Kontrolle vor dem Schuleingang: Ende März überprüfte das Gesundheitsamt an der Dahlmannschule in Bad Segeberg die Impfpässe von über 700 Schülern und Lehrern. Wer keine zwei ­Masernimpfungen nachweisen konnte, musste wieder nach Hause gehen. Auf diese Weise hofften die Verantwortlichen nach einem Krankheitsfall die Ausbreitung der extrem ansteckenden Viren zu verhindern.

341 Masernerkrankungen hat das ­Robert-Koch-Institut im laufenden Jahr bereits registriert, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es lediglich 156. Aufgrund der Häufung der Fälle will Gesundheitsminister Jens Spahn sogar die Einführung einer Impfpflicht prüfen. Deutschland steht mit dem Anstieg nicht allein: Die USA ächzen unter mehr als 700 Masernfällen, so viele wie seit 1994 nicht mehr. Die Stadt New York reagiert inzwischen mit Strafbefehlen von bis zu 1.000 Dollar, wenn Bürger mit Infizierten in Kontakt gekommen sind und sich nicht impfen lassen.

Ungeliebte Sparte


Auch weltweit zeigt die Kurve der Fallzahlen aktuell steil nach oben. Die Gründe: Häufig gibt es Impflücken, weil zum Beispiel die zweite Masernimpfung vergessen wurde oder bei heute Erwachsenen noch nicht vorgesehen war. Aber natürlich spielt auch die Impfskepsis vieler Eltern eine wichtige Rolle.

Ein beliebtes Argument der Impfgegner: Von vielen Impfempfehlungen profitiere nur die Pharmaindustrie. Tatsächlich handelt es sich in der Branche um ein eher ungeliebtes Geschäft. "Die Kosten für das Testen und Herstellen vieler Impfstoffe wird durch die begrenzte Nachfrage nicht getragen", erklärte Novartis-CEO Vas Narasimhan erst vergangene Woche in Washington.

Denn die Entwicklung von Impfstoffen ist aufwendig. Da sie gesunden Menschen verabreicht werden, sind die Anforderungen an Sicherheit und Wirksamkeit besonders hoch. Teilweise ist die Produktion kostspielig. Krankenkassen drücken die Preise. Im Vergleich etwa zu Krebsmedikamenten bedeutet das viel geringere Margen.

Doch es gibt Ausnahmen. Mit Innovationen lässt sich auch in diesem Feld sehr gut Geld verdienen. Ein Musterbeispiel, das dem ganzen Sektor neuen Schwung brachte, ist die HPV-Impfung. Die Vakzine gegen humane Papillom­viren kann die Entstehung bestimmter Krebsarten verhindern und war damit bei der Zulassung 2006 die erste und bisher einzige Impfung gegen Krebs. Das schlägt sich auch im Preis von rund 150 Euro pro Einzeldosis nieder. Heute macht der amerikanische Pharmariese Merck & Co. mit dem Impfstoff Gardasil einen Umsatz von 3,1 Milliarden Dollar pro Jahr, und die Einnahmen wachsen dank der Einführung in Schwellenländern und der Ausweitung der Impfempfehlungen weiterhin stark.

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Kleine Firmen profitieren stärker


Auch Glaxosmithkline hat einen Kassenschlager: Die Nachfrage nach Shing­rix, dem neuen Impfstoff gegen Gürtelrose, der demnächst in Deutschland für über 60-Jährige zur Kassenleistung wird, konnte Glaxo zuletzt nur mit Mühe bedienen. Aus dem Stand brachte Shingrix dem britischen Konzern voriges Jahr 1,02 Milliarden Dollar ein. Die Vakzine dürfte sich zu einem wichtigen Wachstumsträger entwickeln.

Allerdings ist der Einfluss auf das ­Ergebnis und damit auf den Aktienkurs beschränkt. Glaxo erzielte 2018 einen Umsatz von knapp 40 Milliarden Dollar. Die Einkünfte von Merck liegen noch darüber. Selbst Pfizers Sechs-Milliarden-­Dollar-Produkt Prevnar macht nur etwas mehr als ein Zehntel des Gesamtumsatzes aus.

Das sieht bei kleineren Unternehmen ganz anders aus. So baut der australische Hersteller CSL seinen Marktanteil bei Grippeimpfstoffen kontinuierlich aus, der Umsatz mit diesem Segment stieg 2018 um 53 Prozent. Die US-Firma Emergent Biosolutions ist Marktführer bei Anthrax-Vakzinen. Für 2019 erwartet das Unternehmen ein Nettogewinnwachstum von bis zu 75 Prozent.

Für sehr risikobereite Anleger ist zudem die winzige Biondvax mit Sitz in Israel interessant: Die Firma liegt weltweit ganz vorne bei der Entwicklung eines universellen Grippeimpfstoffs, der nicht jedes Jahr neu angepasst werden muss. Das Ergebnis der letzten klinischen Testphase soll Ende 2020 vorliegen. Das Potenzial für dieses Produkt ist riesig, die Risiken sind es allerdings auch. So brach der Kurs der US-Firma Novavax im Fe­bruar um rund 70 Prozent ein, weil ein als Blockbuster gehandelter Impfstoffkandidat in einer Studie versagt hatte. Das könnte auch Biondvax blühen.

Eine ganz neue Technologie verfolgt der Biotech-Branchenliebling Moderna. Es handelt sich um Wirkstoffe auf der Basis von mRNA, der Zwischenstufe bei der Übersetzung der Erbinformation DNA in Eiweißmoleküle. Moderna nutzt diese Technologie für einige Impfstoffkandidaten, unter anderem gegen Grippe, gegen die für Babys gefährliche Atemwegsinfektion RSV und gegen Windpocken/Gürtelrose. Alle sind noch in einer sehr frühen Entwicklungsphase. Das gilt auch für insgesamt drei therapeutische Vakzine, mit denen einmal Krebs behandelt werden soll.

Investor-Info

Merck & Co.
Erste Wahl bei Pharma


Unter den Marktführern im Impfstoffbusiness ist die amerikanische Merck aktuell der attraktivste Titel für Anleger. Das liegt auch am steigenden Umsatz mit dem HPV-Impfstoff Gardasil, vor allem jedoch am Geschäft mit Krebsmedikamenten wie der Immuntherapie Keytruda. Nach zweistelligem Umsatz- und Gewinnwachstum im ersten Quartal hob Merck vor wenigen Tagen die Prognose für 2019 an.

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Impfstoff-Spezialisten
Attraktive Nischenplayer


CSL ist in seinen beiden Geschäftszweigen Plasmaprodukte und Impfstoffe extrem stark. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 29,9 für 2020 ist die Aktie aber auch teuer. Emergent Biosolutions spezialisiert sich erfolgreich auf das Geschäft mit Regierungsbehörden. Biondvax sind eine hoch riskante Wette auf den ersten Universal-Grippeimpfstoff. Aktien von Emergent Biosolutions und Biondvax sollten nur über US-Börsen geordert werden.

Name ISIN Marktkap.

Biondvax (ADS) US09073Q1058 47 Mio. €

CSL AU000000CSL8 57 Mrd. €

Emergent Biosol. US29089Q1058 2,4 Mrd. €

Quelle: Onvista, Bloomberg

Moderna
Liebling der Biotechszene


Ohne ein einziges Produkt in der fortgeschrittenen Entwicklung legten die Amerikaner im Dezember den bisher größten Biotechbörsengang der Nasdaq aufs Parkett. Anders als bei vielen anderen Biotechaktien ist der Kurs seit dem IPO gestiegen. Die Euphorie ist groß, das Unternehmen schwimmt in 1,7 Milliarden Dollar Cash und hat aktuell zwölf Produkte, die an Menschen erprobt werden. Die Technologie ist neu und in der Theorie überzeugend, aber mangels fortgeschrittener klinischer Daten ist die Aktie sehr riskant.

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