Die Frage nach der Jahresendrally stellt sich Investoren in der Regel bereits im September. Meist kommt es jedoch anders als man denkt. Die nackten Zahlen zeigen aber, dass die Erwartung einer Jahresendrally durchaus nachzuvollziehen ist: In rund vier Fünftel der Fälle lieferte das letzte Quartal zwischen 1988 und 2018 eine positive Rendite. 1999 waren es gar mehr als 30 Prozent. Trotzdem kommt es entscheidend auf die Dynamik an den Märkten an, ob Kurssteigerungen auch als Rally wahrgenommen werden. Mit der Wahl Joe Bidens als neuen US-Präsidenten und der guten Nachrichten rund um mögliche Corona-Impfstoffe atmete der Markt auf: Die Gefahr einer neuerlichen Eskalation im Konflikt zwischen den USA und China und auch eine Verlängerung der Pandemie über das Jahr 2021 hinaus sind damit mit großer Wahrscheinlichkeit vom Tisch. Doch wie groß ist das Potenzial bis Jahresende tatsächlich?

Der Mittelstand als potenzieller Stimmungs-Killer


Auch wenn die Konjunkturdaten zuletzt weitgehend positiv ausfielen, so dürfte die zweite Pandemie-Welle doch viele Unternehmen in der Realwirtschaft treffen. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen stehen teils mit dem Rücken zur Wand und werden nur noch von Staatshilfen oder ausgesetzten Regelungen des Insolvenzrechts am Leben gehalten. Zwar können börsennotierte Unternehmen diese Situation besser meistern, doch könnten Pleiten im Mittelstand sowie damit verbundene Verluste von Arbeitsplätzen und Kaufkraft schon mittelfristig auf die Stimmung drücken. Auch wird bei aller Impf-Euphorie vielen Marktteilnehmern schon bald bewusst werden, dass es sich durchaus noch ein wenig ziehen kann, bis uns der Alltag von Anfang 2020 wieder hat.

Die Märkte sortieren sich neu und wecken Potenziale


Hinzu kommt, dass Themen wie der Brexit oder auch die Spannungen zwischen den USA und China noch lange nicht vom Tisch sind. Zwar dürften bei Verhandlungsrunden der beiden Supermächte künftig zwei rationale Akteure am Tisch sitzen, was zu begrüßen ist, doch ist auch Joe Biden nicht angetreten, um im Handelskonflikt Geschenke zu verteilen. Hinzu kommt der innenpolitische Druck - immerhin hat rund die Hälfte der Bevölkerung Trumps "America-First-Politik" gewählt. Statt einer Kehrwende hin zum Guten dürfte die Normalisierung zwischen beiden Großmächten in kleinen Schritten vonstattengehen - Rückschläge nicht ausgeschlossen.

Was heißt das nun mit Blick auf die verbleibenden Handelswochen des Jahres? Nach der US-Wahl sortieren sich die Märkte neu. In vielen Bereichen macht sich Erleichterung breit: Kleinere und mittlere Unternehmen erhalten im Zuge der positiven Nachrichten rund um Impfungen Zuspruch und auch die klassische Industrie atmet angesichts der klareren Perspektive auf. Der neue US-Präsident Joe Biden beflügelt zudem Unternehmen rund um die Bereiche regenerative Energie und "grüne" Infrastruktur. Zugleich kommen die Kurs-Garanten der vergangenen Jahre, also die großen Tech-Werte, wieder in die Spur.

Das von Noch-US-Präsident Donald Trump blockierte Konjunkturpaket dürfte der Wirtschaft und damit einhergehend auch der Börse einen zusätzlichen Schub verleihen. Wann das Paket auf den Weg gebracht und welchen Umfang es aufweisen wird, ist aktuell zwar noch ungewiss. Doch: Dass Joe Biden bemüht sein wird, es möglichst schnell umzusetzen, ist gewiss.

Nach Realitäts-Check sind die Notenbanken gefragt


Es spricht vieles dafür, dass diese Gemengelage dafür sorgen wird, dass auch in diesem Jahr das letzte Quartal für Kursgewinne steht. Selbst ins neue Jahr hinein könnte der Schwung anhalten. Schon bald aber dürften die Märkte einen Realitäts-Check machen. Nur wenn Unternehmensgewinne höhere Bewertungen rechtfertigen und auch die nicht-börsennotierte Wirtschaft gut durch die Krise kommt, entsteht neues Kurspotenzial. Es ist gut möglich, dass die nötigen Impulse für nachhaltige Kurssteigerungen ins Jahr 2021 hinein wie so oft von Regierungen und Notenbanken kommen.

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