Börse Online: Auch in Hessen haben nun die Ferien begonnen - ist der Ansturm am Flughafen Frankfurt weiterhin so enorm hoch?

Stefan Schulter: Bei uns in Frankfurt hat das Passagieraufkommen seit Jahresanfang bereits um 135 Prozent zugelegt. Der Betrieb am ersten großen Ferienwochenende lief stabil und geordnet. Die gemeinsam mit unseren Partnern getroffenen Maßnahmen wirkten: Wie zum Ferienbeginn erwartet herrschte in den Terminals Hochbetrieb, aber es gab keine ausufernden Wartezeiten. Zu Spitzenzeiten entstanden, wie immer zu Beginn der Sommerferien, kurzzeitige Warteschlangen an Stellen wie Check-in und Sicherheitskontrolle, die konnten jedoch zügig abgebaut werden. Allein von Freitag bis Sonntag haben wir über eine halbe Million Fluggäste in Frankfurt begrüßt. Das sind etwa 75 Prozent des Vorkrisenniveaus.

Wo liegen die Ursachen für die Probleme?

Der Luftverkehr ist weltweit wahnsinnig vernetzt. Die gesamte Branche hat unterschätzt, wie groß das Nachholbedürfnis der Menschen ist, wieder zu reisen. Wir wussten, dass es ein starkes Jahr wird. Aber jede Prognose wurde deutlich überholt, und es fliegen viel mehr Menschen als erwartet. Dafür haben die Flughäfen und Airlines zu wenig Personal auf allen Ebenen. Hinzu kommt: Anders als vor Corona erleben wir derzeit extreme Tagesspitzen und der touristische Anteil ist wesentlich höher. Deshalb bleiben wir operativ massiv gefordert.

Wie hätte man es besser machen können?

Wir haben bereits im Spätsommer letzten Jahres wieder Personal für unseren operativen Betrieb gesucht und eingestellt. Da hätten wir noch früher beginnen müssen. Was häufig aus dem Blick gerät: Die Luftverkehrsbranche war unter den am ersten, stärksten und längsten von der Coronapandemie Getroffenen. In unseren Knochen stecken zweieinhalb Jahre Dauerkrise! Nahezu alle Marktteilnehmer mussten sich massiv verschulden, um die Krise durchzustehen. Einzelne sind sogar nur knapp einer Insolvenz entkommen. Nur zur Erinnerung: In den ersten Monaten der Pandemie verzeichneten wir gerade mal fünf bis 20 Prozent des Verkehrsaufkommens. Im ersten Pandemiejahr schrieben wir einen Verlust von fast 700 Millionen Euro. Das zeigt, wie prekär die Lage damals war.

Laut Medienberichten wurden Dienstleistungen kostengünstig ausgelagert - trifft das zu und rächt sich das jetzt?

Der Personalaufbau wäre nicht das große Problem, wenn der Arbeitsmarkt nicht so leergefegt wäre, wie es aktuell ist. Wir haben in Deutschland nicht mehr nur einen Fachkräftemangel, sondern einen Arbeitskräftemangel! Der Personalabbau über Abfindungen und Altersteilzeit erfolgte bei Fraport hauptsächlich in den administrativen Bereichen; auch das hat uns geschmerzt, ist aber heute nicht unsere vordringliche Herausforderung. Uns fehlen die Menschen in den Bodenverkehrsdiensten, bei den Sicherheitsdienstleistern, im Bodenpersonal bei den Airlines. Es sind die Bereiche, in denen bis zur Pandemie die monatlichen Nettogehälter durch Schichtzulagen deutlich erhöht wurden. Der Wegfall an Arbeit hat auch diese Zulagen wegfallen lassen. Viele haben sich dann andere Jobs gesucht.

Und wo sind die Leute alle hin?

Seit Spätsommer letzten Jahres stellen wir im operativen Bereich wieder ein. Allein in den ersten sechs Monaten in diesem Jahr haben wir fast 1000 neue operative Kräfte eingestellt. Leider ging dies nicht so schnell, wie wir uns das gewünscht haben, da der Arbeitsmarkt auch bei Facharbeitern ziemlich leer ist - nicht nur in Deutschland. Wir akquirieren deshalb auch in osteuropäischen Märkten und Spanien. Auch dort wird es bereits eng. Wir werden uns außereuropäischen Märkten öffnen müssen. Wir brauchen eine Zuwanderungskultur und eine dazu passende gesetzliche Regelung, die weit über die personellen Engpässe derzeit hinausdenkt.

Dann kann man sie mit attraktiven Angeboten wieder zurückholen?

Genau. Daher haben wir auch den Tariflohn um 14 Prozent für unsere Fraground-Beschäftigten erhöht. Neuen Beschäftigten bieten wir dort auch eine Antrittsprämie von 1200 bis 1700 Euro. Das tun wir, um mögliche Wartezeiten bei der behördlichen Sicherheitsüberprüfung zu überbrücken, sodass keine finanziellen Ausfälle entstehen.

Schaffen Sie es, den Service für die Reisenden in diesem Sommer wiederherzustellen, oder müssen die weiter Chaos fürchten?

Der Sommer wird schwierig bleiben. Alle unsere Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, das System zu stabilisieren, extreme Engpässe zu vermeiden und zu einer besseren Pünktlichkeit zu kommen. Wir werden weiter einstellen. Richtig greifen werden diese Effekte aber erst ab Herbst, da Schulungen und Qualifizierungen Zeit brauchen.

Wie sehen die Perspektiven für Fraport aus?

Von der Energiekrise und den daraus folgenden Preissteigerungen sind wir ebenso betroffen wie andere Branchen auch. Allerdings sind wir mit unserer Energieversorgung in Frankfurt weniger von Gas abhängig. Mit Blick auf den Flugbetrieb treffen uns viel stärker die Restriktionen im Luftraum in Osteuropa durch den Krieg und in Frankreich, wo es derzeit in der Flugsicherung neue Softwareeinspielungen gibt. Jedes Sonderereignis lässt das ohnehin derzeit fragile Gesamtsystem wanken und löst neue Verspätungen aus. Dazu zählen auch Schlechtwetterereignisse oder mögliche technische Ausfälle. Oder Streiks wie aktuell wieder beim Bodenpersonal von Lufthansa

... und aus dem Blick der Anleger?

Wir haben die schwerste und längste Krise der zivilen Luftfahrt aus eigener Kraft bewältigt. In den zurückliegenden zwei Krisenjahren haben wir Fraport im administrativen Bereich deutlich schlanker und als Gesamtunternehmen wesentlich flexibler aufgestellt. Zudem sind wir dank unseres Auslandsgeschäfts sehr breit auf verschiedenen Märkten diversifiziert. Zusätzlich bringen wir wichtige Zukunftsthemen voran. Beispiel Klimaschutz: Wir werden spätestens bis 2045 CO2-frei sein - und das im Gesamtkonzern. Beispiel Wachstum in Frankfurt: Mit dem neuen Terminal 3 bringen wir ab 2026 zusätzliche Kapazität für 19 Millionen Fluggäste pro Jahr an den Markt. Damit werden wir auch am zukünftigen Wachstum in der Luftverkehrsbranche partizipieren können. All das zeigt, wie gut wir im Markt stehen und wie attraktiv die Fraport AG aufgestellt ist.