Die wichtigste Nebensache der Welt war in Italien in der vergangenen Woche eindeutig die Hauptsache. Die frisch gekürten Fußball-Europameister wurden in Rom - nach einer viel kritisierten Fahrt im offenen Bus, flankiert von vielen Tausenden Fans - von Staatspräsident Sergio Mattarella und Ministerpräsident Mario Draghi empfangen. Höchste Ehren also für die erfolgreichen Kicker.

Der Sieg in London gegen England ist Balsam auf die Wunden Italiens, hatte man europaweit doch besonders mit den Folgen der Lockdowns zu tun - ein Regierungswechsel inklusive. Erst seit Februar ist nun Mario Draghi, der einstige Chef der Europäischen Zentralbank, im Amt; verbunden mit vielen Hoffnungen. Wunder sollte man indes nach den ersten fünf Monaten nicht erwarten. Der Staatshaushalt Italiens ist nach wie vor schief: Die Schulden steigen, und die Einnahmen reichen nicht aus, um die laufenden Ausgaben zu finanzieren.

Beifall für den neuen Premier

Aber Draghi hat einen Plan: Mehr Wachstum, mehr Investitionen - so will er dem Abwärtstrend entkommen, in dem die drittgrößte Volkswirtschaft der Euroregion seit Jahrzehnten steckt. Seine bisherigen Prioritäten: Er organisierte die Impfkampagne neu und ließ den von Brüssel bemängelten milliardenschweren Wiederaufbauplan revidieren, an dem die Vorgängerregierung noch gescheitert war. Dafür gab es Applaus im In- und Ausland. Bis Jahresende will er nun weitere Reformen anpacken. Es ist auch höchste Zeit dafür. Im vergangenen Jahr lag die Staatsverschuldung bei 156 Prozent der Wirtschaftsleistung, in der EU steht nur Griechenland schlechter da.

Allein in diesem Jahr wird das Defizit bei 11,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. 2022 plant man mit 5,9 Prozent, was immer noch doppelt so hoch ist, wie es die Maastricht-Kriterien der EU eigentlich erlauben. Helfen sollen jetzt viele Milliarden Euro aus dem europäischen Wiederaufbaufonds. Italien erhält dabei so viel Geld wie kein anderer Staat: 205 Milliarden Euro, wovon ein Drittel nicht zurückgezahlt werden muss.

Mit dem Geld soll Italien "digitaler und grüner" werden. Es soll Reformen geben, in der Justiz, der Verwaltung sowie im Steuersystem. Und jeder Italiener soll davon profitieren. Vor allem von neuen Arbeitsplätzen, denn die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 34 Prozent, nur in Spanien und Griechenland ist es schlimmer. 2020 verlor das Land insgesamt fast eine Million Arbeitsplätze. Betroffen sind neben jungen Menschen vor allem Frauen, die oft in Branchen arbeiten, die besonders von der Krise betroffen waren: Gastronomie, Tourismus, Hotellerie. Kurzfristige Abhilfe soll ein Kündigungsstopp bewirken, der für viele Branchen unlängst auf Oktober ausgeweitet worden ist.

Mehr Aufträge im laufenden Jahr

Positiv ist, dass es für immer mehr Italiener kaum mehr Corona-Einschränkungen gibt, die Regionen haben zurück in die Normalität gefunden. Passend dazu bessert sich die Auftragslage in der Industrie: So stieg der Geschäftsklimaindex schon den siebten Monat in Folge. Und beim verarbeitenden Gewerbe ist der Wert so hoch wie seit 2018 nicht mehr. Bessere Wachstumsdaten sind daher vorprogrammiert: Nach dem Minus von neun Prozent im vergangenen Jahr plant Rom in diesem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 4,2 bis 4,5 Prozent und 4,8 Prozent für 2022.

Das sollte auch der Börse Auftrieb verleihen. Beispielsweise bei Amplifon, einem der größten Hörgerätehersteller weltweit. Weil das Unternehmen in puncto Service, Qualität und Tragekomfort der Produkte punkten kann und gleichzeitig eine hohe Frauenquote im Unternehmen gepflegt wird, kommt Amplifon auch bei Managern von Nachhaltigkeitsfonds gut an. Laut den Analysten von Sustainalytics zählt Amplifon zu den zehn nachhaltigsten Unternehmen in der Gesundheitsindustrie weltweit. Zwar nahm der Nettogewinn 2020 wegen des Corona-Lockdowns im Vergleich zu 2019 ab. Doch das schmälert weder die guten Aussichten noch die Solidität der Firma. Die Behandlung von Hörbeeinträchtigungen bleibt ein wichtiger und durch die weltweit steigende Lebenserwartung wohl auch wachsender Gesundheitsmarkt.

Spannend bleibt auch Nexi. Das seit 2019 börsennotierte Unternehmen ist zusammen mit Worldline aus Frankreich größter Zahlungsabwickler in Europa. Nexi ist im bislang noch stark fragmentierten Markt auf Wachstumskurs: Im März wurde die Ende 2020 verkündete Übernahme des skandinavischen Wettbewerbers Nets A/S kartellrechtlich genehmigt. Damit hat man Zugang zu Märkten im deutschsprachigen Raum und in Nordeuropa. Zuvor hatte man schon mit dem heimischen Konkurrenten SIA fusioniert. Negative Effekte der Corona-Pandemie hat Nexi gut weggesteckt. Gelingt die Integration der neuen Übernahmen, sollte Nexi bald durchstarten. Branchenexperten erwarten, dass sich die 160 Millionen Euro Gewinn des Vorjahres bis 2024 mehr als verdoppeln werden.

 


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Italien