Wer will was? Und wie viel Entlastung ist angesichts riesiger Schulden im Zuge der Corona-Krise überhaupt möglich? Ein Überblick:

WIE IST DIE AUSGANGSLAGE?


Der Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagt, Handlungsbedarf bestehe vor allem für die Mittelschicht, die hohe Belastungen aus Steuern und Sozialabgaben schultern müsse. "Hier gibt es einen Entlastungsbedarf, der sich über Jahrzehnte aufgestaut hat. Einkommensschwache und Familien wurden schon entlastet, Hocheinkommensbezieher und Vermögende auch, nicht aber die arbeitende Mitte." Allerdings würden schon kleinere Entlastungen schnell zweistellige Milliardenlöcher für den Finanzminister bedeuten.

Die Wirtschaft klagt seit Jahren über hohe Sätze. "Unter den 27 EU-Staaten, Großbritannien, der Schweiz, den USA, Kanada und Japan liegt Deutschland gegenwärtig mit der Steuerbelastung für Unternehmen auf dem viertletzten Platz", heißt es in einer ZEW-Studie für die Stiftung Familienunternehmen.

WIE WEIT LIEGEN DIE PARTEIEN AUSEINANDER?


Es gibt hier echte Alternativen. Der Industrieverband BDI betont in einer Analyse der Wahlprogramme von Union, FDP, SPD und Grünen, dass die Steuervorstellungen sehr weit auseinander lägen. Für Firmen befürworteten CDU/CSU und FDP eine Senkung auf rund 25 Prozent. "SPD und Grüne lehnen das ab und wollen durch eine Vermögenssteuer auch Substanzwerte besteuern", so der BDI.

WAS IST NACH DER PANDEMIE ÜBERHAUPT MÖGLICH?


Um nicht noch größere Löcher in die Staatskasse zu reißen und die Rechnung damit künftigen Generationen aufzubürden, sollte jede Steuerreform aufkommensneutral sein, sagt DIW-Experte Bach. Um die Mittelschicht zu entlasten, müsste für Vermögende der Spitzensteuersatz leicht angehoben werden. "Bei der Erbschaftsteuer geht etwas, auch bei der Kapitalertragsteuer. Bei der Immobilienbesteuerung ist der Staat sehr großzügig, hier gibt es viele Privilegien für Immobilienbesitzer. Insgesamt könnte man ein jährliches Volumen von rund 40 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen mobilisieren - und damit die Mittelschicht entlasten." Bei einem solchen Niveau würde es für die Wirtschaft keine größeren Bremsspuren geben. "Mehr ist aber nicht zu empfehlen, sonst kann es größere Nebenwirkungen geben."

WELCHE NEBENWIRKUNGEN WÄREN DAS?


"Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes stellt in Wahrheit eine Erhöhung des Unternehmenssteuersatzes für den deutschen Mittelstand dar", sagt FDP-Generalsekretär Volker Wissing mit Blick auf Personengesellschaften, also vor allem Familienunternehmen. "Denn der wird nach Einkommenssteuertarif besteuert." Vielen Betrieben würde in der Folge Geld fehlen. "Geld, das dann für Forschung und Entwicklung und Investitionen nicht zur Verfügung steht", führt Wissing aus.

WELCHE ROLLE SPIELEN STEUERN BISLANG IM WAHLKAMPF?


"Aktuell spielt die Steuer- sowie Finanzpolitik in der öffentlichen Diskussion eine geringere Rolle, was in der Tat an den großen Themen Corona-Krise und Flutkatastrophe liegt", sagte der Präsident des Bunds der Steuerzahler, Reiner Holznagel, im Sommer. Das Thema sei aber für Bürger und Betriebe entscheidend, auch für den Staat, der sich vor allem über Steuern finanziere.

WAS WOLLEN SPD UND GRÜNE GENAU?


Die SPD, die momentan in Umfragen vorne liegt, will kleine und mittlere Einkommen entlasten. Im Gegenzug sollen die oberen fünf Prozent stärker zur Finanzierung herangezogen werden. Konkret soll für sie die Einkommenssteuer um drei Prozentpunkte erhöht werden, heißt es im Wahlprogramm der Sozialdemokraten. "Wir wollen die Vermögenssteuer wieder in Kraft setzen, auch um die Finanzkraft der Länder für wichtige Zukunftsaufgaben zu verbessern." Vorgesehen ist ein Prozent auf sehr hohe Vermögen. Steuersenkungen zugunsten von Reichen lehnt SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Olaf Scholz als unmoralisch ab.

Die Grünen haben ganz ähnliche Vorstellungen: Der Grundfreibetrag soll erhöht, kleine und mittlere Einkommen entlastet werden. "Ab einem Einkommen von 100.000 Euro für Alleinstehende und 200.000 Euro für Paare wird eine neue Stufe mit einem Steuersatz von 45 Prozent eingeführt", heißt es im Wahlprogramm zur Gegenfinanzierung. "Ab einem Einkommen von 250.000 beziehungsweise 500.000 Euro folgt eine weitere Stufe mit einem Spitzensteuersatz von 48 Prozent." Eine Zusatzsteuer soll auf Vermögen oberhalb von zwei Millionen Euro pro Person greifen und jährlich ein Prozent betragen.

Laut Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) würden vor allem Menschen mit einem Brutto-Jahreseinkommen von 40.000 Euro profitieren. Die Umverteilung würde zu weniger Ungleichheit in Deutschland führen.

WARUM RÄUMT DIE CDU IHRE VERSPRECHEN SCHON VOR DER WAHL AB?


Die Union spricht sich in ihrem Programm zwar für Steuersenkungen aus, hält diese aber nicht für realistisch. Für CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet sind sie nicht finanzierbar - zu angespannt ist die finanzielle Lage durch die Corona-Krise und zu groß der Investitionsbedarf in Klimaschutz und Digitalisierung. CSU-Chef Markus Söder, der den Kampf um die Kanzlerkandidatur verloren und Laschet einen "Schlafwagen"-Wahlkampf vorgeworfen hatte, pocht dagegen auf Entlastungen für den Mittelstand. Er will sich stärker von SPD und Grünen absetzen.

"Bei der Union hat es schon Tradition, Entlastungen im Wahlkampf anzukündigen und das dann in der Regierung wieder zu vergessen oder sogar aktiv zu hintertreiben", sagt der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. "Insofern ist es fast schon ein Akt der Ehrlichkeit, dass Laschet dieses Mal schon vor der Wahl einräumt, hierfür keine Spielräume zu sehen."

WERDEN KOALITIONSVERHANDLUNGEN DADURCH LEICHTER?


Vermutlich nicht, denn Union und FDP haben sich klar gegen Steuererhöhungen positioniert. Diese seien Gift für die Wirtschaft und bremsten das Wachstum - und damit am Ende die Steuereinnahmen des Staates. "In den Sondierungs- und Koalitionsgesprächen 2017 haben wir erlebt, dass gerade die Steuerpolitik zum Zankapfel geworden ist", so Holznagel vom Bund der Steuerzahler. "Bei diesem Thema sehe ich auch im aktuellen Wahljahr eine Brisanz." Auch DIW-Experte Bach gibt sich wenig optimistisch: "Die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt der große Wurf gelingt, ist gleich null." Dafür seien die Steuervorstellungen zu unterschiedlich. "Daher wird es höchstens etwas Klein-Klein geben."

WAS WÜRDEN GRÖSSERE STEUERSENKUNGEN KOSTEN?


Sehr viel. Hauptprofiteure wären Unternehmen und Spitzenverdiener. Das Wahlprogramm der FDP würde nach ZEW-Berechnungen eine Lücke von 88 Milliarden Euro in den Haushalt reißen. Neben deutlich niedrigeren Unternehmenssätzen wollen die Liberalen, dass der Spitzensteuersatz erst ab einem Einkommen von 90.000 Euro greift. Eine Verschärfung der Erbschaftssteuer wird abgelehnt, ebenso eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Für den Fall einer Umsetzung des CDU/CSU-Wahlprogramms kommt das ZEW auf eine Budget-Lücke von 33 Milliarden Euro. Die Ungleichheit in Deutschland würde in beiden Fällen zunehmen.

rtr