Unsicherheit ist das, was Börsianer am meisten hassen. Das ist die einfache Erklärung, warum es an den Aktienmärkten Verluste hagelt. Für Unruhe sorgt die Angst vor Covid-19, die durch das Coronavirus ausgelöste Lungenkrankheit.

Investoren sind verunsichert, weil völlig unklar ist, wie es mit dieser Krankheit weitergeht. Seitdem sich das Virus in immer mehr Ländern ausbreitet, spekulieren Marktakteure über die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die Unternehmensgewinne. Weil der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind, verwundern die Kursverluste wenig. Allerdings ist der Einbruch auf den ersten Blick heftig ausgefallen: Verluste im zweistelligen Prozentbereich in nur sechs Handelstagen bei den führenden Aktienindizes in den USA und Europa. Ebenso nicht verwunderlich ist, dass als sicher geltende Anlageklassen wie Staatsanleihen gefragt sind.

Noch am 19. Februar markierten die Indizes Stoxx Europe 600 und S & P 500 neue Bestmarken, bevor beide Barometer abrupt in den Rückwärtsgang schalteten. Steil nach oben ging es gleichzeitig mit dem Volatilitätsindex, der die Schwankungen am Markt und damit die Emotionen der Marktteilnehmer misst. Der Anstieg war ähnlich rapide wie der der weltweiten Neuinfektionen mit dem Coronavirus.

Zahl der Neuinfizierten steigt

Offensichtlich ist, dass die Zahl der Infizierten das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen diktiert. Weil sich hier weltweit noch keine Trendwende nach unten eingestellt hat, werden Volkswirte neuerdings deutlich vorsichtiger. "Die Verbreitung und die wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 sind schwerwiegender, als wir vor einigen Wochen angenommen haben", schreibt etwa die Schweizer Investmentbank Credit Suisse. Als Folge davon hat man die globale BIP-Wachstumsprognose für 2020, die zu Jahresbeginn noch 2,6 Prozent betrug, auf 2,2 Prozent nach unten revidiert. Für die Eurozone hat die Schweizer Großbank ihre Schätzung von plus 0,9 auf plus 0,5 Prozent angepasst. Mit Blick auf China, das fast 20 Prozent der Weltwirtschaft ausmacht, rechnen die Volkswirte von Capital Economics für das erste Quartal erstmals seit den 1990er-Jahren mit einem im Jahresvergleich um zwei Prozent schrumpfenden Bruttoinlandsprodukt.

Das klingt wenig ermutigend, doch es könnte sogar noch deutlich schlimmer kommen - für den Fall, dass das Coronavirus im Jahresverlauf nicht an Wucht verliert. Abwärtspotenzial gibt es auf jeden Fall bei den bisher kaum an das neue Umfeld angepassten Gewinnprognosen. Drastischer wären die unvermeidlichen Anpassungen im Fall einer schweren Pandemie (eine Länder und Kontinente übergreifende Ausbreitung), denn dann wären die wirtschaftlichen Folgen gravierend, wie die DZ Bank erklärt: "Die Weltwirtschaft würde an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen: dem eng vernetzten internationalen Handel und der komplexen, arbeitsteiligen globalen Industrie. Es käme zu Kettenreaktionen. Der Welthandel würde aus unserer Sicht so stark einknicken wie seit der Finanzkrise 2008/09 nicht mehr."

Asien und Europa trifft es besonders

Bezüglich der regionalen Folgen sprechen die Volkswirte der DZ Bank davon, dass exportabhängige und eng in die internationalen Lieferketten eingebundene Volkswirtschaften die größten wirtschaftlichen Verluste verbuchen dürften. Hierzu zählen die südostasiatischen Länder, aber auch die EU-Staaten Deutschland und die Niederlande sowie einige osteuropäische Länder, die etwa Vorprodukte herstellen oder als verlängerte Werkbank gelten. Rohstoffexporteure und Länder mit hoher Bedeutung des Tourismussektors gehören dann ebenfalls zu den Hauptverlierern. Mit am widerstandsfähigsten dürfte sich dagegen dank ihrer relativ geringen Handelsabhängigkeit die Wirtschaft der USA erweisen.

Auf Branchenebene belastet die hohe Unsicherheit aus Sicht der Bayerischen Landesbank insbesondere Handel, Tourismus und Gastgewerbe. Fluggesellschaften, Kasino- und Kreuzfahrtbetreiber zählen zu den größten Kursverlierern. Zudem dürfte die Industrie eine sinkende Nachfrage verzeichnen und es droht mit fortschreitender Dauer der Epidemie ein Zusammenbruch der Wertschöpfungsketten. Die Landesbank Baden-Württemberg sieht wegen deren China-Abhängigkeit Autos, Technologie und Konsum stark betroffen. Als widerstandsfähig könnten sich Pharma- und Biotech-Werte erweisen, wenn die Produkte nicht in China gefertigt werden.

Für Anleger stellt sich nun die Frage, wie sie sich in diesem Umfeld positionieren sollen. Es ist wie der Blick in die Kristallkugel. Auch wenn der Ausgang ungewiss ist, sind die äußeren Grenzen doch relativ klar abgesteckt. An einem Ende stehen alle die, die sagen, es werde nicht so schlimm kommen. Dass die Chinesen dank staatlicher Hilfe die Kurve kriegen. Das vehemente Eingreifen anderer Staaten nach Ausbruch des Virus sorge dafür, dass die Ausbreitung langsamer verläuft und relativ schnell gestoppt werden kann. In diesem Fall wären die tiefen Kurse nach dem Einbruch gute Kaufgelegenheiten.

Im pessimistischen Szenario wird das hoch verschuldete China komplett eingebremst, das Virus breitet sich weltweit mit hohen Ansteckungsraten aus. Dann ist eine Rezession mit allen ihren bekannten Folgen unvermeidlich. Es wird Pleiten bei vielen Unternehmen geben. Dank der hohen Verschuldung im System wird auch das Finanzsystem auf eine harte Probe gestellt werden. Weil viel Kapital auch in Indexprodukten investiert ist, kann der Abschwung an den Börsen tatsächlich tiefer gehen als aktuell für möglich gehalten wird. Wie tief Indizes in einem Schwarzer-Schwan-Szenario fallen können, hat sich etwa 2008/09 gezeigt. Der S & P 500 verlor von der Spitze 2007 bis zum Tief 50 Prozent, beim DAX waren die Verluste sogar noch höher.

Wie Anleger reagieren können

Jeder Anleger muss für sich selbst entscheiden, welches Szenario er für wahrscheinlich hält, und sich entsprechend positionieren. Klar ist aber, dass im schlimmsten Fall sehr viel höhere Verluste möglich sind als Gewinne im optimistischen Umfeld. Im Prinzip gibt es also zwei Möglichkeiten: Verkaufen oder die Krise aussitzen.

Wer sein Portfolio unverändert lässt, trägt das Risiko hoher Buchverluste, wenn es wirklich zu einem Crash kommen sollte. Eine Absicherung über einen Put-Optionsschein könnte hier aber sinnvoll sein. Als Basiswert dürfte der DAX geeignet sein, weil Deutschlands Exportwerte in einem Krisenfall wohl mit zu den volatilsten Anlagen zählen dürften. Natürlich würden auch Anleger, die etwa einen Sparplan auf Aktien haben, den nicht beenden. Tiefere Kurse bieten hier langfristig sogar Gewinnpotenzial, auch wenn sich die Notierungen erst nach Jahren erholen.

Wer jedoch weniger optimistisch ist und Handlungspotenzial für sich ausgemacht hat, wird überlegen, wie er das Risiko reduzieren kann. Der einfachste Weg ist, die Cash-Quote zu erhöhen. Wer in absehbarer Zeit das Geld, das im Depot etwa in Aktien oder Fonds gebunden ist, für andere Dinge benötigt, sollte nicht auf eine Erholung der Kurse spekulieren und steigt im aktuellen Umfeld komplett aus. Für alle, die langfristig investiert bleiben möchten, könnte je nach Risikobereitschaft eine Cash-Quote von 20 bis 50 Prozent ein sinnvoller Wert sein. Dabei reduziert eine höhere Cash-Quote das Risiko von Buchverlusten bei Aktieninvestments.

Risikopapiere verkaufen

Natürlich stellt sich die Frage, was verkauft werden soll. Ganz oben auf der Liste sollten Anlagen stehen, die in sich schon hohe strukturelle Risiken tragen. Es ist etwa im Moment nicht der richtige Zeitpunkt, um auf die hohen Zinsen in der Türkei oder Südafrika zu setzen. Auch Anleihen von Firmen mit hoher Verschuldung sollten reduziert werden. Dazu zählen Nachrangpapiere, aber vor allem auch Fonds auf Anleihen mit niedrigerem Rating. Hier decken die Chancen schon seit einiger Zeit die Risiken nicht ab, die etwa durch Firmenpleiten entstehen können. Klar ist, dass sich die Spreads von Staatsanleihen ausweiten werden, was bei Firmenbonds Wertverluste bringt.

Wenn man durch den Verkauf von Aktien die Cash-Quote erhöhen will, hat es sich in der Vergangenheit als sinnvoll erwiesen, dass vor allem die Werte verkauft werden, bei denen man bei tieferen Kurse nicht aufstocken würde. Dann besteht das Depot nach dem Reinemachen nur noch aus Werten, von denen man überzeugt ist.

Allerdings gibt es im Vergleich zu früheren Crash-Szenarien einen großen Unterschied: tiefe Zinsen. 2003 oder 2008 konnten Anleger ihre Aktien verkaufen und das Geld für ein paar Prozent Zinsen auf Festgeldkonten parken. Hatte sich die Situation stabilisiert, wurde wieder umgeschichtet. Heute hingegen muss man bereit sein, vielleicht sogar Strafzinsen zu zahlen. Das ist aber immer noch besser als 30 bis 50 Prozent Kursverluste tragen zu müssen. jürgen büttner/Jörg lang

 


Depot-Checkliste Corona-Crash

Cash-Quote erhöhen: Wer den Bargeldanteil erhöhen will, kommt an unbequemen Schritten nicht vorbei. Studien zum Anlegerverhalten zeigen: Der Verkauf einzelner Fonds, Anleihen, Aktien oder Zertifikate wird gern aufgeschoben, vor allem, wenn auch noch Verluste aufgelaufen sind. Eher wird versucht, die Gewinner zu verkaufen, um mit den Verlierern in die Gewinnzone zu kommen. In den meisten Fällen gelingt das nicht.

Depotleichen entfernen: Relativ leicht ist es, sich von Depotleichen zu trennen. Im Lauf der Jahre sammeln sich in vielen Depots Restwerte an, deren Verkauf man aufgeschoben hat. Nutzen Sie das aktuelle Umfeld, um sich von den Altlasten zu befreien. Oft ist das Potenzial dieser Werte begrenzt.

Kernwerte festlegen: Jeder Anleger hat Aktien, von denen er sich langfristig aus den unterschiedlichsten Gründen Kursgewinne verspricht oder stabile sicherere Einnahmen über Dividenden. Dieser Kern eines Depots sollte eher nicht angetastet werden.

Depot durchleuchten: Gehen Sie jede Position des restlichen Depots kritisch durch und überlegen Sie, wie der Wert von einer Ausweitung der Krankheit betroffen sein könnte, wie sich die Gewinne entwickeln, ob Dividenden gefährdet sind oder die Bilanz Schwächen aufweist.

Nachkauf-Test: Würde man bei den nach diesem Depot-Test ermittelten Wackelkandidaten auch bei tieferen Kursen nicht nachkaufen, sind das glasklare Verkaufskandidaten.

 


Auf einen Blick: Fakten und Zahlen

Das Virus hinterlässt Spuren. Gerade europäische Länder sind betroffen - wegen der Exportlastigkeit - und von den Branchen vor allem Automobil, Bekleidung und Technologie.