Die Europäische Zentralbank (EZB) wird aus Sicht von Bundesbank-Präsident Joachim Nagel angesichts der hochschießenden Inflationszahlen möglicherweise schon rasch die Zinswende einleiten. Bis zum Juni würden bereits die Anleihen-Kaufprogramme auf pro Monat 20 Millionen Euro zurückgeführt, sagte Nagel dem ARD-Wirtschaftsmagazin "plusminus" in einem Interview. "Das ist schon eine Hausnummer im Vergleich zu den früheren Zahlen", sagte er. Zum Vergleich: Im April liegen die Käufe bei 40 Milliarden Euro.

Vor allem die hohe Inflationsrate von 7,3 Prozent in Deutschland bereitet Nagel Sorgen. Gerade Menschen mit kleineren oder mittleren Einkommen, wären besonders hart durch die hohen Preise getroffen, erläuterte er. "Und da müssen wir ran. Wir als Notenbanker. Diese hohen Inflationsraten dürfen sich nicht verfestigen", sagte Nagel. Das werde sicherlich eine Aufgabe sein, insbesondere für die Europäische Zentralbank in diesem Jahr.

Nagel zufolge gibt es bei der Inflation viele bekannte Sonderfaktoren. "Natürlich jetzt auch noch mal durch diesen fürchterlichen Krieg", fügte er hinzu. Eine Besserung sei dann zu erwarten, wenn sich bestimmte Preissteigerungen wieder aus diesen Berechnungen herausbewegen. "Aber insgesamt ist es natürlich eine Entwicklung, die uns nicht gefallen kann", führte er aus. "Und wir erwarten schon im Jahresdurchschnitt 2022 eine Inflationsrate, die so bei sechs Prozent liegen kann. Und das ist natürlich zu viel."

Im Juni werde er zusammen mit seinen Kollegen im EZB-Rat auf der "Basis frischer Daten" über die künftige Geldpolitik entscheiden. "Was wir jetzt sehen, deutet darauf hin, dass sich möglicherweise auch der Sparer bald wieder über höhere Zinsen freuen kann." Ein erster Zinsschritt aufwärts deutet sich damit möglicherweise bereits für das dritte Quartal an. Bislang war über das vierte Quartal gemutmaßt worden.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte letztmalig im Jahr 2011 Schlüsselzinsen angehoben. Der Leitzins zur Versorgung der Geldhäuser mit Geld liegt aktuell auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Der Einlagensatz liegt sogar bei minus 0,5 Prozent. Ein Einlagensatz unter null Prozent bedeutet, dass Banken Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken.

Steigende Zinsen gelten gemeinhin als Gift für den Aktienmarkt, weil tendenziell mehr Geld in den Rentenmarkt, statt in Aktien fließt. Das begrenzt das Aufwärtspotenzial für Unternehmens-Anteile. Allerdings vollzieht sich die Trendwende nur allmählich. Ein erster Zinsschritt in den USA wurde an der Wall Street weitgehend mit einem Schulterzucken abgehakt.

mmr mit dpa-AFX/rtr