Russlands Einmarsch in die Ukraine war ein Weckruf für Fondsmanager, die Engagements in autokratisch regierten Ländern haben. Besonders alarmiert sind dabei ESG-Fonds, für die die Kriterien Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Corporate Governance) eine wichtige Rolle spielen.

Die Anbieter großer Indizes haben Russland aus ihren Benchmarks für Schwellenländer entfernt; viele Vermögensverwalter haben den Kauf russischer Vermögenswerte eingestellt. Aktuell werden diese Entscheidungen noch von den Marktbedingungen bestimmt. Denn die Moskauer Börse war gut vier Wochen lang geschlossen, und viele im Ausland notierte russische Unternehmen haben den Handel ebenfalls ausgesetzt, nachdem sie fast völlig in den Ruin getrieben wurden. Der russische Markt ist im Grunde nicht mehr attraktiv.

Moralischer Ausschluss

Sobald der Markt aber wieder öffnet und sich die Aktienkurse langsam wieder erholen, müssen sich die Anleger eine entscheidende Frage stellen: Kann man jetzt wieder ins Geschäft einsteigen und auf Schnäppchenjagd gehen? Oder sollte man Russland aus moralischen Gründen aus seinem Portfolio verbannen?

Die Finanzbranche ist bei Investitionen in Märkte, die unter autokratischen Regimen stehen, zwar traditionell eher zurückhaltend. Doch sie verfolgt oft auch einen pragmatischen Ansatz und konzentriert sich eher auf die Sicherung von Vermögenswerten als darauf, die moralischen Auswirkungen der Handlungen eines Landes zu bewerten.

Dank Russland könnte sich das nun ändern. Viele amerikanische Unternehmen, darunter McDonald’s und Coca-Cola, haben ihre Geschäftstätigkeit in Russland bereits eingestellt. Und viele Pensions- und Staatsfonds frieren ihre russischen Beteiligungen ein oder veräußern diese.

"Es ist ziemlich erstaunlich, wie viele (Unternehmen und Institutionen) solche Maßnahmen ergreifen, ohne dass sie von Regierungen oder Verbrauchern groß dazu aufgefordert werden", sagt Jon Hale, US-Direktor für Nachhaltigkeitsforschung bei Sustainalytics.

Comeback Russlands zweifelhaft

Doch moralische und ethische Gesichtspunkte sind vielleicht nicht die einzigen Gründe, die für eine Distanzierung von Russland sprechen. Viele Vermögensverwalter sitzen nun auf nahezu wertlosen Beteiligungen. "Die aktuelle Situation sollte uns eine Warnung sein, dass diese autokratischen Regime durchaus mit Risiken verbunden sind", so Hale.

Er bezweifelt, dass Russland jemals wieder das Niveau von vor der Invasion erreichen wird, was Investitionen und geschäftliche Tätigkeiten im Ausland betrifft. "Ich denke nicht, dass die Anleger und Unternehmen wieder nach Russland zurückkehren werden", meint er. "Die Unternehmen handeln heute verantwortungsvoller, und den Anlegern ist viel bewusster, welche Auswirkungen ihr Geld auf das Gesamtsystem hat."

Das Engagement der meisten ESG-Fonds in russischen Vermögenswerten ist allerdings bereits sehr gering, da sie generell Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Brennstoffe meiden. Diese machen immerhin die Hälfte des russischen Marktes aus. Russische Unternehmen haben zudem meist eine schlechtere Unternehmensführung, schlechtere Datenschutzrichtlinien und eine schlechtere Menschenrechtsbilanz.

Nach Angaben von Morningstar enthielten Ende letzten Jahres dennoch fast 13 Prozent der 370 nachhaltigen Fonds russische Aktien. Der Großteil hatte zwar ein geringes Engagement von weniger als zwei Prozent, aber einige Fonds haben stärker in den russischen Markt investiert.

Der 88 Millionen Dollar schwere Artisan Sustainable Emerging Markets Fund war beispielsweise mit acht Prozent in russischen Unternehmen wie dem Goldproduzenten Polyus, dem Energieriesen Lukoil und der größten Bank des Landes, der Sberbank, engagiert. Der elf Millionen Dollar schwere Ashmore Emerging Markets Equity ESG Fund war mit fünf Prozent an russischen Unternehmen wie der Discounterkette Fix Price und dem Online-Recruiter HeadHunter beteiligt.

Es ist nicht bekannt, ob die beiden Fonds ihre russischen Beteiligungen vor dem Kurssturz veräußert haben. Beide Fonds sind seit Jahresbeginn um 20 Prozent eingebrochen und schneiden damit schlechter ab als 95 Prozent ihrer Konkurrenten. Die Fonds reagierten nicht auf Anfragen zu einer Stellungnahme.

Gute Performance ohne Autokraten

Ein Engagement in Russland bedeutet aber nicht zwangsläufig den Ruin für einen ansonsten stabilen Fonds. Der 25 Millionen Dollar schwere VanEck Green Metals ETF, der in Unternehmen investiert, die "grüne Metalle" für erneuerbare Energien herstellen und verarbeiten, war vor dem Einmarsch in die Ukraine mit fünf Prozent an Norilsk Nickel Mining & Metallurgical beteiligt. Die in London notierten Aktien des Metallriesen sind zwar im vergangenen Monat um 94 Prozent eingebrochen, der ETF hat aber die Hälfte seiner Konkurrenten outperformt.

Die meisten ESG-Bewertungen werden heute für die Unternehmen individuell durchgeführt. Ein pauschales Verbot bestimmter Länder ist eher unüblich. Der 120 Millionen Dollar schwere Freedom 100 Emerging Markets ETF ist da eine Ausnahme: Der Fonds vermeidet ausdrücklich Investitionen in autokratische Länder wie Russland, China oder Saudi-Arabien.

Der Fonds basiert auf einem von Life + Liberty Indexes entwickelten Index. Anhand von Daten unabhängiger Thinktanks auf der Grundlage von 79 verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Variablen stuft dieser Index die Länder nach ihrem Freiheitsgrad ein. Je besser die Bewertung, desto stärker wird ein Land im Portfolio gewichtet. Indien wurde zum Beispiel 2021 ausgeschlossen, weil die Regierung Kaschmir unterdrückt, sich bei den Medien eingemischt und das Internet blockiert hatte.

Ein autokratisches Regime und fehlende Freiheit führen in der Regel zu unvorhersehbaren Ereignissen wie dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und der Intervention Chinas in der Privatwirtschaft sowie zu starken Marktschwankungen, so Perth Tolle, Gründer von Life + Liberty Indexes.

Der Fonds konnte den Turbulenzen an den Märkten beider Länder entgehen und hat daher seit Jahresbeginn 94 Prozent und in den vergangenen zwölf Monaten 88 Prozent der vergleichbaren Schwellenländerfonds übertroffen.

Problemfall China

Vielen Anlegern dürfte es leichtfallen, Russland aus ihren Portfolios zu streichen, da das Land weder einen großen Anteil am Weltmarkt hat noch besonders attraktiv für Investments ist. Eine Abkehr von China wäre viel schwieriger: Das Land macht allein 30 Prozent der Schwellenländerindizes aus und gilt für viele als vielversprechende Investitionsmöglichkeit. Aber genau diese Fokussierung birgt Risiken.

"China wird in Zukunft die größte Belastung für die Schwellenländer sein", sagt Tolle. "Sein Wachstumserfolg wird nicht für immer andauern."

Diese Meinung teilen offenbar nicht alle ESG-Manager: Ende letzten Jahres hatten nachhaltige Schwellenländerfonds ein durchschnittliches Engagement in chinesischen Aktien von 20 Prozent und damit nur etwas weniger als der Durchschnitt aller Schwellenländerfonds, der bei 24 Prozent lag.

Übersetzung: Stefanie Konrad