem dann nicht, wenn man die Frage stellt, wird den Software-Code weiterentwickelt. Zu einem signifikanten Anteil passiert dies durch die Entwickler von Kryptowährungen und in Startups. Im Hintergrund tut sich sehr viel. Man hat das erst heute gesehen. Seit heute gibt es in der Schweiz den ersten Index auf Kryptowährungen, also ein klassisches Kapitalmarktprodukt.

... der Krypto-ETP mit der ISIN CH0445689208 ist ein Basket, in dem die Basiswerte Bitcoin, Ripple, Ethereum, Bitcoin Cash und Litecoin enthalten sind...


Das ist ein Zeichen dafür, dass sich Kryptowährungen weiter etablieren könnten. An dieser Stelle kann man sagen, dass das Wort Kryptowährungen inhaltlich nicht perfekt gewählt, aber doch weithin verwendet wird. Eigentlich handelt es sich um "Crypto Assets" oder kryptographische Token.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem jüngsten Kursrutsch und dem ersten Krypto-ETP?


Nein. Der Auslöser für den Absturz ist meines Erachtens die Differenzen hinsichtlich der Technik. Denn diese zeigen deutlich an, wie fragil das kleine Kryptowährungs-Ökosystem derzeit ist.

Können sich die Kryptowährungen trotz des jüngsten Kurssturzes als neue Anlageklasse etablieren?


Auf alle Fälle. Das ganze Jahr war beim Bitcoin von einer Depression geprägt. Manche Menschen reden auch schon das Ende des Bitcoins herbei. Das ist allerdings die vollkommen falsche Richtung. Man sieht jetzt lediglich, dass es länger dauert, als geplant.

Wieso?


Bis sich neue Technologien etablieren, dauert es nun oftmals sehr lange. Schauen Sie sich das iPhone an. Das Smartphone hat nun 14 Jahre gebraucht, bis es sich etabliert hat, und jetzt haben es alle. Bei der Blockchain-Technologie ist es ähnlich, das geht auch nicht über Nacht. Und auch hier wird es Jahre oder gar Jahrzehnte dauern, bis die neue technologische Infrastruktur in den Unternehmen und in der Finanzindustrie angekommen ist.

Welchen Bitcoin-Kurs halten Sie für angemessen?


Das kann man nicht sagen, dafür ist es noch zu früh. Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen. Und die Bewertungsmethoden fehlen.

Welche Bewertungsmethoden müsste es geben?


Das müsste analog zum klassischen Kapitalmarkt sein, wo es zum Beispiel das Discounted Cashflow (DCF)-Verfahren gibt. Solche Methoden werden für Kryptowährungen gerade entwickelt.

Philipp Sandner leitet an der an der Frankfurt School of Finance & Management das Frankfurt School Blockchain Center.