Völlig neue und ungewohnte Phänomene wirbeln den Immobilienmarkt durcheinander. Aus der teuersten der deutschen Großstädte, aus München, berichten Händler von Baugrundstücken konsterniert, dass sie keine Käufer mehr finden, die ad hoc die aufgerufenen Mondpreise bezahlen. Baugenossenschaften von Stuttgart bis hinauf nach Hamburg kündigen an, geplante Wohnungsbauprojekte zu verschieben oder gleich ganz zu stornieren. Wegen fehlender Handwerker, zu teurer Baustoffe, gestiegener Finanzierungskosten.

Bauzinsen so rapide gestiegen wie in Jahrzehnten nicht


Seit die Europäische Zentralbank (EZB) infolge der aufgeheizten Inflation die Zinswende eingeleitet hat, sind die Bauzinsen so rapide gestiegen wie in Jahrzehnten nicht. Auf zwischenzeitlich 3,6 Prozent Sollzins für Darlehen mit 10-jähriger Zinsbindung, wie der Kreditvermittler Interhyp festhielt. Großes Pech für diejenigen, die just am Höhepunkt mit ihrer Bank eine Nachfolgefinanzierung für ihr Eigenheim verhandeln mussten. Denn bis Anfang August sank der durchschnittliche Bauzins der Geschäftsbanken schon wieder auf 2,75 Prozent. Das ist immer noch arg hoch, wenn Häuslebauer und Wohnungskäufer nur 20 Prozent Eigenkapital mobilisieren können. Bei Kaufpreisen schon für 3-Zimmer-Wohnungen jenseits der Million.

Dass die Kaufpreise am deutschen Immo-Markt im Jahresverlauf 2022 unter Druck geraten würden, hatten Finanzexperten bereits erwartet. Erkennbar hatte sich der jahrelange Auftrieb bereits im ersten Quartal abgeschwächt (siehe Tabelle). Waren etwa Wohnungen in Berlin (Neubau und Bestand) von 2021 auf 2022 Preise um 12,5 Prozent teurer geworden, so kühlte die Entwicklung zum zweiten Quartal hin spürbar ab. Nach einer Untersuchung des Internetportals Immoscout24, welche die durchschnittlichen Angebotspreise der Inserate berechnete, stiegen die Preise in Berlin nur mehr um 2,5 Prozent.

Laut neuester Kalkulation der Interhyp sanken die real bezahlten Preise in Berlin im gleichen Zeitraum sogar um 1 Prozent. In anderen großen Städten fiel der Preisverfall noch kräftiger aus: in Köln - 6,9 Prozent, in Leipzig - 7,2. Und selbst die Dauer-Hochpreis-Metropole München spürt den Wandel: - 1,1 Prozent im zweiten Quartal. Wann gab es das zuletzt - dass an der Isar Preise sinken?

Traum von eigenen vier Wänden platzt


Angesichts hoher Zinsen und auf hohem Niveau bröckelnder Preise platzt für viele Deutsche derzeit der Traum von den eigenen vier Wänden. Warten und Hoffen, lautet ganz pragmatisch die Schlussfolgerung. Auch weil etwa Immowelt weiter fallende Preise für Berlin, Frankfurt, Leipzig und Stuttgart bis zum Jahresende prognostiziert.

Pendeln sich aber die Darlehenszinsen wieder auf bezahlbareren Höhen ein, sollten die Eigenheim-Träumer aber nicht zu lange zögern. Denn die Tätigkeit auf deutschen Baustellen lässt wegen der hohen Finanzierungskosten stark nach. Ob bei Bauträgern oder Genossenschaften. Die Folge dürfte sein, dass zu wenig Wohnungen und Häuser für die weiterhin hohe Nachfrage entstehen. Und dies wiederum dürfte mittel- bis langfristig auch die Immobilienpreise wieder emportreiben, wie etwa die Postbank in ihrer Wohnatlas-Studie vorrechnet: Bis 2035 steigen in den großen Städten die Preise moderat, aber eben doch wieder.

Den deutschen Immobilienmarkt gibt es dabei sowieso nicht, sondern viele kleine regionale Immobilienmärkte. Tendenziell sind der Süden und der Norden der Republik höherpreisig. Die Mitte hingegen, ob in Ost oder West, leidet eher unter demografisch entleerten Gebieten. Die Preise dort liegen niedriger. In Städten fallen die Quadratmeterpreise in der Regel höher aus als in den entvölkerten Landregionen drumherum.

Eine offene Frage für potenzielle Immobilienkäufer bleibt langfristig, wie die Bevölkerungsentwicklung am präferierten Wohnort aussieht. Eine zweite, ob der Trend zum Wohnen auf dem Land tatsächlich anhält. Oder ob die Menschen in fünf oder zehn Jahren nicht doch lieber in quirligen Großstädten leben.

Eine Alternative zum teuren Eigenheim könnte übrigens das Genossenschaftsmodell sein: Zu vergleichsweise günstigen Konditionen können Neu-Genossen Anteile am Verein erwerben, die dann sogar vererbbar sind. Darüber hinaus bleiben die Miet-Steigerungen übersichtlich im Vergleich zu Wohnungen am freien Markt.