"Aber es ist wirklich so, dass die französische Regierung bei allen Kandidaten unterschiedliche Vor- und Nachteile sieht", sagt Pascal Thibaut, Korrespondent von Radio France Internationale. Das wird in französischen Regierungskreisen bestätigt. "Auf jeden Fall ist die Bundestagswahl eine Abstimmung, die eben nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa betrifft", heißt es dort.

Auf den ersten Blick sieht die Lage für die EU-Partner nicht schlecht aus: Die drei Kanzlerkandidaten Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock gelten als klar pro-europäisch. "Generell schaut mal also mit Sympathie auf alle drei", meint Jana Puglierin, Europa-Expertin des European Council on Foreign Relations (ECFR). Doch mit den Kandidaten und vor allem den Parteien werden unterschiedliche Hoffnungen verbunden.

Einig ist man sich bei den befragten Experten und in französischen Regierungskreisen, dass Macron mit Scholz, aber auch den Grünen Partner hätte, die ihm bei der gewünschten Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, aber auch der Weiterentwicklung zu einer Sozialunion nahe stehen. Denn SPD und Grünen wollen nach der Pandemie dem Thema Investitionen Vorrang geben vor dem Unions-Ziel, möglichst bald wieder einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Scholz selbst hatte nach seinem Besuch bei Macron betont, dass er zudem wie der französischen Präsident einer stärkeren europäischen Souveränität auch der Wirtschaft und Technologie will. Er gilt in Frankreich als einer der Hauptpersonen hinter dem 750-Milliarden-Euro-Aufbaufonds, den Deutschland und Frankreich zur Pandemiebekämpfung zusammen beschlossen und in der EU durchgesetzt hatten.

"Laschet genießt dagegen schon deshalb Wohlwollen, weil er wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl Rheinländer ist. Die Nähe zu Frankreich ist fast biologisch bedingt und muss nicht erst erlernt werden", meint Thibaut. Zudem hatte der CDU-Chef schon vor Jahren kritisiert, dass Berlin zu zögerlich auf Macrons Vorschläge zu EU-Reformen reagiert habe. Auch er gilt als Industriepolitiker, der mehr europäische Souveränität anstrebt. In Paris schlug Laschet am Mittwoch zudem eine deutsch-französische Sicherheitsinitiative in der Terror-Bekämpfung und der Außenpolitik vor. Laschet und die Union würden als verlässlichere Partner für die von Frankreich als sehr wichtig angesehenen gemeinsamen Rüstungsprojekte, Rüstungsexporte, aber auch verteidigungspolitische Initiativen angesehen, heißt es bei französischen Diplomaten.

"Aber mit der Union fürchte man in Paris umgekehrt eher eine Stagnation bei den angestrebten Reformen in der EU-Finanz- und Sozialpolitik", meint ECFR-Exertin Puglierin. Wie zum Beleg betonte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, dass es mit der Union keinen Schuldenunion in Europa geben werde.

KOALITIONSPARTNER SORGEN FÜR KOPFZERBRECHEN


Die größten Sorgen gibt es aber wegen der in Deutschland stets nötigen Koalitionspartner. "Bei den Grünen gibt es trotz deren proeuropäische Haltung Vorbehalte, weil sie gerade bei den Rüstungsexporten, aber vielleicht auch bei Auslandseinsätzen auf die Bremse treten könnten", meint Puglierin. "Und die Hauptsorge in Paris ist FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister", betont Thibaut. Denn die FDP gilt als Hardliner in der EU-Finanzpolitik. Macrons Problem: Nach den derzeitigen Umfragewerten könnten sowohl die Grünen als auch die Liberalen Teil der nächsten deutschen Regierung werden.

ANGST VOR EINER HÄNGEPARTIE


Und noch eine Sorge gibt es in Paris und anderen EU-Hauptstädten: die vor einer monatelangen Hängepartei in Deutschland wie nach der Bundestagswahl 2017. Damals konnte Kanzlerin Angela Merkel erst im März 2018 für ihre vierte Amtsperiode vereidigt werden. "Wir brauchen aber einen handlungsfähigen deutschen Partner", betont ein französischer Diplomat. Denn Frankreich übernimmt am 1. Januar 2022 die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft, es gab eine gemeinsame Planung, die bis zum deutschen Vorsitz bis Ende 2020 zurückreicht. Und im April folgt dann die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen: Macron braucht also Erfolge. "Der Zeitdruck ist sehr groß, weil die französische Präsidentschaft wohl ohnehin nur drei Monate voll funktionsfähig sein wird", betont ECFR-Expertin Puglierin. Dazu kommt die Sorge, dass Europa bei neuen Krisen eine entscheidungsfreudige deutsche Regierung braucht - und nicht nur eine geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel.

"Ganz schlecht wäre für ihn, wenn sich eine neue Koalition Anfang 2022 bilden würde", sagt die scheidende Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Claire Demesmay. "Eigentlich wäre es dann für Macron das Beste, wenn Merkel bis zu seiner Präsidentschaftswahl in April im Amt bliebe", fügt sie hinzu - wohlwissend, dass dies vor allem von den Sondierungs- und Koalitionsgesprächen in Berlin abhängen wird. Aber dann hätte der französische Präsident zumindest eine bekannte Ansprechpartnerin.

rtr