Der Aktienkurs von Heidelberger Druck hat sich binnen Jahresfrist vervierfacht. Im Kernmarkt will der Druckmaschinenbauer künftig auf stabilem Niveau Geld verdienen, für profitables Wachstum setzt Finanzchef Marcus Wassenberg auf neue Märkte. Im Gespräch mit BÖRSE ONLINE erklärt er, wo er die Perspektiven für die Zukunft sieht.

BÖRSE ONLINE: Am 10. November kommen die Halbjahreszahlen - wie fallen die aus?

Marcus Wassenberg: Das kann ich vorab natürlich konkret nicht sagen. Aber ich kann sagen, dass wir niemanden enttäuschen werden. Und ich kann sagen, dass wir sehr zufrieden sind.

Wenn Sie so zufrieden sind, heben Sie dann die Gesamtjahresziele an?

Angesichts der weltweit angespannten Material- und Zuflusssituation bleiben wir vorsichtig. Bisher haben wir keine Beeinträchtigungen unserer Lieferungen gehabt. Ich will aber nicht die Ziele erhöhen, um sie dann wieder senken zu müssen. Darum halten wir an der Prognose fest, die wir ja auch erst im August angehoben haben.

Im ersten Quartal lag der Auftragseingang mit 652 Millionen Euro über dem Vor-Corona-Niveau. Sind die Bücher für das zweite Halbjahr genauso prall gefüllt?

Ja. Konkrete Zahlen darf ich auch hier natürlich noch nicht nennen, aber wir sehen einen sehr schönen Auftragseingang. Auch der Umsatz ist sehr erfreulich. Positiv stimmt uns auch die Entwicklung beim Cashflow.

Vor Ihrem Amtsantritt 2019 war eine mittelfristige Ebitda-Marge von mindestens acht Prozent das erklärte Ziel. Steht das noch?

Als ich angetreten bin, habe ich gesagt, wir brauchen drei Jahre, bis wir Heidelberg dort haben, wo wir im Kerngeschäft sein sollten: Das ist eine Ebitda-Rendite von zehn Prozent und ein Nachsteuergewinn von 100 Millionen Euro. Das habe ich mir für das nächste Jahr fest vorgenommen. Kostenseitig schaffen wir das. Wegen Covid mussten wir die Restrukturierung sogar noch intensivieren und das Basisszenario korrigieren.

Inwiefern?

Die große Frage ist, ob und wann der Umsatz zurückkommt. Wir brauchen etwa fünf Jahre, bis wir auf dem Vorkrisenniveau sind. Wenn wir, wie geplant, im nächsten Geschäftsjahr 2,3 Milliarden Euro Umsatz machen und die Materialkosten nicht ins Uferlose steigen - das ist der einzige Vorbehalt, den ich mache -, dann erreichen wir unsere Ziele.

Welche Wachstumsperspektive gibt es?

Ich glaube nicht, dass unsere Industrie mit den klassischen Geschäftsmodellen noch nachhaltig wächst; wenn wir auf das alte Niveau zurückkommen, ist das gut genug. Das bedeutet für mich im Kerngeschäft, wenn wir es schaffen, den Umsatz in den nächsten Dekaden in Summe auf dem Niveau zu halten und dort Geld zu verdienen, dann haben wir in dem Markt alles erreicht, was wir erreichen können. Dennoch sehen wir klare Wachstumstrends.

Wo wollen Sie denn wachsen?

Es gibt drei unterstützende Trends: Das ist unsere führende Position in China, der Bereich Packaging und die Digitalisierung.

Seit einiger Zeit bauen Sie mit Wallboxen Ladestationen für Elektroautos. Wo gibt es da Synergien zu einer Druckmaschine?

Eine Druckmaschine hat zwei natürliche Feinde: Das sind Luftfeuchtigkeit und Stromnetzschwankungen. Wir sind in 170 Ländern der Welt aktiv, und nicht jedes Stromnetz ist stabil. Eine Druckmaschine muss so ausgestattet sein, dass sie mit diesen Schwankungen umgehen kann. Wenn man das kann, kann man Leistungselektronik - und dann kann man auch Batterien aufladen. Da kommt das her.

Welches Potenzial sehen Sie darin?

Wir haben mit der Wallbox in Deutschland 20 Prozent Marktanteil, mit 22 Millionen Euro Umsatz im vorigen Jahr. Den wollen wir in diesem Jahr organisch verdoppeln. Deutlich profitabel sind wir hier auch schon.

Wird die Elektromobilität denn ein neues Standbein für den Konzern?

Ein klares Ja. Dieses Projekt ist aber auch eine Blaupause. Wenn wir das wie erwartet hinkriegen, können wir auch noch andere Dinge machen. Ich denke da an Automatisierungsprozesse, Sensorik, das sind alles Sachen, die wir im Kerngeschäft können. Wenn es gelingt, uns in Drittmärkten zu etablieren, dann ist das de facto der Umbau von Heidelberger Druck in einen Technologiekonzern.

Was sind dann die nächsten Schritte?

Zunächst wollen wir mit der Wallbox über die DACH-Region hinaus wachsen und dann im zweiten Schritt andere Kompetenzen einbringen. In den Bereichen Smarthome, Flottenmanagement und semiöffentliches Laden sind wir bereits mit möglichen Partnern in den Gesprächen sehr weit. Im nächsten Schritt prüfen wir Optionen, um das weitere Wachstum zu finanzieren. Das kann ein Börsengang sein, das muss kein Börsengang sein. Da sind wir aber auch eher im nächsten Geschäftsjahr. Bis dahin müssen wir noch jede Menge Hausaufgaben machen.

Denken Sie an einen Verkauf der Sparte?

Nein, weil wir genau diese Arbeitsgebiete brauchen, um unseren Mitarbeitern Perspektiven zu geben. Wenn ich die komplette Unternehmung an die Börse bringe und nichts behalten würde, hätten viele Mitarbeiter nicht das Gefühl, an der Zukunft von Heidelberg zu arbeiten. Wir würden die junge Generation verlieren, die brauchen wir aber. Wir brauchen die Kompetenzen, wir brauchen den Mindset. Wir können also immer nur einen Minderheitenanteil herausgeben, und da muss man sehen, wie sich das über die Börse machen lässt.

Planen Sie in absehbarer Zeit Zukäufe?

Kleinere Zukäufe im Bereich Wallboxen sind in diesem Geschäftsjahr noch denkbar.

Bleibt Heidelberger denn auch in Zukunft ein Druckmaschinenhersteller?

Den Druckbereich wird es auch die nächsten Dekaden geben. Und er wird auch in den nächsten Jahren den Löwenanteil vom Umsatz liefern. Trotzdem werden wir Heidelberg spürbar umbauen. Das wird aber ein gradueller Prozess sein, keine Disruption, das ist uns wichtig. Wir erschließen zusätzlich neue Märkte. Dabei sind uns die Mitarbeiter und Kunden im Druckbereich sehr wichtig - wir werden aber schrittweise immer mehr auch andere profitable Bereiche aufbauen. Das sichert langfristig die Zukunftsfähigkeit.

Denken Sie denn auch mal wieder an die Auszahlung einer Dividende?

Natürlich denken wir darüber nach, um so unsere Attraktivität am Kapitalmarkt zu erhöhen. Aber bis dahin haben wir noch einen etwas längeren Weg vor uns. Lassen Sie uns nun erst einmal unsere Ziele bei Umsatz und Nettoergebnis erreichen - dann sehen wir weiter. Aber bis dahin will ich nichts versprechen, was ich nicht halten kann.