Man kann es getrost eine Erholung für die Geschichtsbücher nennen. Seit fünf Wochen steigen die Märkte – angeführt von Technologie- und vor allem KI-Aktien. Anleger, die die Monsterrallye verpasst haben, befinden sich in einer kniffligen Situation.

Die Börse ist und bleibt für viele Anleger ein Mysterium. "An der Börse ist alles möglich – auch das Gegenteil“, wusste Anlegerlegende André Kostolany bereits im 20. Jahrhundert zu berichten. Das Börsenbonmot hat an Aktualität nichts eingebüßt, wie gerade die jüngere Entwicklung an den Kapitalmärkten beweist: Wer hätte schon zu Beginn der Trump-Präsidentschaft mit einem derart massiven Ausverkauf und in der Folge mit so einer erstaunlichen, fast V-förmigen Erholung gerechnet?

Im Zentrum der Kursbewegungen steht wieder einmal jener Sektor, der ganz maßgeblich die Rallye an den Weltbörsen seit Anfang 2023 ausgelöst hat: die Künstliche Intelligenz (KI), befeuert durch den Siegeszug von ChatGPT und anderen Modellen der GenKI. Nicht nur die Aktien der „Magnificent Seven“-Konzerne haben massiv profitiert, sondern insbesondere AI-Unternehmen aus der zweiten Reihe wie Palantir. Mehr als tausend Prozent waren für Nvidia, Palantir oder Chip-Hersteller wie Super Micro Computer drin, ehe der Trend abzubrechen schien.

Trump-Turbulenzen trafen KI-Aktien zunächst hart

Das war Ende Februar mit dem Einsetzen des immer neuen Zoll-Dramas der Trump-Administration der Fall. Exorbitante Zölle rund um die Welt würden schließlich eine Rezession wahrscheinlich werden lassen und den Welthandel empfindlich abwürgen.

„Die Zölle besitzen das Potenzial, die US-Tech-Welt unserer Meinung nach um ein Jahrzehnt zurückzuwerfen, während China als klarer Gewinner hervorginge“, schlug Dan Ives, der wohl meist beachtete Techanalyst der Wall Street, Anfang des Jahres auf dem Höhepunkt der Zoll-Eskalation Alarm.

„Wenn US-Technologieunternehmen mit dieser Realität konfrontiert werden, wird sich die Technologielandschaft in den nächsten Jahrzehnten dramatisch verändern. Die Kostenstruktur der US-Tech-Welt würde es unmöglich machen, mit China zu konkurrieren – und dies wäre ein Lotterielos für die chinesische Technologielandschaft“, zeichnete Ives in einer viel beachteten Research-Note ein düsteres Bild.

Seit vergangenem Wochenende ist klar: Das Worstcase-Szenario für die Technologiebranche ist abgewendet worden. US-Präsident Trump kassierte die utopisch hohen Zölle auf China wieder ein und reduzierte sie für 90 Tage auf ein Niveau von 30 Prozent für Importe aus China, während US-Waren im Reich der Mitte bis August mit 10 Prozent Einfuhrzoll belegt werden.

Zoll-Entspannung mit China und Saudi-Investment befeuern KI-Hausse erneut

Damit ist nach Einschätzung von Dan Ives die beste aller Welten mehr oder weniger zurück. Eine Rezession wäre nun „vermutlich vom Tisch“. Und mehr noch: Zwei Tage später überraschte Trump bei seinem Staatsbesuch in Saudi-Arabjen mit einem 600-Milliarden-Dollar-Investment – u.a. in KI- und Cloud-Architektur. Der „AI-Trade“, der zu Jahresbeginn kurzzeitig durch den „DeepSeek“-Schock und der Frage nach dem Technologievorsprung des Silicon Valleys einen Dämpfer erhalten hatte, fand damit seine unmittelbare Bestätigung in Dollar und Cent.

„Gestern war ein bullisches Aha-Erlebnis für Anleger in US-Tech-Aktien, denn es wird immer deutlicher: Die KI-Revolution hat ihr nächstes großes Einsatzgebiet gefunden – Saudi-Arabien“, twitterte Ives am Dienstag. Der Staranalyst von Wedbush sagt nunmehr wieder neue Höchstkurse voraus – vor allem bei Techwerten.

Eine Liste der dreißig mutmaßlichen Profiteure hatte Wedbush Securities zu Wochenbeginn vorgelegt – darunter die Mag 7-Werte und 23 weitere Tech-Unternehmen wie Micron, AMD, Broadcom oder TSCM.

KI-Werte sind heiß gelaufen – Rücksetzer einkalkulieren

Aber was machen Anleger, die Palantir vor fünf Wochen noch für 70 Dollar hätten kaufen können – und nun bei schon wieder neuen Allzeithochs plötzlich 130 Dollar bezahlen müssten? Oder an Nvidia interessierte Anleger, die seit den 1-Jahrestiefs im April eine 57-prozentige Rallye verpasst haben?

Einer ausgelassenen Chance nachzulaufen, ist selten ein guter Ratgeber. Viele Tech- und vor allem KI-Werte haben nach der V-förmigen Erholung der vergangenen Tage und Wochen einen „überkauften“ Status erreicht. Eine zumindest kleinere Korrektur erscheint kurzfristig nicht unwahrscheinlich. Entsprechend gilt auch bei den heiß gelaufenen KI-Aktien das bekannte Bonmot der Börsenaltmeisters André Kostolany: "Einer Straßenbahn und einer Aktie darf man nie nachlaufen. Nur Geduld: Die nächste kommt mit Sicherheit."

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